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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Paretz.
1.
Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt
Sein Wort und seine That dem Enkel wieder.

Tasso.

Von Uetz nach Paretz ist noch eine gute halbe Meile. An
einem Sommernachmittag ein entzückender Spaziergang. Der
Weg führt durch Wiesen rechts und links; der Heuduft dringt
von den Feldern herüber und vor uns ein dünner, sonnen-
durchleuchteter Nebel zeigt die Stelle, wo die breite, buchten-
und seenreiche Havel fließt. Paretz selbst verbirgt sich bis zuletzt.
Nun endlich wird der Weg ein aufgeschütteter Damm, an die
Stelle der Obstbäume, die uns bisher begleiteten, treten hohe
Pappeln (überall die spalierbildende Garde, die zu Schlössern
führt), und alsbald über eine zierliche Brücke hinweg, die den
Namen "Infantenbrücke" trägt, beschreiten wir die Dorfstraße.
Diese führt mitten durch den Park, macht eine Biegung, ver-
breitert sich, und -- wir sind am Ziel: links das Schloß, ein
langgestreckter, schmuckloser Parterre-Bau mit aufgesetztem nie-
drigem Stock, rechts eine Gruppe alter Eichen, und ihnen zur
Seite die gothische Kirche des Dorfs. Ueber die Straße hin
grüßen sich beide, in ihrer Erscheinung und in ihrem Eindruck
so verschieden, wie die Zeiten, denen sie angehören. Die Poesie
fällt der älteren Hälfte zu.

Es ist um die fünfte Stunde. Eine Schwüle liegt in der
Luft; selbst das Pappellaub, das immer plaudert, ist still; das

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Paretz.
1.
Die Stätte, die ein guter Menſch betrat,
Iſt eingeweiht; nach hundert Jahren klingt
Sein Wort und ſeine That dem Enkel wieder.

Taſſo.

Von Uetz nach Paretz iſt noch eine gute halbe Meile. An
einem Sommernachmittag ein entzückender Spaziergang. Der
Weg führt durch Wieſen rechts und links; der Heuduft dringt
von den Feldern herüber und vor uns ein dünner, ſonnen-
durchleuchteter Nebel zeigt die Stelle, wo die breite, buchten-
und ſeenreiche Havel fließt. Paretz ſelbſt verbirgt ſich bis zuletzt.
Nun endlich wird der Weg ein aufgeſchütteter Damm, an die
Stelle der Obſtbäume, die uns bisher begleiteten, treten hohe
Pappeln (überall die ſpalierbildende Garde, die zu Schlöſſern
führt), und alsbald über eine zierliche Brücke hinweg, die den
Namen „Infantenbrücke“ trägt, beſchreiten wir die Dorfſtraße.
Dieſe führt mitten durch den Park, macht eine Biegung, ver-
breitert ſich, und — wir ſind am Ziel: links das Schloß, ein
langgeſtreckter, ſchmuckloſer Parterre-Bau mit aufgeſetztem nie-
drigem Stock, rechts eine Gruppe alter Eichen, und ihnen zur
Seite die gothiſche Kirche des Dorfs. Ueber die Straße hin
grüßen ſich beide, in ihrer Erſcheinung und in ihrem Eindruck
ſo verſchieden, wie die Zeiten, denen ſie angehören. Die Poeſie
fällt der älteren Hälfte zu.

Es iſt um die fünfte Stunde. Eine Schwüle liegt in der
Luft; ſelbſt das Pappellaub, das immer plaudert, iſt ſtill; das

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[[323]/0341] Paretz. 1. Die Stätte, die ein guter Menſch betrat, Iſt eingeweiht; nach hundert Jahren klingt Sein Wort und ſeine That dem Enkel wieder. Taſſo. Von Uetz nach Paretz iſt noch eine gute halbe Meile. An einem Sommernachmittag ein entzückender Spaziergang. Der Weg führt durch Wieſen rechts und links; der Heuduft dringt von den Feldern herüber und vor uns ein dünner, ſonnen- durchleuchteter Nebel zeigt die Stelle, wo die breite, buchten- und ſeenreiche Havel fließt. Paretz ſelbſt verbirgt ſich bis zuletzt. Nun endlich wird der Weg ein aufgeſchütteter Damm, an die Stelle der Obſtbäume, die uns bisher begleiteten, treten hohe Pappeln (überall die ſpalierbildende Garde, die zu Schlöſſern führt), und alsbald über eine zierliche Brücke hinweg, die den Namen „Infantenbrücke“ trägt, beſchreiten wir die Dorfſtraße. Dieſe führt mitten durch den Park, macht eine Biegung, ver- breitert ſich, und — wir ſind am Ziel: links das Schloß, ein langgeſtreckter, ſchmuckloſer Parterre-Bau mit aufgeſetztem nie- drigem Stock, rechts eine Gruppe alter Eichen, und ihnen zur Seite die gothiſche Kirche des Dorfs. Ueber die Straße hin grüßen ſich beide, in ihrer Erſcheinung und in ihrem Eindruck ſo verſchieden, wie die Zeiten, denen ſie angehören. Die Poeſie fällt der älteren Hälfte zu. Es iſt um die fünfte Stunde. Eine Schwüle liegt in der Luft; ſelbſt das Pappellaub, das immer plaudert, iſt ſtill; das 21*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. [323]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/341>, abgerufen am 29.03.2024.