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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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nur der Spitzbogen ragt in die Helle auf und trägt ein L. und
die Inschrift: "den 20. Mai 1810."

Paretz von 1815--40.

Die Stürme waren verweht; das gedemüthigte Preußen
war zweimal, unter den Klängen des "Pariser Einzugsmarsches,"
in die feindliche Hauptstadt eingezogen; Friede war wieder, und
die paretzer Tage brachen wieder an. Nicht mehr Tage unge-
trübten Glücks; sie, die diese Tage verklärt, diese Tage erst zu
Tagen des Glücks gemacht hatte, sie war nicht mehr; aber Tage
der Erinnerung. Die Zeit heilt Alles; nur ein leises Weh
bleibt, das in sich selber ein Glück ist; ein klarer Spätsommer-
tag, mit einem durchleuchteten Gewölk am Himmel, so erschien
jetzt Paretz.

Nach wie vor wurde das Erntefest gefeiert; ein Jahrzehnt
verging, ein zweites begann. Die Heiterkeit der Dörfler war
dieselbe geblieben, auch ihre Unbefangenheit im Verkehr mit der
"Herrschaft." Eine Alte, der der König im Vorübergehen
versicherte, mit Nächstem würden alle seine Kinder zu Besuch
eintreffen, antwortete ohne Weiteres: "Die Russen ooch?"
Diese vertrauliche Ausdrucksweise mußte sich, hinter seinem
Rücken wenigstens, der allmächtige Zar gefallen lassen! Der
König hatte herzliche Freude an solcher Unbefangenheit und
nährte sie durch hundert kleine Dinge, die zuletzt auch die Scheu
des Allerbefangensten besiegen mußten. Bei einer der Festlich-
keiten, die den "Russen" zu Ehren gegeben wurden, drängte
sich des Schäfers Sohn herzu, ein unglückliches Kind, das an
beiden Füßen gelähmt war, und strengte sich an, über den
dichten Kreis der Umstehenden hinwegzusehen. Niemand sah es,
nur der König. Er ließ ihn zu sich führen, sprach freundlich
zu ihm und gab ihm einen Platz an seiner Seite.

Ueberhaupt die junge Welt hatte es vor Allem gut.*)
Der König, im großen Verkehr beinahe menschenscheu, war ein

*) Allerhand Spiele: Turnen, Wettlaufen, waren an der Tages-
ordnung; die Sieger wurden beschenkt. Unter Anleitung der jungen

nur der Spitzbogen ragt in die Helle auf und trägt ein L. und
die Inſchrift: „den 20. Mai 1810.“

Paretz von 1815—40.

Die Stürme waren verweht; das gedemüthigte Preußen
war zweimal, unter den Klängen des „Pariſer Einzugsmarſches,“
in die feindliche Hauptſtadt eingezogen; Friede war wieder, und
die paretzer Tage brachen wieder an. Nicht mehr Tage unge-
trübten Glücks; ſie, die dieſe Tage verklärt, dieſe Tage erſt zu
Tagen des Glücks gemacht hatte, ſie war nicht mehr; aber Tage
der Erinnerung. Die Zeit heilt Alles; nur ein leiſes Weh
bleibt, das in ſich ſelber ein Glück iſt; ein klarer Spätſommer-
tag, mit einem durchleuchteten Gewölk am Himmel, ſo erſchien
jetzt Paretz.

Nach wie vor wurde das Erntefeſt gefeiert; ein Jahrzehnt
verging, ein zweites begann. Die Heiterkeit der Dörfler war
dieſelbe geblieben, auch ihre Unbefangenheit im Verkehr mit der
„Herrſchaft.“ Eine Alte, der der König im Vorübergehen
verſicherte, mit Nächſtem würden alle ſeine Kinder zu Beſuch
eintreffen, antwortete ohne Weiteres: „Die Ruſſen ooch?“
Dieſe vertrauliche Ausdrucksweiſe mußte ſich, hinter ſeinem
Rücken wenigſtens, der allmächtige Zar gefallen laſſen! Der
König hatte herzliche Freude an ſolcher Unbefangenheit und
nährte ſie durch hundert kleine Dinge, die zuletzt auch die Scheu
des Allerbefangenſten beſiegen mußten. Bei einer der Feſtlich-
keiten, die den „Ruſſen“ zu Ehren gegeben wurden, drängte
ſich des Schäfers Sohn herzu, ein unglückliches Kind, das an
beiden Füßen gelähmt war, und ſtrengte ſich an, über den
dichten Kreis der Umſtehenden hinwegzuſehen. Niemand ſah es,
nur der König. Er ließ ihn zu ſich führen, ſprach freundlich
zu ihm und gab ihm einen Platz an ſeiner Seite.

Ueberhaupt die junge Welt hatte es vor Allem gut.*)
Der König, im großen Verkehr beinahe menſchenſcheu, war ein

*) Allerhand Spiele: Turnen, Wettlaufen, waren an der Tages-
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[330/0348] nur der Spitzbogen ragt in die Helle auf und trägt ein L. und die Inſchrift: „den 20. Mai 1810.“ Paretz von 1815—40. Die Stürme waren verweht; das gedemüthigte Preußen war zweimal, unter den Klängen des „Pariſer Einzugsmarſches,“ in die feindliche Hauptſtadt eingezogen; Friede war wieder, und die paretzer Tage brachen wieder an. Nicht mehr Tage unge- trübten Glücks; ſie, die dieſe Tage verklärt, dieſe Tage erſt zu Tagen des Glücks gemacht hatte, ſie war nicht mehr; aber Tage der Erinnerung. Die Zeit heilt Alles; nur ein leiſes Weh bleibt, das in ſich ſelber ein Glück iſt; ein klarer Spätſommer- tag, mit einem durchleuchteten Gewölk am Himmel, ſo erſchien jetzt Paretz. Nach wie vor wurde das Erntefeſt gefeiert; ein Jahrzehnt verging, ein zweites begann. Die Heiterkeit der Dörfler war dieſelbe geblieben, auch ihre Unbefangenheit im Verkehr mit der „Herrſchaft.“ Eine Alte, der der König im Vorübergehen verſicherte, mit Nächſtem würden alle ſeine Kinder zu Beſuch eintreffen, antwortete ohne Weiteres: „Die Ruſſen ooch?“ Dieſe vertrauliche Ausdrucksweiſe mußte ſich, hinter ſeinem Rücken wenigſtens, der allmächtige Zar gefallen laſſen! Der König hatte herzliche Freude an ſolcher Unbefangenheit und nährte ſie durch hundert kleine Dinge, die zuletzt auch die Scheu des Allerbefangenſten beſiegen mußten. Bei einer der Feſtlich- keiten, die den „Ruſſen“ zu Ehren gegeben wurden, drängte ſich des Schäfers Sohn herzu, ein unglückliches Kind, das an beiden Füßen gelähmt war, und ſtrengte ſich an, über den dichten Kreis der Umſtehenden hinwegzuſehen. Niemand ſah es, nur der König. Er ließ ihn zu ſich führen, ſprach freundlich zu ihm und gab ihm einen Platz an ſeiner Seite. Ueberhaupt die junge Welt hatte es vor Allem gut. *) Der König, im großen Verkehr beinahe menſchenſcheu, war ein *) Allerhand Spiele: Turnen, Wettlaufen, waren an der Tages- ordnung; die Sieger wurden beſchenkt. Unter Anleitung der jungen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/348>, abgerufen am 28.03.2024.