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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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Gefangenen, Correctionshäuser und Strafanstalten aller Art --
daneben verschwand das arme Grün der Lindenbäume, und die
Vorstellung des Unheimlichen setzte sich auf viele Jahre hin fest.
Zum Ueberfluß suchte noch die Residenz Berlin die nachbarliche
Schwesterstadt zum nicht beneidenswerthen Schauplatz für die Voll-
streckung letzter Urtheile zu machen, und was dem Maß der
Schrecken bis dahin gefehlt hatte, war nun erfüllt. Das Haupt
Tschechs fiel auf der Spandauer Feldmark und die Stadtchronik
jener Epoche ist mit Blut geschrieben.

Aber auch dieses Spandau, das Spandau unserer Jugend,
hat sich überlebt und einem neuen Platz gemacht. Der helle Pfiff
der Lokomotive hat die dunkeln Wolken, die über der Stadt hin-
gen, wie mit leuchtendem Schwert vertrieben; die Stille, die
Stagnation, die so leicht zum Brütwinkel alles Finstern und Un-
heimlichen werden, sind dem Leben und der Bewegung gewichen,
bunte Menschenströme kommen und gehen, und Fabrikgebäude und
Sommerhäuser haben in lachenden Farben einen heitern Kranz um
den alten Griesgram gezogen. Dampfschiffe beleben den schönen
breiten Strom, und der dunkle Hintergrund, der auch jetzt noch
dem Bilde geblieben, schreckt nicht mehr ab, sondern steigert nur
den Reiz.

Weder Spandau selbst indeß noch seine Geschichte haben uns
heut in die alte Havelfestung geführt, sondern lediglich der Wunsch,
einen Ausflug in seine nächste Umgebung zu machen, flußabwärts
jenem malerischen Punkte zu, der den Namen "das Schildhorn"
führt. Wir schwanken einen Augenblick, ob wir mit Dampf oder
Ruder die Fahrt versuchen sollen, und endlich, das Segelboot als
gefälliges Auskunftsmittel wählend, treiben wir jetzt mit Strom
und Wind, zunächst an Wiesen und Dörfern, dann aber an
prächtigen Waldpartien vorüber, dem Ziel unserer Reise zu. Wie
unverdient ist der Spott, der unsere märkische Landschaft zu ver-
folgen pflegt, wenigstens hier! Die breite, blaue Wasserstraße theilt
sich und einigt sich wieder und schafft eine ununterbrochene Kette
von Inseln und Seen. Die Eilande selbst wechseln in ihrem

Gefangenen, Correctionshäuſer und Strafanſtalten aller Art —
daneben verſchwand das arme Grün der Lindenbäume, und die
Vorſtellung des Unheimlichen ſetzte ſich auf viele Jahre hin feſt.
Zum Ueberfluß ſuchte noch die Reſidenz Berlin die nachbarliche
Schweſterſtadt zum nicht beneidenswerthen Schauplatz für die Voll-
ſtreckung letzter Urtheile zu machen, und was dem Maß der
Schrecken bis dahin gefehlt hatte, war nun erfüllt. Das Haupt
Tſchechs fiel auf der Spandauer Feldmark und die Stadtchronik
jener Epoche iſt mit Blut geſchrieben.

Aber auch dieſes Spandau, das Spandau unſerer Jugend,
hat ſich überlebt und einem neuen Platz gemacht. Der helle Pfiff
der Lokomotive hat die dunkeln Wolken, die über der Stadt hin-
gen, wie mit leuchtendem Schwert vertrieben; die Stille, die
Stagnation, die ſo leicht zum Brütwinkel alles Finſtern und Un-
heimlichen werden, ſind dem Leben und der Bewegung gewichen,
bunte Menſchenſtröme kommen und gehen, und Fabrikgebäude und
Sommerhäuſer haben in lachenden Farben einen heitern Kranz um
den alten Griesgram gezogen. Dampfſchiffe beleben den ſchönen
breiten Strom, und der dunkle Hintergrund, der auch jetzt noch
dem Bilde geblieben, ſchreckt nicht mehr ab, ſondern ſteigert nur
den Reiz.

Weder Spandau ſelbſt indeß noch ſeine Geſchichte haben uns
heut in die alte Havelfeſtung geführt, ſondern lediglich der Wunſch,
einen Ausflug in ſeine nächſte Umgebung zu machen, flußabwärts
jenem maleriſchen Punkte zu, der den Namen „das Schildhorn“
führt. Wir ſchwanken einen Augenblick, ob wir mit Dampf oder
Ruder die Fahrt verſuchen ſollen, und endlich, das Segelboot als
gefälliges Auskunftsmittel wählend, treiben wir jetzt mit Strom
und Wind, zunächſt an Wieſen und Dörfern, dann aber an
prächtigen Waldpartien vorüber, dem Ziel unſerer Reiſe zu. Wie
unverdient iſt der Spott, der unſere märkiſche Landſchaft zu ver-
folgen pflegt, wenigſtens hier! Die breite, blaue Waſſerſtraße theilt
ſich und einigt ſich wieder und ſchafft eine ununterbrochene Kette
von Inſeln und Seen. Die Eilande ſelbſt wechſeln in ihrem

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[378/0396] Gefangenen, Correctionshäuſer und Strafanſtalten aller Art — daneben verſchwand das arme Grün der Lindenbäume, und die Vorſtellung des Unheimlichen ſetzte ſich auf viele Jahre hin feſt. Zum Ueberfluß ſuchte noch die Reſidenz Berlin die nachbarliche Schweſterſtadt zum nicht beneidenswerthen Schauplatz für die Voll- ſtreckung letzter Urtheile zu machen, und was dem Maß der Schrecken bis dahin gefehlt hatte, war nun erfüllt. Das Haupt Tſchechs fiel auf der Spandauer Feldmark und die Stadtchronik jener Epoche iſt mit Blut geſchrieben. Aber auch dieſes Spandau, das Spandau unſerer Jugend, hat ſich überlebt und einem neuen Platz gemacht. Der helle Pfiff der Lokomotive hat die dunkeln Wolken, die über der Stadt hin- gen, wie mit leuchtendem Schwert vertrieben; die Stille, die Stagnation, die ſo leicht zum Brütwinkel alles Finſtern und Un- heimlichen werden, ſind dem Leben und der Bewegung gewichen, bunte Menſchenſtröme kommen und gehen, und Fabrikgebäude und Sommerhäuſer haben in lachenden Farben einen heitern Kranz um den alten Griesgram gezogen. Dampfſchiffe beleben den ſchönen breiten Strom, und der dunkle Hintergrund, der auch jetzt noch dem Bilde geblieben, ſchreckt nicht mehr ab, ſondern ſteigert nur den Reiz. Weder Spandau ſelbſt indeß noch ſeine Geſchichte haben uns heut in die alte Havelfeſtung geführt, ſondern lediglich der Wunſch, einen Ausflug in ſeine nächſte Umgebung zu machen, flußabwärts jenem maleriſchen Punkte zu, der den Namen „das Schildhorn“ führt. Wir ſchwanken einen Augenblick, ob wir mit Dampf oder Ruder die Fahrt verſuchen ſollen, und endlich, das Segelboot als gefälliges Auskunftsmittel wählend, treiben wir jetzt mit Strom und Wind, zunächſt an Wieſen und Dörfern, dann aber an prächtigen Waldpartien vorüber, dem Ziel unſerer Reiſe zu. Wie unverdient iſt der Spott, der unſere märkiſche Landſchaft zu ver- folgen pflegt, wenigſtens hier! Die breite, blaue Waſſerſtraße theilt ſich und einigt ſich wieder und ſchafft eine ununterbrochene Kette von Inſeln und Seen. Die Eilande ſelbſt wechſeln in ihrem

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/396>, abgerufen am 29.03.2024.