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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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ausgesprochener Kinderfreund. So begegnete er einstmals, wäh-
rend er im Schloßpark aus einem mit Pflaumen und Wein-
trauben gefüllten Körbchen aß, einem Jungen und fragte ihn,
ob er wohl eine Pflaume haben wollte. Der Junge, ein echter
Märker, schielte über das Körbchen hin und bemerkte: "Nee;
Plummen hebben wi alleen to Huus; wenn't noch eene Wien-
druv' wär." Der König lachte und gab. -- Einen andern
hübschen Zug erzählt Eylert. "Hast Du schon mal Ananas
gegessen?" fragte der König. "Nee, Majestät." -- "Na,
dann iß, aber mit Bedacht. Was schmeckst Du heraus?" Der
Junge, an den die Frage gerichtet war, kaute, besann sich
und sagte dann: "Wurst." Alles lachte. Der König aber
bemerkte ruhig: "So trägt Jeder seinen Maßstab in sich.
Dem Einen schmeckt die Ananas wie Melone, dem Andern
wie Birne oder Pflaume, diesem wie Wurst. Er bleibt in
seinem Gefühlskreise." In den Speisesaal zurücktretend, wo
sich ein Fenster mit vielfarbigem Glase befand, fuhr er
fort: "Wer die Gegenstände draußen durch diese violettfar-
bige Scheibe anschaut, hält Alles, was er sieht, für vio-
lett; so ein Anderer Alles für grün oder gelb, je nach dem
Glas, durch das er blickt. Jeder behauptet Recht zu haben,
und doch haben Alle Unrecht und des Widerspruchs und Dis-

Prinzen Karl und Albrecht kam die Bildung einer Art "Paretzer Legion"
zu Stande, die im Feuer exerzirte und manövrirte, wobei sieben kleine
Kanonen benutzt wurden, von denen eine, mit dem Greif und der Jah-
reszahl 1588, bis diesen Tag unter den Dörflern existirt. Bei einer
bestimmten Gelegenheit, -- es mochte um 1820 sein, als die "Russen"
einen ihrer Sommerbesuche machten, -- kam es zu einem vollständigen
Gefecht zwischen der paretzer Legion und den Zöglingen des potsdamer
Militär-Waisenhauses, die nach Paretz hinaus befohlen und mit ihren
Waffen erschienen waren. Die Legionäre nahmen ihnen, in einem unbe-
wachten Augenblick, die Waffen fort, bezogen unter Führung und An-
feuerung des Großfürsten eine Art Waldposition und behaupteten sich
im Besitz ihrer Beutestücke. Der König folgte der Bataille mit dem
lebhaftesten Interesse und meinte schließlich: "Die Dorfluft scheine doch
derber zu machen."

ausgeſprochener Kinderfreund. So begegnete er einſtmals, wäh-
rend er im Schloßpark aus einem mit Pflaumen und Wein-
trauben gefüllten Körbchen aß, einem Jungen und fragte ihn,
ob er wohl eine Pflaume haben wollte. Der Junge, ein echter
Märker, ſchielte über das Körbchen hin und bemerkte: „Nee;
Plummen hebben wi alleen to Huus; wenn’t noch eene Wien-
druv’ wär.“ Der König lachte und gab. — Einen andern
hübſchen Zug erzählt Eylert. „Haſt Du ſchon mal Ananas
gegeſſen?“ fragte der König. „Nee, Majeſtät.“ — „Na,
dann iß, aber mit Bedacht. Was ſchmeckſt Du heraus?“ Der
Junge, an den die Frage gerichtet war, kaute, beſann ſich
und ſagte dann: „Wurſt.“ Alles lachte. Der König aber
bemerkte ruhig: „So trägt Jeder ſeinen Maßſtab in ſich.
Dem Einen ſchmeckt die Ananas wie Melone, dem Andern
wie Birne oder Pflaume, dieſem wie Wurſt. Er bleibt in
ſeinem Gefühlskreiſe.“ In den Speiſeſaal zurücktretend, wo
ſich ein Fenſter mit vielfarbigem Glaſe befand, fuhr er
fort: „Wer die Gegenſtände draußen durch dieſe violettfar-
bige Scheibe anſchaut, hält Alles, was er ſieht, für vio-
lett; ſo ein Anderer Alles für grün oder gelb, je nach dem
Glas, durch das er blickt. Jeder behauptet Recht zu haben,
und doch haben Alle Unrecht und des Widerſpruchs und Dis-

Prinzen Karl und Albrecht kam die Bildung einer Art „Paretzer Legion“
zu Stande, die im Feuer exerzirte und manövrirte, wobei ſieben kleine
Kanonen benutzt wurden, von denen eine, mit dem Greif und der Jah-
reszahl 1588, bis dieſen Tag unter den Dörflern exiſtirt. Bei einer
beſtimmten Gelegenheit, — es mochte um 1820 ſein, als die „Ruſſen“
einen ihrer Sommerbeſuche machten, — kam es zu einem vollſtändigen
Gefecht zwiſchen der paretzer Legion und den Zöglingen des potsdamer
Militär-Waiſenhauſes, die nach Paretz hinaus befohlen und mit ihren
Waffen erſchienen waren. Die Legionäre nahmen ihnen, in einem unbe-
wachten Augenblick, die Waffen fort, bezogen unter Führung und An-
feuerung des Großfürſten eine Art Waldpoſition und behaupteten ſich
im Beſitz ihrer Beuteſtücke. Der König folgte der Bataille mit dem
lebhafteſten Intereſſe und meinte ſchließlich: „Die Dorfluft ſcheine doch
derber zu machen.“
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[331/0349] ausgeſprochener Kinderfreund. So begegnete er einſtmals, wäh- rend er im Schloßpark aus einem mit Pflaumen und Wein- trauben gefüllten Körbchen aß, einem Jungen und fragte ihn, ob er wohl eine Pflaume haben wollte. Der Junge, ein echter Märker, ſchielte über das Körbchen hin und bemerkte: „Nee; Plummen hebben wi alleen to Huus; wenn’t noch eene Wien- druv’ wär.“ Der König lachte und gab. — Einen andern hübſchen Zug erzählt Eylert. „Haſt Du ſchon mal Ananas gegeſſen?“ fragte der König. „Nee, Majeſtät.“ — „Na, dann iß, aber mit Bedacht. Was ſchmeckſt Du heraus?“ Der Junge, an den die Frage gerichtet war, kaute, beſann ſich und ſagte dann: „Wurſt.“ Alles lachte. Der König aber bemerkte ruhig: „So trägt Jeder ſeinen Maßſtab in ſich. Dem Einen ſchmeckt die Ananas wie Melone, dem Andern wie Birne oder Pflaume, dieſem wie Wurſt. Er bleibt in ſeinem Gefühlskreiſe.“ In den Speiſeſaal zurücktretend, wo ſich ein Fenſter mit vielfarbigem Glaſe befand, fuhr er fort: „Wer die Gegenſtände draußen durch dieſe violettfar- bige Scheibe anſchaut, hält Alles, was er ſieht, für vio- lett; ſo ein Anderer Alles für grün oder gelb, je nach dem Glas, durch das er blickt. Jeder behauptet Recht zu haben, und doch haben Alle Unrecht und des Widerſpruchs und Dis- *) *) Prinzen Karl und Albrecht kam die Bildung einer Art „Paretzer Legion“ zu Stande, die im Feuer exerzirte und manövrirte, wobei ſieben kleine Kanonen benutzt wurden, von denen eine, mit dem Greif und der Jah- reszahl 1588, bis dieſen Tag unter den Dörflern exiſtirt. Bei einer beſtimmten Gelegenheit, — es mochte um 1820 ſein, als die „Ruſſen“ einen ihrer Sommerbeſuche machten, — kam es zu einem vollſtändigen Gefecht zwiſchen der paretzer Legion und den Zöglingen des potsdamer Militär-Waiſenhauſes, die nach Paretz hinaus befohlen und mit ihren Waffen erſchienen waren. Die Legionäre nahmen ihnen, in einem unbe- wachten Augenblick, die Waffen fort, bezogen unter Führung und An- feuerung des Großfürſten eine Art Waldpoſition und behaupteten ſich im Beſitz ihrer Beuteſtücke. Der König folgte der Bataille mit dem lebhafteſten Intereſſe und meinte ſchließlich: „Die Dorfluft ſcheine doch derber zu machen.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/349>, abgerufen am 28.03.2024.