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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Und nun ist der Gottesdienst aus, und steif und stattlich
gehen die Männer und Frauen an uns vorüber. Ihre Köpfe sind
charaktervoll, aber nicht hübsch; ihre Haltung voll Würde. Wir
warteten die letzten ab und kehrten dann erst in unsern Gasthof
zurück, wo wir uns eine halbe Stunde später durch Cantor Klinge-
stein -- eine Spreewalds-Autorität, an die wir von Berlin her
empfohlen waren -- begrüßt sahen.

Er übernahm unsere Führung.


2.
Lehde.

Er übernahm unsere Führung sagt' ich, und nach kurzem
Gange durch Stadt und Park erreichten wir den Haupt-Spreearm,
auf dem die für uns bestimmte Gondel bereits im Schatten eines
Buchenganges lag. Drei Bänke mit Polster und Rücklehne ver-
sprachen möglichste Bequemlichkeit, während ein Flaschenkorb von
bemerkenswerthem Umfang -- aus dem, so oft der Wind das
Decktuch ein wenig zur Seite wehte, verschiedene roth und gelb
gesiegelte Flaschen hervorlugten -- auch noch für mehr als bloße
Bequemlichkeit sorgen zu wollen schien. Am Stern des Bootes,
das lange Ruder in der Hand, stand Christian Birkig, ein Funf-
ziger mit hohen Backenknochen und eingedrückten Schläfen, dem
für gewöhnlich die nächtliche Sicherheit Lübbenaus, heut aber der
Ruder- und Steuermannsdienst in unserem Spreeboot oblag.

Wir stiegen ein und die Fahrt begann. Gleich die erste
halbe Meile ist ein landschaftliches Kabinetstück und wird in so-
weit durch nichts Folgendes übertroffen, als es die Besonderheit
des Spreewaldes: seinen Netz- und Insel-Charakter, am deut-
lichsten zeigt. Dieser Netz- und Insel-Charakter ist freilich überall
vorhanden, aber er verbirgt sich vielfach, und nur Derjenige, der
in einem Luftballon über das vieldurchschnittene Terrain hinweg-
flöge, würde die zu Maschen geschlungenen Flußfäden allerorten in
ähnlicher Deutlichkeit wie zwischen Lübbenau und Lehde zu seinen
Füßen sehen.

Und nun iſt der Gottesdienſt aus, und ſteif und ſtattlich
gehen die Männer und Frauen an uns vorüber. Ihre Köpfe ſind
charaktervoll, aber nicht hübſch; ihre Haltung voll Würde. Wir
warteten die letzten ab und kehrten dann erſt in unſern Gaſthof
zurück, wo wir uns eine halbe Stunde ſpäter durch Cantor Klinge-
ſtein — eine Spreewalds-Autorität, an die wir von Berlin her
empfohlen waren — begrüßt ſahen.

Er übernahm unſere Führung.


2.
Lehde.

Er übernahm unſere Führung ſagt’ ich, und nach kurzem
Gange durch Stadt und Park erreichten wir den Haupt-Spreearm,
auf dem die für uns beſtimmte Gondel bereits im Schatten eines
Buchenganges lag. Drei Bänke mit Polſter und Rücklehne ver-
ſprachen möglichſte Bequemlichkeit, während ein Flaſchenkorb von
bemerkenswerthem Umfang — aus dem, ſo oft der Wind das
Decktuch ein wenig zur Seite wehte, verſchiedene roth und gelb
geſiegelte Flaſchen hervorlugten — auch noch für mehr als bloße
Bequemlichkeit ſorgen zu wollen ſchien. Am Stern des Bootes,
das lange Ruder in der Hand, ſtand Chriſtian Birkig, ein Funf-
ziger mit hohen Backenknochen und eingedrückten Schläfen, dem
für gewöhnlich die nächtliche Sicherheit Lübbenaus, heut aber der
Ruder- und Steuermannsdienſt in unſerem Spreeboot oblag.

Wir ſtiegen ein und die Fahrt begann. Gleich die erſte
halbe Meile iſt ein landſchaftliches Kabinetſtück und wird in ſo-
weit durch nichts Folgendes übertroffen, als es die Beſonderheit
des Spreewaldes: ſeinen Netz- und Inſel-Charakter, am deut-
lichſten zeigt. Dieſer Netz- und Inſel-Charakter iſt freilich überall
vorhanden, aber er verbirgt ſich vielfach, und nur Derjenige, der
in einem Luftballon über das vieldurchſchnittene Terrain hinweg-
flöge, würde die zu Maſchen geſchlungenen Flußfäden allerorten in
ähnlicher Deutlichkeit wie zwiſchen Lübbenau und Lehde zu ſeinen
Füßen ſehen.

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[6/0022] Und nun iſt der Gottesdienſt aus, und ſteif und ſtattlich gehen die Männer und Frauen an uns vorüber. Ihre Köpfe ſind charaktervoll, aber nicht hübſch; ihre Haltung voll Würde. Wir warteten die letzten ab und kehrten dann erſt in unſern Gaſthof zurück, wo wir uns eine halbe Stunde ſpäter durch Cantor Klinge- ſtein — eine Spreewalds-Autorität, an die wir von Berlin her empfohlen waren — begrüßt ſahen. Er übernahm unſere Führung. 2. Lehde. Er übernahm unſere Führung ſagt’ ich, und nach kurzem Gange durch Stadt und Park erreichten wir den Haupt-Spreearm, auf dem die für uns beſtimmte Gondel bereits im Schatten eines Buchenganges lag. Drei Bänke mit Polſter und Rücklehne ver- ſprachen möglichſte Bequemlichkeit, während ein Flaſchenkorb von bemerkenswerthem Umfang — aus dem, ſo oft der Wind das Decktuch ein wenig zur Seite wehte, verſchiedene roth und gelb geſiegelte Flaſchen hervorlugten — auch noch für mehr als bloße Bequemlichkeit ſorgen zu wollen ſchien. Am Stern des Bootes, das lange Ruder in der Hand, ſtand Chriſtian Birkig, ein Funf- ziger mit hohen Backenknochen und eingedrückten Schläfen, dem für gewöhnlich die nächtliche Sicherheit Lübbenaus, heut aber der Ruder- und Steuermannsdienſt in unſerem Spreeboot oblag. Wir ſtiegen ein und die Fahrt begann. Gleich die erſte halbe Meile iſt ein landſchaftliches Kabinetſtück und wird in ſo- weit durch nichts Folgendes übertroffen, als es die Beſonderheit des Spreewaldes: ſeinen Netz- und Inſel-Charakter, am deut- lichſten zeigt. Dieſer Netz- und Inſel-Charakter iſt freilich überall vorhanden, aber er verbirgt ſich vielfach, und nur Derjenige, der in einem Luftballon über das vieldurchſchnittene Terrain hinweg- flöge, würde die zu Maſchen geſchlungenen Flußfäden allerorten in ähnlicher Deutlichkeit wie zwiſchen Lübbenau und Lehde zu ſeinen Füßen ſehen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/22>, abgerufen am 25.04.2024.