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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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wasser bis an die Potsdamer Enge zurück und plötzlich um-
schlagend in einen eisigen Nord-Nord-Ost stieß er die auf-
gethürmte Wassermasse mit solcher Gewalt gegen den Erdwall,
daß dieser zerbrach und die bis dahin abgedämmten Havel-
wasser wie aus einem Schleusenwerk sich in das tiefer gelegene
Moorbecken ergossen. In jener Nacht wurde der Schwilow
geboren.

Im Einklange hiermit ist es, daß die weite Wasserfläche,
die jetzt diesen Namen führt, mehr durch ihre Masse als durch
ihre Tiefe imponirt; der Schwilow hat ganze Striche, wo man
Grund fühlen, noch andere, wo man ihn durchwaten kann.
Unter allen unsren Seen kommt er dem Müggelsee am nächsten.
An Fläche und Ausdehnung diesem Könige der märkischen Ge-
wässer nah verwandt, weicht er im Charakter doch völlig von
ihm ab. Die Müggel ist tief, finster, tückisch, -- die alten
Wendengötter brauen unten in der Tiefe; der Schwilow ist
breit, behaglich, sonnig und hat die Gutmüthigkeit aller breit
angelegten Naturen. Er hält es mit leben und leben lassen;
er haßt weder die Menschen noch das Gebild aus Menschenhand;
er ist das Kind einer andern Zeit und der Christengott pochte
vielleicht schon an die Thore, als er in's Dasein trat.

Der Schwilow ist gutmüthig, so sagten wir; aber wie alle
gutmüthigen Naturen kann er heftig werden, plötzlich, beinahe
unmotivirt, und dann ist er unberechenbar. Eben noch lachend,
beginnt ein Kräuseln und Drehen, nun ein Wirbel, ein Auf-
stäuben, ein Gewölk -- es ist, als führe eine Hand aus dem
Trichter, und was über ihm ist, muß hinab in die Tiefe. In
solchen Augenblicken giebt er der Müggel nichts nach. Es giebt
ganze Linien, wo die gescheiterten Schiffe liegen.

Ihn zu befahren in seiner ganzen Breite, war seit lange
mein Wunsch. Heute bot sich die Gelegenheit. Der Wind war
gut, ein regelrechter Südost. An der Fährstelle zu Caput lag
das Boot; grün und weiß die Planken und Ruder; das Segel
war noch an den Mast gebunden. Wir stiegen ein zu Dritt,
mit uns die Söhne des Fährmannes, drei junge Caputer Mid-

waſſer bis an die Potsdamer Enge zurück und plötzlich um-
ſchlagend in einen eiſigen Nord-Nord-Oſt ſtieß er die auf-
gethürmte Waſſermaſſe mit ſolcher Gewalt gegen den Erdwall,
daß dieſer zerbrach und die bis dahin abgedämmten Havel-
waſſer wie aus einem Schleuſenwerk ſich in das tiefer gelegene
Moorbecken ergoſſen. In jener Nacht wurde der Schwilow
geboren.

Im Einklange hiermit iſt es, daß die weite Waſſerfläche,
die jetzt dieſen Namen führt, mehr durch ihre Maſſe als durch
ihre Tiefe imponirt; der Schwilow hat ganze Striche, wo man
Grund fühlen, noch andere, wo man ihn durchwaten kann.
Unter allen unſren Seen kommt er dem Müggelſee am nächſten.
An Fläche und Ausdehnung dieſem Könige der märkiſchen Ge-
wäſſer nah verwandt, weicht er im Charakter doch völlig von
ihm ab. Die Müggel iſt tief, finſter, tückiſch, — die alten
Wendengötter brauen unten in der Tiefe; der Schwilow iſt
breit, behaglich, ſonnig und hat die Gutmüthigkeit aller breit
angelegten Naturen. Er hält es mit leben und leben laſſen;
er haßt weder die Menſchen noch das Gebild aus Menſchenhand;
er iſt das Kind einer andern Zeit und der Chriſtengott pochte
vielleicht ſchon an die Thore, als er in’s Daſein trat.

Der Schwilow iſt gutmüthig, ſo ſagten wir; aber wie alle
gutmüthigen Naturen kann er heftig werden, plötzlich, beinahe
unmotivirt, und dann iſt er unberechenbar. Eben noch lachend,
beginnt ein Kräuſeln und Drehen, nun ein Wirbel, ein Auf-
ſtäuben, ein Gewölk — es iſt, als führe eine Hand aus dem
Trichter, und was über ihm iſt, muß hinab in die Tiefe. In
ſolchen Augenblicken giebt er der Müggel nichts nach. Es giebt
ganze Linien, wo die geſcheiterten Schiffe liegen.

Ihn zu befahren in ſeiner ganzen Breite, war ſeit lange
mein Wunſch. Heute bot ſich die Gelegenheit. Der Wind war
gut, ein regelrechter Südoſt. An der Fährſtelle zu Caput lag
das Boot; grün und weiß die Planken und Ruder; das Segel
war noch an den Maſt gebunden. Wir ſtiegen ein zu Dritt,
mit uns die Söhne des Fährmannes, drei junge Caputer Mid-

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[164/0182] waſſer bis an die Potsdamer Enge zurück und plötzlich um- ſchlagend in einen eiſigen Nord-Nord-Oſt ſtieß er die auf- gethürmte Waſſermaſſe mit ſolcher Gewalt gegen den Erdwall, daß dieſer zerbrach und die bis dahin abgedämmten Havel- waſſer wie aus einem Schleuſenwerk ſich in das tiefer gelegene Moorbecken ergoſſen. In jener Nacht wurde der Schwilow geboren. Im Einklange hiermit iſt es, daß die weite Waſſerfläche, die jetzt dieſen Namen führt, mehr durch ihre Maſſe als durch ihre Tiefe imponirt; der Schwilow hat ganze Striche, wo man Grund fühlen, noch andere, wo man ihn durchwaten kann. Unter allen unſren Seen kommt er dem Müggelſee am nächſten. An Fläche und Ausdehnung dieſem Könige der märkiſchen Ge- wäſſer nah verwandt, weicht er im Charakter doch völlig von ihm ab. Die Müggel iſt tief, finſter, tückiſch, — die alten Wendengötter brauen unten in der Tiefe; der Schwilow iſt breit, behaglich, ſonnig und hat die Gutmüthigkeit aller breit angelegten Naturen. Er hält es mit leben und leben laſſen; er haßt weder die Menſchen noch das Gebild aus Menſchenhand; er iſt das Kind einer andern Zeit und der Chriſtengott pochte vielleicht ſchon an die Thore, als er in’s Daſein trat. Der Schwilow iſt gutmüthig, ſo ſagten wir; aber wie alle gutmüthigen Naturen kann er heftig werden, plötzlich, beinahe unmotivirt, und dann iſt er unberechenbar. Eben noch lachend, beginnt ein Kräuſeln und Drehen, nun ein Wirbel, ein Auf- ſtäuben, ein Gewölk — es iſt, als führe eine Hand aus dem Trichter, und was über ihm iſt, muß hinab in die Tiefe. In ſolchen Augenblicken giebt er der Müggel nichts nach. Es giebt ganze Linien, wo die geſcheiterten Schiffe liegen. Ihn zu befahren in ſeiner ganzen Breite, war ſeit lange mein Wunſch. Heute bot ſich die Gelegenheit. Der Wind war gut, ein regelrechter Südoſt. An der Fährſtelle zu Caput lag das Boot; grün und weiß die Planken und Ruder; das Segel war noch an den Maſt gebunden. Wir ſtiegen ein zu Dritt, mit uns die Söhne des Fährmannes, drei junge Caputer Mid-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/182>, abgerufen am 24.04.2024.