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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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trug hinaus. Mit dieser letztern Gruppe der Geheimen Ge-
sellschaften, die trotz ihres quantitativen Uebergewichts, kamen
und gingen, ohne eine Spur zu hinterlassen, die nichts waren,
als Modethorheit oder Modekrankheit, beschäftigen wir uns
zuerst.

Die Zahl dieser Gesellschaften, unglaublich zu sagen, ging
vielleicht über Hundert hinaus. Die meisten befanden sich in
Baiern und am Rhein; Regensburg, die alte Reichstagsstadt,
war Mittelpunkt, und einer Anzahl von Aufsätzen, die in dem
letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts in der Reichstags-
Zeitung veröffentlicht wurden, verdanken wir, mehr als irgend
einer andern Quelle, Material, das uns Einblick gönnt in das
Verbindungs- und Ordenswesen jener Zeit. Die genannte
Zeitung schrieb in den 80er Jahren: "Nie hat sich der Secten-
geist thätiger gezeigt als in unsern Tagen, welche man die auf-
geklärten nennt. .. Der immer allgemeiner werdende Hang
zum Aberglauben, der uns in die Zeiten des Mittelalters zurück-
wirft, wird durch den alle Kräfte der Erwerbung übersteigen-
den Luxus und durch das geschwächte Nervensystem
der jetzigen Generation (also auch schon 1785!) ungemein
befördert. Unsre Großen suchen den Stein der Weisen, um
unsterblich zu werden, und erhoffen von den Geheimnissen der
Alchymie die Mittel zur Befriedigung ihrer Neigungen."

Die Reichstags-Zeitung fährt dann fort: "An keinem
Orte der Welt sind mehr Verehrer solcher neuen Wissenschaften
anzutreffen, als an dem Wohnsitze des Reichstages (Regens-
burg). Hier befinden sich: Loyolisten im gestickten Kleid, im
Chorgewand und im einfachen Kittel; Gasnerianer und Mes-
merianer; Kabbalisten und Somnambulisten; Magier der ver-
schiedensten Stufen und Namen; Cagliostro-Anhänger, die den
Stein der Weisen suchen, und "Lammsbrüder, die sich vom
inneren Stolze nähren" -- Vereinigungen, die sammt und
sonders schwarze und weiße Magie treiben, aus Zahlen, Buch-
staben und Worten die Geheimnisse der Natur und der Staaten
prophezeihen, die ewige Jugend suchen, vor allem aber den

trug hinaus. Mit dieſer letztern Gruppe der Geheimen Ge-
ſellſchaften, die trotz ihres quantitativen Uebergewichts, kamen
und gingen, ohne eine Spur zu hinterlaſſen, die nichts waren,
als Modethorheit oder Modekrankheit, beſchäftigen wir uns
zuerſt.

Die Zahl dieſer Geſellſchaften, unglaublich zu ſagen, ging
vielleicht über Hundert hinaus. Die meiſten befanden ſich in
Baiern und am Rhein; Regensburg, die alte Reichstagsſtadt,
war Mittelpunkt, und einer Anzahl von Aufſätzen, die in dem
letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts in der Reichstags-
Zeitung veröffentlicht wurden, verdanken wir, mehr als irgend
einer andern Quelle, Material, das uns Einblick gönnt in das
Verbindungs- und Ordensweſen jener Zeit. Die genannte
Zeitung ſchrieb in den 80er Jahren: „Nie hat ſich der Secten-
geiſt thätiger gezeigt als in unſern Tagen, welche man die auf-
geklärten nennt. .. Der immer allgemeiner werdende Hang
zum Aberglauben, der uns in die Zeiten des Mittelalters zurück-
wirft, wird durch den alle Kräfte der Erwerbung überſteigen-
den Luxus und durch das geſchwächte Nervenſyſtem
der jetzigen Generation (alſo auch ſchon 1785!) ungemein
befördert. Unſre Großen ſuchen den Stein der Weiſen, um
unſterblich zu werden, und erhoffen von den Geheimniſſen der
Alchymie die Mittel zur Befriedigung ihrer Neigungen.“

Die Reichstags-Zeitung fährt dann fort: „An keinem
Orte der Welt ſind mehr Verehrer ſolcher neuen Wiſſenſchaften
anzutreffen, als an dem Wohnſitze des Reichstages (Regens-
burg). Hier befinden ſich: Loyoliſten im geſtickten Kleid, im
Chorgewand und im einfachen Kittel; Gasnerianer und Mes-
merianer; Kabbaliſten und Somnambuliſten; Magier der ver-
ſchiedenſten Stufen und Namen; Caglioſtro-Anhänger, die den
Stein der Weiſen ſuchen, und „Lammsbrüder, die ſich vom
inneren Stolze nähren“ — Vereinigungen, die ſammt und
ſonders ſchwarze und weiße Magie treiben, aus Zahlen, Buch-
ſtaben und Worten die Geheimniſſe der Natur und der Staaten
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[293/0311] trug hinaus. Mit dieſer letztern Gruppe der Geheimen Ge- ſellſchaften, die trotz ihres quantitativen Uebergewichts, kamen und gingen, ohne eine Spur zu hinterlaſſen, die nichts waren, als Modethorheit oder Modekrankheit, beſchäftigen wir uns zuerſt. Die Zahl dieſer Geſellſchaften, unglaublich zu ſagen, ging vielleicht über Hundert hinaus. Die meiſten befanden ſich in Baiern und am Rhein; Regensburg, die alte Reichstagsſtadt, war Mittelpunkt, und einer Anzahl von Aufſätzen, die in dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts in der Reichstags- Zeitung veröffentlicht wurden, verdanken wir, mehr als irgend einer andern Quelle, Material, das uns Einblick gönnt in das Verbindungs- und Ordensweſen jener Zeit. Die genannte Zeitung ſchrieb in den 80er Jahren: „Nie hat ſich der Secten- geiſt thätiger gezeigt als in unſern Tagen, welche man die auf- geklärten nennt. .. Der immer allgemeiner werdende Hang zum Aberglauben, der uns in die Zeiten des Mittelalters zurück- wirft, wird durch den alle Kräfte der Erwerbung überſteigen- den Luxus und durch das geſchwächte Nervenſyſtem der jetzigen Generation (alſo auch ſchon 1785!) ungemein befördert. Unſre Großen ſuchen den Stein der Weiſen, um unſterblich zu werden, und erhoffen von den Geheimniſſen der Alchymie die Mittel zur Befriedigung ihrer Neigungen.“ Die Reichstags-Zeitung fährt dann fort: „An keinem Orte der Welt ſind mehr Verehrer ſolcher neuen Wiſſenſchaften anzutreffen, als an dem Wohnſitze des Reichstages (Regens- burg). Hier befinden ſich: Loyoliſten im geſtickten Kleid, im Chorgewand und im einfachen Kittel; Gasnerianer und Mes- merianer; Kabbaliſten und Somnambuliſten; Magier der ver- ſchiedenſten Stufen und Namen; Caglioſtro-Anhänger, die den Stein der Weiſen ſuchen, und „Lammsbrüder, die ſich vom inneren Stolze nähren“ — Vereinigungen, die ſammt und ſonders ſchwarze und weiße Magie treiben, aus Zahlen, Buch- ſtaben und Worten die Geheimniſſe der Natur und der Staaten prophezeihen, die ewige Jugend ſuchen, vor allem aber den

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/311>, abgerufen am 18.04.2024.