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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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Kienbaum.

Ich hatt als Kind eine Tanne lieb,
Die groß und einsam übrig blieb
An flachem Wiesensaume.

Laufkäfer hasten durchs Gesträuch
In ihren goldnen Panzerröckchen,
Die Bienen hängen Zweig um Zweig
Sich an der Edelhaide Glöckchen;
Die Kräuter blühn; der Haideduft
Steigt in die blaue Sommerluft.

Th. Storm.

Am Ausgang der Liebenberger Haide, am linken Ufer des Flüß-
chens Loecknitz, das hier die Grenze zwischen dem Lande Lebus
und dem Nieder-Barnim zieht, liegt das Dorf Kienbaum.

Seinen Namen (so erzählt man sich) hat es von einem
Kienbaum, der ehedem ziemlich inmitten des Dorfes stand und
nach Erzählung der Bewohner bis in die allerfrühsten Zeiten deut-
scher Colonisirung zurückreichte. Man ließ ihn damals bei der Aus-
rodung der Waldstelle stehen, und während der Kienbaum selber
neue Jahresringe anlegte, legten sich neue Häuser und Höfe um
den ursprünglichen Kern des Dorfes herum. Jahrhunderte lang
hielt man ihn, wie einen Hüter und Talisman, wie einen alten
Pathen, der dem Dorfe den Namen gegeben, in Ehren und kaum
20 Jahre mögen vergangen sein, seit er umgehauen wurde. Das
ganze Dorf, das überhaupt einen guten Sinn hat, sträubte sich
dagegen, aber die egoistische Beharrlichkeit des Einzelnen (auf des-

Kienbaum.

Ich hatt als Kind eine Tanne lieb,
Die groß und einſam übrig blieb
An flachem Wieſenſaume.

Laufkäfer haſten durchs Geſträuch
In ihren goldnen Panzerröckchen,
Die Bienen hängen Zweig um Zweig
Sich an der Edelhaide Glöckchen;
Die Kräuter blühn; der Haideduft
Steigt in die blaue Sommerluft.

Th. Storm.

Am Ausgang der Liebenberger Haide, am linken Ufer des Flüß-
chens Loecknitz, das hier die Grenze zwiſchen dem Lande Lebus
und dem Nieder-Barnim zieht, liegt das Dorf Kienbaum.

Seinen Namen (ſo erzählt man ſich) hat es von einem
Kienbaum, der ehedem ziemlich inmitten des Dorfes ſtand und
nach Erzählung der Bewohner bis in die allerfrühſten Zeiten deut-
ſcher Coloniſirung zurückreichte. Man ließ ihn damals bei der Aus-
rodung der Waldſtelle ſtehen, und während der Kienbaum ſelber
neue Jahresringe anlegte, legten ſich neue Häuſer und Höfe um
den urſprünglichen Kern des Dorfes herum. Jahrhunderte lang
hielt man ihn, wie einen Hüter und Talisman, wie einen alten
Pathen, der dem Dorfe den Namen gegeben, in Ehren und kaum
20 Jahre mögen vergangen ſein, ſeit er umgehauen wurde. Das
ganze Dorf, das überhaupt einen guten Sinn hat, ſträubte ſich
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[[493]/0505] Kienbaum. Ich hatt als Kind eine Tanne lieb, Die groß und einſam übrig blieb An flachem Wieſenſaume. Laufkäfer haſten durchs Geſträuch In ihren goldnen Panzerröckchen, Die Bienen hängen Zweig um Zweig Sich an der Edelhaide Glöckchen; Die Kräuter blühn; der Haideduft Steigt in die blaue Sommerluft. Th. Storm. Am Ausgang der Liebenberger Haide, am linken Ufer des Flüß- chens Loecknitz, das hier die Grenze zwiſchen dem Lande Lebus und dem Nieder-Barnim zieht, liegt das Dorf Kienbaum. Seinen Namen (ſo erzählt man ſich) hat es von einem Kienbaum, der ehedem ziemlich inmitten des Dorfes ſtand und nach Erzählung der Bewohner bis in die allerfrühſten Zeiten deut- ſcher Coloniſirung zurückreichte. Man ließ ihn damals bei der Aus- rodung der Waldſtelle ſtehen, und während der Kienbaum ſelber neue Jahresringe anlegte, legten ſich neue Häuſer und Höfe um den urſprünglichen Kern des Dorfes herum. Jahrhunderte lang hielt man ihn, wie einen Hüter und Talisman, wie einen alten Pathen, der dem Dorfe den Namen gegeben, in Ehren und kaum 20 Jahre mögen vergangen ſein, ſeit er umgehauen wurde. Das ganze Dorf, das überhaupt einen guten Sinn hat, ſträubte ſich dagegen, aber die egoiſtiſche Beharrlichkeit des Einzelnen (auf deſ-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. [493]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/505>, abgerufen am 24.04.2024.