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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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ist der einzige, der zum Ziele führen kann. Nur Sprachforscher,
Philologen, die ausgerüstet mit einer gründlichen Kenntniß aller
Nüancen mittelalterlichen Lateins, nachzuweisen im Stande
sind: "dies Wort, diese Wendung waren im 13. Jahrhun-
dert unmöglich," nur sie allein werden den Streit endgültig
entscheiden.

Das Resultat einer solchen Untersuchung, wenn sie statt-
fände, würde lauten: "unächt." Darüber unterhalte ich keinen
Zweifel. Aber auch der Beweis vom Gegentheile würde das
alte Interesse an dieser Streitfrage nicht wiederbeleben können.
Die Ereignisse nämlich haben die Prophezeihung überholt; seit
der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. ist die Prophe-
zeihung einfach falsch geworden, gleichviel ob sie ächt ist oder
nicht. Diesen Unterschied zwischen "unächt" und "falsch" ziemt
es sich durchaus zu betonen. Schon Guhrauer hat sehr richtig
darauf aufmerksam gemacht, daß der Text der Prophezeihung
ächt und die Prophezeihung selber doch eine falsche, d. h.
eine unerfüllt gebliebene sein könne, "eine unerfüllt gebliebene
-- so fügt er hinzu -- gleich so vielen anderen falschen Pro-
phezeihungen, deren Authenticität von niemand bezweifelt
worden ist." Friedrich Wilhelm III. war bereits der elfte
Hohenzoller nach Joachim II.; der Zeiger an der Uhr
ist über die verhängnißvolle Stunde ruhig hinweggegangen, die
Hohenzollern leben, und nur die Weissagung (ächt oder nicht)
ist todt.


iſt der einzige, der zum Ziele führen kann. Nur Sprachforſcher,
Philologen, die ausgerüſtet mit einer gründlichen Kenntniß aller
Nüancen mittelalterlichen Lateins, nachzuweiſen im Stande
ſind: „dies Wort, dieſe Wendung waren im 13. Jahrhun-
dert unmöglich,“ nur ſie allein werden den Streit endgültig
entſcheiden.

Das Reſultat einer ſolchen Unterſuchung, wenn ſie ſtatt-
fände, würde lauten: „unächt.“ Darüber unterhalte ich keinen
Zweifel. Aber auch der Beweis vom Gegentheile würde das
alte Intereſſe an dieſer Streitfrage nicht wiederbeleben können.
Die Ereigniſſe nämlich haben die Prophezeihung überholt; ſeit
der Thronbeſteigung Friedrich Wilhelms IV. iſt die Prophe-
zeihung einfach falſch geworden, gleichviel ob ſie ächt iſt oder
nicht. Dieſen Unterſchied zwiſchen „unächt“ und „falſch“ ziemt
es ſich durchaus zu betonen. Schon Guhrauer hat ſehr richtig
darauf aufmerkſam gemacht, daß der Text der Prophezeihung
ächt und die Prophezeihung ſelber doch eine falſche, d. h.
eine unerfüllt gebliebene ſein könne, „eine unerfüllt gebliebene
— ſo fügt er hinzu — gleich ſo vielen anderen falſchen Pro-
phezeihungen, deren Authenticität von niemand bezweifelt
worden iſt.“ Friedrich Wilhelm III. war bereits der elfte
Hohenzoller nach Joachim II.; der Zeiger an der Uhr
iſt über die verhängnißvolle Stunde ruhig hinweggegangen, die
Hohenzollern leben, und nur die Weiſſagung (ächt oder nicht)
iſt todt.


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[120/0138] iſt der einzige, der zum Ziele führen kann. Nur Sprachforſcher, Philologen, die ausgerüſtet mit einer gründlichen Kenntniß aller Nüancen mittelalterlichen Lateins, nachzuweiſen im Stande ſind: „dies Wort, dieſe Wendung waren im 13. Jahrhun- dert unmöglich,“ nur ſie allein werden den Streit endgültig entſcheiden. Das Reſultat einer ſolchen Unterſuchung, wenn ſie ſtatt- fände, würde lauten: „unächt.“ Darüber unterhalte ich keinen Zweifel. Aber auch der Beweis vom Gegentheile würde das alte Intereſſe an dieſer Streitfrage nicht wiederbeleben können. Die Ereigniſſe nämlich haben die Prophezeihung überholt; ſeit der Thronbeſteigung Friedrich Wilhelms IV. iſt die Prophe- zeihung einfach falſch geworden, gleichviel ob ſie ächt iſt oder nicht. Dieſen Unterſchied zwiſchen „unächt“ und „falſch“ ziemt es ſich durchaus zu betonen. Schon Guhrauer hat ſehr richtig darauf aufmerkſam gemacht, daß der Text der Prophezeihung ächt und die Prophezeihung ſelber doch eine falſche, d. h. eine unerfüllt gebliebene ſein könne, „eine unerfüllt gebliebene — ſo fügt er hinzu — gleich ſo vielen anderen falſchen Pro- phezeihungen, deren Authenticität von niemand bezweifelt worden iſt.“ Friedrich Wilhelm III. war bereits der elfte Hohenzoller nach Joachim II.; der Zeiger an der Uhr iſt über die verhängnißvolle Stunde ruhig hinweggegangen, die Hohenzollern leben, und nur die Weiſſagung (ächt oder nicht) iſt todt.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/138>, abgerufen am 29.03.2024.