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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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ner Nation zu, einer Nation, die schon im 6. Jahrhundert im nördlichen
und östlichen Deutschland seßhaft war von der Elbe längs der Ostsee bis
zur Weichsel, südwärts bis an Böhmen sich erstreckte, in Mecklenburg
herrschte, in Ostpreußen und den brandenburgischen Marken einen tapferen
Widerstand gegen Albrecht den Bären leistete und in einzelnen Theilen
Deutschlands den jahrhundertlangen Kampf gegen die gewaltsame Vernich-
tung trotz ungleicher Waffen zäh aushielt. Das gewöhnliche Volk ahnt die
Zukunft und kennt recht wohl seinen Vergewaltiger. Der in der Wendei
Reisende muß sich deshalb immer auf eine falsche Berichtung des etwa er-
fragten Weges oder auf einen Schabernak gefaßt machen, den der Wende
dem Deutschen besonders dann gern spielt, wenn sich Letzterer nach wen-
dischen Worten und Redensarten erkundigt. Er erhält alsdann arglos von
dem gemeinen dummpfiffigen Wenden die gemeinsten Ausdrücke angelernt.

Die Sprache der Wenden ist überaus bildungsreich, melodisch und
kräftig, sie klingt im Gesang besonders schön. Im 30jährigen Kriege suchte
man sie gewaltsam zu unterdrücken und gab den Gemeinden nur noch
deutsche Prediger, erst die humanere neuere Zeit hat hier Gerechtigkeit ge-
übt und das angestammte Recht der nationalen Sprache wieder hergestellt.

Da das Deutschthum sich wie ein Keil zwischen die Wenden-Ueberreste
gedrängt hat, so sind bereits Dialekte entstanden mit neuen Wort- und
Satzformen, welche das Verständniß der zersprengten Posten schon zu er-
schweren beginnen.

Als die Russen in den Freiheitskriegen hier plötzlich eine verwandte
Sprache fanden, war ihre Freude so exaltirt und zugleich naiv, daß sie
später die deutschen Dörfer schlecht behandelten, in der Meinung, die
deutsche (sächsische, damals im Bunde mit Frankreich) Bevölkerung wolle
sie nur aus Feindseligkeit gegen die Verbündeten nicht verstehen!

Was die rohe Gewalt nicht vermocht hat, das wird in kürzerer Zeit
die Uebermacht unsrer Kultur vollbringen. Ein Jahrhundert noch, und die
Wenden haben aufgehört zu existiren. Uns ziemt, obwohl wir die Sieger
sind, immerhin einige Theilnahme, denn es geht ein einstmals mächtiges
Volk seinem Ende entgegen!"

("Die Unnererdschken" eine Sage aus Alt-Reetz. Vgl. S. 211.)

Im Montag'schen Hause in Alt-Reetz -- so erzählen sich die Reetzer
-- trug sich folgendes zu: An einem Weihnachtsabend waren alle, außer
der Hausfrau, welche im Wochenbette lag, nach der Kirche gegangen. Plötz-
lich vernahm diese von ihrem Himmelbette aus ein summendes Geräusch,
und indem sie die Gardinen zurückzog, ward sie zwischen Ofen und Wand
viele kleine Gestalten gewahr, welche sich anschickten, Stühle an den Tisch
zu rücken, diesen zu decken und kupferne Schüsseln, reichlich gefüllt, zin-
nene Teller, Krüge und Löffel aufzutragen. Hierauf erschienen, hinter dem
Ofen hervorkommend, 20 bis 30 Personen paarweise, als ob irgend ein

ner Nation zu, einer Nation, die ſchon im 6. Jahrhundert im nördlichen
und öſtlichen Deutſchland ſeßhaft war von der Elbe längs der Oſtſee bis
zur Weichſel, ſüdwärts bis an Böhmen ſich erſtreckte, in Mecklenburg
herrſchte, in Oſtpreußen und den brandenburgiſchen Marken einen tapferen
Widerſtand gegen Albrecht den Bären leiſtete und in einzelnen Theilen
Deutſchlands den jahrhundertlangen Kampf gegen die gewaltſame Vernich-
tung trotz ungleicher Waffen zäh aushielt. Das gewöhnliche Volk ahnt die
Zukunft und kennt recht wohl ſeinen Vergewaltiger. Der in der Wendei
Reiſende muß ſich deshalb immer auf eine falſche Berichtung des etwa er-
fragten Weges oder auf einen Schabernak gefaßt machen, den der Wende
dem Deutſchen beſonders dann gern ſpielt, wenn ſich Letzterer nach wen-
diſchen Worten und Redensarten erkundigt. Er erhält alsdann arglos von
dem gemeinen dummpfiffigen Wenden die gemeinſten Ausdrücke angelernt.

Die Sprache der Wenden iſt überaus bildungsreich, melodiſch und
kräftig, ſie klingt im Geſang beſonders ſchön. Im 30jährigen Kriege ſuchte
man ſie gewaltſam zu unterdrücken und gab den Gemeinden nur noch
deutſche Prediger, erſt die humanere neuere Zeit hat hier Gerechtigkeit ge-
übt und das angeſtammte Recht der nationalen Sprache wieder hergeſtellt.

Da das Deutſchthum ſich wie ein Keil zwiſchen die Wenden-Ueberreſte
gedrängt hat, ſo ſind bereits Dialekte entſtanden mit neuen Wort- und
Satzformen, welche das Verſtändniß der zerſprengten Poſten ſchon zu er-
ſchweren beginnen.

Als die Ruſſen in den Freiheitskriegen hier plötzlich eine verwandte
Sprache fanden, war ihre Freude ſo exaltirt und zugleich naiv, daß ſie
ſpäter die deutſchen Dörfer ſchlecht behandelten, in der Meinung, die
deutſche (ſächſiſche, damals im Bunde mit Frankreich) Bevölkerung wolle
ſie nur aus Feindſeligkeit gegen die Verbündeten nicht verſtehen!

Was die rohe Gewalt nicht vermocht hat, das wird in kürzerer Zeit
die Uebermacht unſrer Kultur vollbringen. Ein Jahrhundert noch, und die
Wenden haben aufgehört zu exiſtiren. Uns ziemt, obwohl wir die Sieger
ſind, immerhin einige Theilnahme, denn es geht ein einſtmals mächtiges
Volk ſeinem Ende entgegen!“

(„Die Unnererdſchken“ eine Sage aus Alt-Reetz. Vgl. S. 211.)

Im Montag’ſchen Hauſe in Alt-Reetz — ſo erzählen ſich die Reetzer
— trug ſich folgendes zu: An einem Weihnachtsabend waren alle, außer
der Hausfrau, welche im Wochenbette lag, nach der Kirche gegangen. Plötz-
lich vernahm dieſe von ihrem Himmelbette aus ein ſummendes Geräuſch,
und indem ſie die Gardinen zurückzog, ward ſie zwiſchen Ofen und Wand
viele kleine Geſtalten gewahr, welche ſich anſchickten, Stühle an den Tiſch
zu rücken, dieſen zu decken und kupferne Schüſſeln, reichlich gefüllt, zin-
nene Teller, Krüge und Löffel aufzutragen. Hierauf erſchienen, hinter dem
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[530/0542] ner Nation zu, einer Nation, die ſchon im 6. Jahrhundert im nördlichen und öſtlichen Deutſchland ſeßhaft war von der Elbe längs der Oſtſee bis zur Weichſel, ſüdwärts bis an Böhmen ſich erſtreckte, in Mecklenburg herrſchte, in Oſtpreußen und den brandenburgiſchen Marken einen tapferen Widerſtand gegen Albrecht den Bären leiſtete und in einzelnen Theilen Deutſchlands den jahrhundertlangen Kampf gegen die gewaltſame Vernich- tung trotz ungleicher Waffen zäh aushielt. Das gewöhnliche Volk ahnt die Zukunft und kennt recht wohl ſeinen Vergewaltiger. Der in der Wendei Reiſende muß ſich deshalb immer auf eine falſche Berichtung des etwa er- fragten Weges oder auf einen Schabernak gefaßt machen, den der Wende dem Deutſchen beſonders dann gern ſpielt, wenn ſich Letzterer nach wen- diſchen Worten und Redensarten erkundigt. Er erhält alsdann arglos von dem gemeinen dummpfiffigen Wenden die gemeinſten Ausdrücke angelernt. Die Sprache der Wenden iſt überaus bildungsreich, melodiſch und kräftig, ſie klingt im Geſang beſonders ſchön. Im 30jährigen Kriege ſuchte man ſie gewaltſam zu unterdrücken und gab den Gemeinden nur noch deutſche Prediger, erſt die humanere neuere Zeit hat hier Gerechtigkeit ge- übt und das angeſtammte Recht der nationalen Sprache wieder hergeſtellt. Da das Deutſchthum ſich wie ein Keil zwiſchen die Wenden-Ueberreſte gedrängt hat, ſo ſind bereits Dialekte entſtanden mit neuen Wort- und Satzformen, welche das Verſtändniß der zerſprengten Poſten ſchon zu er- ſchweren beginnen. Als die Ruſſen in den Freiheitskriegen hier plötzlich eine verwandte Sprache fanden, war ihre Freude ſo exaltirt und zugleich naiv, daß ſie ſpäter die deutſchen Dörfer ſchlecht behandelten, in der Meinung, die deutſche (ſächſiſche, damals im Bunde mit Frankreich) Bevölkerung wolle ſie nur aus Feindſeligkeit gegen die Verbündeten nicht verſtehen! Was die rohe Gewalt nicht vermocht hat, das wird in kürzerer Zeit die Uebermacht unſrer Kultur vollbringen. Ein Jahrhundert noch, und die Wenden haben aufgehört zu exiſtiren. Uns ziemt, obwohl wir die Sieger ſind, immerhin einige Theilnahme, denn es geht ein einſtmals mächtiges Volk ſeinem Ende entgegen!“ („Die Unnererdſchken“ eine Sage aus Alt-Reetz. Vgl. S. 211.) Im Montag’ſchen Hauſe in Alt-Reetz — ſo erzählen ſich die Reetzer — trug ſich folgendes zu: An einem Weihnachtsabend waren alle, außer der Hausfrau, welche im Wochenbette lag, nach der Kirche gegangen. Plötz- lich vernahm dieſe von ihrem Himmelbette aus ein ſummendes Geräuſch, und indem ſie die Gardinen zurückzog, ward ſie zwiſchen Ofen und Wand viele kleine Geſtalten gewahr, welche ſich anſchickten, Stühle an den Tiſch zu rücken, dieſen zu decken und kupferne Schüſſeln, reichlich gefüllt, zin- nene Teller, Krüge und Löffel aufzutragen. Hierauf erſchienen, hinter dem Ofen hervorkommend, 20 bis 30 Perſonen paarweiſe, als ob irgend ein

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/542>, abgerufen am 25.04.2024.