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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Woche verkauft. Das würde nichts sagen in Hamburg oder Liver-
pool, wo man gewohnt ist nach Lasten und Tonnen zu rechnen,
aber "jede Stelle hat ihre Elle", was erwogen für diese 800 Schock
eine gute Reputation ergiebt. Im Uebrigen verweilt Lübbenau
nicht einseitig bei dem Verkauf eines Artikels, der schließlich doch
vielleicht den Spott herausfordern könnte, Kürbis und Meerrettig*)
schließen sich ebenbürtig an und vor allem die Sellerie, hinsicht-
lich deren Vorzüge die Meinungen nicht leicht auseinandergehen.

Wir halten nun vor dem geräumigen Gasthofe "Zum brau-
nen Hirsch", darin das Amt eines Kellners noch ausschließlich
durch eine Spreewalds-Schönheit verwaltet wird, und nachdem
wir Toilette gemacht und einen Imbiß genommen haben, brechen
wir auf, um keine der spärlich zugemessenen Stunden zu verlieren.
Ein Leichenzug kommt über den Platz und acht Träger tragen
den Sarg, über den eine schwarze, tief herabhängende Sammet-
decke gebreitet ist, aus dem Kirchenportal aber, daran der Zug
eben vorüberzieht, erklingt Orgel und Gesang, und wir treten ein,
um eine wendische Gemeinde, lauter Spreewalds-Leute, ver-
sammelt zu sehen.

Es bot sich uns ein guter Uebersichtsplatz; Männer und
Frauen saßen getrennt, und nur die Frauen, so viel ich wahr-
nehmen konnte, trugen noch ihr specielles Spreewald-Costüm. In
jedem Einzelpunkte das Spezielle darin nachzuweisen, ist eine
Aufgabe, der ich mich nicht gewachsen fühle. Der kurze falten-
reiche Friesrock, das knappe Mieder, das Busentuch, die Schnallen-
schuhe, selbst die bunten seidenen Bänder, die, mit großem Luxus
gewählt, über die Brust fallen, sind aller Orten in wenigstens
ähnlicher Weise vorkommende Dinge, wogegen mir der Kopfputz

*) Ueber Meerrettig-Produktion und Meerrettig-Verkauf stehe hier
noch das folgende. Der Herbst ist die Zeit der Lübbenauer Meerrettigmärkte.
Jeden Sonnabend, so lange das Wasser eisfrei bleibt, bringen die Spree-
wäldler, namentlich die von Burg, ihre Waare zu Markt, und es bedecken
dann 2 bis 300 mit Meerrettig beladene Kähne den Ausladeplatz an
der Spree. Groß- und Kleinhändler aus vielen Städten und Ländern
erscheinen um diese Zeit, um ihren Einkauf zu machen. In der Regel werden
in Lübbenau 20,000 Centner verkauft, was einer Einnahme von 600,000 Mark
gleichkommt. Ich gebe diese Zahlen ohne Gewähr, wie ich sie finde.

Woche verkauft. Das würde nichts ſagen in Hamburg oder Liver-
pool, wo man gewohnt iſt nach Laſten und Tonnen zu rechnen,
aber „jede Stelle hat ihre Elle“, was erwogen für dieſe 800 Schock
eine gute Reputation ergiebt. Im Uebrigen verweilt Lübbenau
nicht einſeitig bei dem Verkauf eines Artikels, der ſchließlich doch
vielleicht den Spott herausfordern könnte, Kürbis und Meerrettig*)
ſchließen ſich ebenbürtig an und vor allem die Sellerie, hinſicht-
lich deren Vorzüge die Meinungen nicht leicht auseinandergehen.

Wir halten nun vor dem geräumigen Gaſthofe „Zum brau-
nen Hirſch“, darin das Amt eines Kellners noch ausſchließlich
durch eine Spreewalds-Schönheit verwaltet wird, und nachdem
wir Toilette gemacht und einen Imbiß genommen haben, brechen
wir auf, um keine der ſpärlich zugemeſſenen Stunden zu verlieren.
Ein Leichenzug kommt über den Platz und acht Träger tragen
den Sarg, über den eine ſchwarze, tief herabhängende Sammet-
decke gebreitet iſt, aus dem Kirchenportal aber, daran der Zug
eben vorüberzieht, erklingt Orgel und Geſang, und wir treten ein,
um eine wendiſche Gemeinde, lauter Spreewalds-Leute, ver-
ſammelt zu ſehen.

Es bot ſich uns ein guter Ueberſichtsplatz; Männer und
Frauen ſaßen getrennt, und nur die Frauen, ſo viel ich wahr-
nehmen konnte, trugen noch ihr ſpecielles Spreewald-Coſtüm. In
jedem Einzelpunkte das Spezielle darin nachzuweiſen, iſt eine
Aufgabe, der ich mich nicht gewachſen fühle. Der kurze falten-
reiche Friesrock, das knappe Mieder, das Buſentuch, die Schnallen-
ſchuhe, ſelbſt die bunten ſeidenen Bänder, die, mit großem Luxus
gewählt, über die Bruſt fallen, ſind aller Orten in wenigſtens
ähnlicher Weiſe vorkommende Dinge, wogegen mir der Kopfputz

*) Ueber Meerrettig-Produktion und Meerrettig-Verkauf ſtehe hier
noch das folgende. Der Herbſt iſt die Zeit der Lübbenauer Meerrettigmärkte.
Jeden Sonnabend, ſo lange das Waſſer eisfrei bleibt, bringen die Spree-
wäldler, namentlich die von Burg, ihre Waare zu Markt, und es bedecken
dann 2 bis 300 mit Meerrettig beladene Kähne den Ausladeplatz an
der Spree. Groß- und Kleinhändler aus vielen Städten und Ländern
erſcheinen um dieſe Zeit, um ihren Einkauf zu machen. In der Regel werden
in Lübbenau 20,000 Centner verkauft, was einer Einnahme von 600,000 Mark
gleichkommt. Ich gebe dieſe Zahlen ohne Gewähr, wie ich ſie finde.
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[4/0020] Woche verkauft. Das würde nichts ſagen in Hamburg oder Liver- pool, wo man gewohnt iſt nach Laſten und Tonnen zu rechnen, aber „jede Stelle hat ihre Elle“, was erwogen für dieſe 800 Schock eine gute Reputation ergiebt. Im Uebrigen verweilt Lübbenau nicht einſeitig bei dem Verkauf eines Artikels, der ſchließlich doch vielleicht den Spott herausfordern könnte, Kürbis und Meerrettig *) ſchließen ſich ebenbürtig an und vor allem die Sellerie, hinſicht- lich deren Vorzüge die Meinungen nicht leicht auseinandergehen. Wir halten nun vor dem geräumigen Gaſthofe „Zum brau- nen Hirſch“, darin das Amt eines Kellners noch ausſchließlich durch eine Spreewalds-Schönheit verwaltet wird, und nachdem wir Toilette gemacht und einen Imbiß genommen haben, brechen wir auf, um keine der ſpärlich zugemeſſenen Stunden zu verlieren. Ein Leichenzug kommt über den Platz und acht Träger tragen den Sarg, über den eine ſchwarze, tief herabhängende Sammet- decke gebreitet iſt, aus dem Kirchenportal aber, daran der Zug eben vorüberzieht, erklingt Orgel und Geſang, und wir treten ein, um eine wendiſche Gemeinde, lauter Spreewalds-Leute, ver- ſammelt zu ſehen. Es bot ſich uns ein guter Ueberſichtsplatz; Männer und Frauen ſaßen getrennt, und nur die Frauen, ſo viel ich wahr- nehmen konnte, trugen noch ihr ſpecielles Spreewald-Coſtüm. In jedem Einzelpunkte das Spezielle darin nachzuweiſen, iſt eine Aufgabe, der ich mich nicht gewachſen fühle. Der kurze falten- reiche Friesrock, das knappe Mieder, das Buſentuch, die Schnallen- ſchuhe, ſelbſt die bunten ſeidenen Bänder, die, mit großem Luxus gewählt, über die Bruſt fallen, ſind aller Orten in wenigſtens ähnlicher Weiſe vorkommende Dinge, wogegen mir der Kopfputz *) Ueber Meerrettig-Produktion und Meerrettig-Verkauf ſtehe hier noch das folgende. Der Herbſt iſt die Zeit der Lübbenauer Meerrettigmärkte. Jeden Sonnabend, ſo lange das Waſſer eisfrei bleibt, bringen die Spree- wäldler, namentlich die von Burg, ihre Waare zu Markt, und es bedecken dann 2 bis 300 mit Meerrettig beladene Kähne den Ausladeplatz an der Spree. Groß- und Kleinhändler aus vielen Städten und Ländern erſcheinen um dieſe Zeit, um ihren Einkauf zu machen. In der Regel werden in Lübbenau 20,000 Centner verkauft, was einer Einnahme von 600,000 Mark gleichkommt. Ich gebe dieſe Zahlen ohne Gewähr, wie ich ſie finde.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/20>, abgerufen am 28.03.2024.