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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Paretz wieder zu sehen. Wir finden darüber Folgendes: "Am
20. Mai fuhr sie allein mit ihrem Gemahl dorthin -- es sollte
nach Gottes Rathschluß das letzte Mal sein! Erinnerungsvoll
begrüßten sie die alten, traulichen Stätten, die sie so oft in
glücklichen Tagen mit Freud und Wonne gesehen; nicht trennen
konnte und wollte sie sich von jener Anhöhe im Park, die das
Rohrhaus trägt, und die an jenem Tage eine weite Fernsicht
über den mit schwellenden Segeln und zahllosen Schwanen
belebten Havelstrom mit seinen Buchten und Seen, sowie auf
die im schönsten Maiengrün prangenden Wiesen und Aecker bot.
Zu ihren Füßen lag das friedsame Paretz, im Grün der Bäume
halb versteckt die Kirche. Die Sonne neigte sich; tiefer und
länger dehnten sich die Schatten über die Landschaft und mahn-
ten zum Aufbruch. Aber die Königin wollte so lange als
möglich an diesem ihrem Lieblingsorte verbleiben; sie wartete
bis zum Niedergang der Sonne und sprach dann vor sich hin:

"Die Sonne eines Tages geht dahin;
Wer weiß
Wie bald die Sonne unsres Lebens scheidet."

Auf den Wunsch der Königin, den Wagen nicht an dem ent-
fernter liegenden Schlosse, sondern hier an der Landstraße be-
steigen zu dürfen, wodurch der Aufenthalt verlängert wurde,
war das Gefährt beim Rohrhause angelangt. Die Königin schritt
am Arm ihres Gemahls den kurzen Gang zu Füßen der Anhöhe
hinab und durch die Parkthür nach der Landstraße." Das war
am 20. Mai. Am 19. Juli starb sie.

Unvergeßlich blieb dem Könige die Stätte, unvergeßlich das
Wort, das sie hier gesprochen. Er besuchte oft diese Stelle,
doch stets allein, ohne jede Begleitung. Zum Andenken ließ er
hier, wo sie den Park verlassen und den Wagen bestiegen, wo
ihr Fuß zum letzten Mal die Erde von Paretz berührt hatte,
eine gußeiserne gothische Pforte aufstellen.

Diese Pforte, wie es für solchen Platz sich ziemt, entzieht
sich fast dem Auge. Abgelegen an sich, an dunkelster Stelle
des Parks, birgt sich das Gitterthor in dichtem Akaziengebüsch;

Paretz wieder zu ſehen. Wir finden darüber Folgendes: „Am
20. Mai fuhr ſie allein mit ihrem Gemahl dorthin — es ſollte
nach Gottes Rathſchluß das letzte Mal ſein! Erinnerungsvoll
begrüßten ſie die alten, traulichen Stätten, die ſie ſo oft in
glücklichen Tagen mit Freud und Wonne geſehen; nicht trennen
konnte und wollte ſie ſich von jener Anhöhe im Park, die das
Rohrhaus trägt, und die an jenem Tage eine weite Fernſicht
über den mit ſchwellenden Segeln und zahlloſen Schwanen
belebten Havelſtrom mit ſeinen Buchten und Seen, ſowie auf
die im ſchönſten Maiengrün prangenden Wieſen und Aecker bot.
Zu ihren Füßen lag das friedſame Paretz, im Grün der Bäume
halb verſteckt die Kirche. Die Sonne neigte ſich; tiefer und
länger dehnten ſich die Schatten über die Landſchaft und mahn-
ten zum Aufbruch. Aber die Königin wollte ſo lange als
möglich an dieſem ihrem Lieblingsorte verbleiben; ſie wartete
bis zum Niedergang der Sonne und ſprach dann vor ſich hin:

„Die Sonne eines Tages geht dahin;
Wer weiß
Wie bald die Sonne unſres Lebens ſcheidet.“

Auf den Wunſch der Königin, den Wagen nicht an dem ent-
fernter liegenden Schloſſe, ſondern hier an der Landſtraße be-
ſteigen zu dürfen, wodurch der Aufenthalt verlängert wurde,
war das Gefährt beim Rohrhauſe angelangt. Die Königin ſchritt
am Arm ihres Gemahls den kurzen Gang zu Füßen der Anhöhe
hinab und durch die Parkthür nach der Landſtraße.“ Das war
am 20. Mai. Am 19. Juli ſtarb ſie.

Unvergeßlich blieb dem Könige die Stätte, unvergeßlich das
Wort, das ſie hier geſprochen. Er beſuchte oft dieſe Stelle,
doch ſtets allein, ohne jede Begleitung. Zum Andenken ließ er
hier, wo ſie den Park verlaſſen und den Wagen beſtiegen, wo
ihr Fuß zum letzten Mal die Erde von Paretz berührt hatte,
eine gußeiſerne gothiſche Pforte aufſtellen.

Dieſe Pforte, wie es für ſolchen Platz ſich ziemt, entzieht
ſich faſt dem Auge. Abgelegen an ſich, an dunkelſter Stelle
des Parks, birgt ſich das Gitterthor in dichtem Akaziengebüſch;

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[329/0347] Paretz wieder zu ſehen. Wir finden darüber Folgendes: „Am 20. Mai fuhr ſie allein mit ihrem Gemahl dorthin — es ſollte nach Gottes Rathſchluß das letzte Mal ſein! Erinnerungsvoll begrüßten ſie die alten, traulichen Stätten, die ſie ſo oft in glücklichen Tagen mit Freud und Wonne geſehen; nicht trennen konnte und wollte ſie ſich von jener Anhöhe im Park, die das Rohrhaus trägt, und die an jenem Tage eine weite Fernſicht über den mit ſchwellenden Segeln und zahlloſen Schwanen belebten Havelſtrom mit ſeinen Buchten und Seen, ſowie auf die im ſchönſten Maiengrün prangenden Wieſen und Aecker bot. Zu ihren Füßen lag das friedſame Paretz, im Grün der Bäume halb verſteckt die Kirche. Die Sonne neigte ſich; tiefer und länger dehnten ſich die Schatten über die Landſchaft und mahn- ten zum Aufbruch. Aber die Königin wollte ſo lange als möglich an dieſem ihrem Lieblingsorte verbleiben; ſie wartete bis zum Niedergang der Sonne und ſprach dann vor ſich hin: „Die Sonne eines Tages geht dahin; Wer weiß Wie bald die Sonne unſres Lebens ſcheidet.“ Auf den Wunſch der Königin, den Wagen nicht an dem ent- fernter liegenden Schloſſe, ſondern hier an der Landſtraße be- ſteigen zu dürfen, wodurch der Aufenthalt verlängert wurde, war das Gefährt beim Rohrhauſe angelangt. Die Königin ſchritt am Arm ihres Gemahls den kurzen Gang zu Füßen der Anhöhe hinab und durch die Parkthür nach der Landſtraße.“ Das war am 20. Mai. Am 19. Juli ſtarb ſie. Unvergeßlich blieb dem Könige die Stätte, unvergeßlich das Wort, das ſie hier geſprochen. Er beſuchte oft dieſe Stelle, doch ſtets allein, ohne jede Begleitung. Zum Andenken ließ er hier, wo ſie den Park verlaſſen und den Wagen beſtiegen, wo ihr Fuß zum letzten Mal die Erde von Paretz berührt hatte, eine gußeiſerne gothiſche Pforte aufſtellen. Dieſe Pforte, wie es für ſolchen Platz ſich ziemt, entzieht ſich faſt dem Auge. Abgelegen an ſich, an dunkelſter Stelle des Parks, birgt ſich das Gitterthor in dichtem Akaziengebüſch;

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/347>, abgerufen am 23.04.2024.