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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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braten und Salat. Dem Assessor gegenüber saß die Hotelfrau,
eine blasse Dame von 33, mit Korkzieherlocken, eine jener
Schlankaufgeschossenen, die ihren unbefriedigten Empfindungen
durch Schärfe der Stimme Ausdruck geben. An dem Assessor
war bisher Alles gescheitert. Das war sein Unglück. Längst
lauerte die Rache. Er schob heute eine Gartenschnecke, die sich,
als er Salat genommen, durch Klappern auf dem Teller sofort
bemerkbar gemacht hatte, leise-verlegen auf den Tellerrand und
stellte, Vorahnung im Gemüthe, die Wasserkaraffe wie einen
Schirm zwischen sich und die Wirthin. Aber was er vermeiden
wollte, beschwor er nur herauf; die Schnecke, mit Hilfe eben
dieser Wasserkaraffe, nahm für sein vis-a-vis wahre Riesen-
Dimensionen an; sie sollte es (so flüsterte ihr der Verdacht zu),
der Affront also unverkennbar. Alle 33 Locken, sie gingen mit
der Jahreszahl, begannen zu zittern und über den Tisch hin
klang es: "Herr Assessor, wenn es Ihnen bei mir nicht schmeckt,
so muß ich Sie bitten, anderswo zu essen." Man muß in
Trebbin gewesen sein, um den schneidenden Hohn, die ganze
Tragweite dieses "anderswo" zu begreifen.

Der Vorgang selbst aber erschien mir immer als die Sig-
natur der Stadt von damals; auch von heute noch, trotz Zug-
Gerassel und Lokomotiven-Pfiff.

Wir durchgingen die Straßen, überall dasselbe Bild der
Oede; die Kirche so trist wie die Stadt, die Stadt so trist wie
die Kirche. Hier und dort spreizte sich eine Toilette, das ein-
zige, woran sich die Nähe der Hauptstadt erkennen ließ, aber
dieser bunte Flitter ließ die Stadt nur um so farbloser, und
die farblose Stadt wiederum den Flitter nur um so prahlerischer
und schreiender erscheinen.

Menschen, Häuser, Kirche, sie gaben nichts heraus; in
dieser Noth griff ich zu einem letzten Mittel, -- ich ging hinaus
zu jenem stillen Garten vorm Thor, wo ich so oft schon stille
Städte, Städte, "die nichts sagen wollten," unvergeßlich lieb-
gewonnen hatte. Das Beste, was ein Ort hat, verbirgt er
oft am tiefsten, und der flüchtig Reisende kann nicht erwarten,

braten und Salat. Dem Aſſeſſor gegenüber ſaß die Hotelfrau,
eine blaſſe Dame von 33, mit Korkzieherlocken, eine jener
Schlankaufgeſchoſſenen, die ihren unbefriedigten Empfindungen
durch Schärfe der Stimme Ausdruck geben. An dem Aſſeſſor
war bisher Alles geſcheitert. Das war ſein Unglück. Längſt
lauerte die Rache. Er ſchob heute eine Gartenſchnecke, die ſich,
als er Salat genommen, durch Klappern auf dem Teller ſofort
bemerkbar gemacht hatte, leiſe-verlegen auf den Tellerrand und
ſtellte, Vorahnung im Gemüthe, die Waſſerkaraffe wie einen
Schirm zwiſchen ſich und die Wirthin. Aber was er vermeiden
wollte, beſchwor er nur herauf; die Schnecke, mit Hilfe eben
dieſer Waſſerkaraffe, nahm für ſein vis-à-vis wahre Rieſen-
Dimenſionen an; ſie ſollte es (ſo flüſterte ihr der Verdacht zu),
der Affront alſo unverkennbar. Alle 33 Locken, ſie gingen mit
der Jahreszahl, begannen zu zittern und über den Tiſch hin
klang es: „Herr Aſſeſſor, wenn es Ihnen bei mir nicht ſchmeckt,
ſo muß ich Sie bitten, anderswo zu eſſen.“ Man muß in
Trebbin geweſen ſein, um den ſchneidenden Hohn, die ganze
Tragweite dieſes „anderswo“ zu begreifen.

Der Vorgang ſelbſt aber erſchien mir immer als die Sig-
natur der Stadt von damals; auch von heute noch, trotz Zug-
Geraſſel und Lokomotiven-Pfiff.

Wir durchgingen die Straßen, überall daſſelbe Bild der
Oede; die Kirche ſo triſt wie die Stadt, die Stadt ſo triſt wie
die Kirche. Hier und dort ſpreizte ſich eine Toilette, das ein-
zige, woran ſich die Nähe der Hauptſtadt erkennen ließ, aber
dieſer bunte Flitter ließ die Stadt nur um ſo farbloſer, und
die farbloſe Stadt wiederum den Flitter nur um ſo prahleriſcher
und ſchreiender erſcheinen.

Menſchen, Häuſer, Kirche, ſie gaben nichts heraus; in
dieſer Noth griff ich zu einem letzten Mittel, — ich ging hinaus
zu jenem ſtillen Garten vorm Thor, wo ich ſo oft ſchon ſtille
Städte, Städte, „die nichts ſagen wollten,“ unvergeßlich lieb-
gewonnen hatte. Das Beſte, was ein Ort hat, verbirgt er
oft am tiefſten, und der flüchtig Reiſende kann nicht erwarten,

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[380/0398] braten und Salat. Dem Aſſeſſor gegenüber ſaß die Hotelfrau, eine blaſſe Dame von 33, mit Korkzieherlocken, eine jener Schlankaufgeſchoſſenen, die ihren unbefriedigten Empfindungen durch Schärfe der Stimme Ausdruck geben. An dem Aſſeſſor war bisher Alles geſcheitert. Das war ſein Unglück. Längſt lauerte die Rache. Er ſchob heute eine Gartenſchnecke, die ſich, als er Salat genommen, durch Klappern auf dem Teller ſofort bemerkbar gemacht hatte, leiſe-verlegen auf den Tellerrand und ſtellte, Vorahnung im Gemüthe, die Waſſerkaraffe wie einen Schirm zwiſchen ſich und die Wirthin. Aber was er vermeiden wollte, beſchwor er nur herauf; die Schnecke, mit Hilfe eben dieſer Waſſerkaraffe, nahm für ſein vis-à-vis wahre Rieſen- Dimenſionen an; ſie ſollte es (ſo flüſterte ihr der Verdacht zu), der Affront alſo unverkennbar. Alle 33 Locken, ſie gingen mit der Jahreszahl, begannen zu zittern und über den Tiſch hin klang es: „Herr Aſſeſſor, wenn es Ihnen bei mir nicht ſchmeckt, ſo muß ich Sie bitten, anderswo zu eſſen.“ Man muß in Trebbin geweſen ſein, um den ſchneidenden Hohn, die ganze Tragweite dieſes „anderswo“ zu begreifen. Der Vorgang ſelbſt aber erſchien mir immer als die Sig- natur der Stadt von damals; auch von heute noch, trotz Zug- Geraſſel und Lokomotiven-Pfiff. Wir durchgingen die Straßen, überall daſſelbe Bild der Oede; die Kirche ſo triſt wie die Stadt, die Stadt ſo triſt wie die Kirche. Hier und dort ſpreizte ſich eine Toilette, das ein- zige, woran ſich die Nähe der Hauptſtadt erkennen ließ, aber dieſer bunte Flitter ließ die Stadt nur um ſo farbloſer, und die farbloſe Stadt wiederum den Flitter nur um ſo prahleriſcher und ſchreiender erſcheinen. Menſchen, Häuſer, Kirche, ſie gaben nichts heraus; in dieſer Noth griff ich zu einem letzten Mittel, — ich ging hinaus zu jenem ſtillen Garten vorm Thor, wo ich ſo oft ſchon ſtille Städte, Städte, „die nichts ſagen wollten,“ unvergeßlich lieb- gewonnen hatte. Das Beſte, was ein Ort hat, verbirgt er oft am tiefſten, und der flüchtig Reiſende kann nicht erwarten,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/398>, abgerufen am 25.04.2024.