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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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sich ein kleiner Born, aus dem man mit vieler Kunst einen Spring-
brunnen gemacht hatte. Er war mit einem eisernen Geländer um-
geben, einige Stufen führten hinauf, und dies war der Platz, den
sich der König Abends zum Tabackrauchen auszuwählen pflegte.
Meine Schwester Charlotte (später Herzogin von Braunschweig)
und ich, hatten für uns und unser ganzes Gefolge nur zwei Zimmer
oder vielmehr zwei Dachstübchen. Wie auch das Wetter sein mochte,
wir aßen zu Mittag immer im Freien unter einem Zelte, das
unter einer großen Linde aufgeschlagen war. Bei starkem Regen
saßen wir bis an die Waden im Wasser, da der Platz vertieft
war. Wir waren immer 24 Personen zu Tisch, von denen drei
Viertel jederzeit fasteten, denn es wurden nie mehr als sechs
Schüsseln aufgetragen und diese waren so schmal zugeschnitten, daß
ein nur halbwegs hungriger Mensch sie mit vieler Bequemlichkeit
allein aufzehren konnte*) .... In Berlin hatte ich das Feg-
feuer, in Wusterhausen aber die Hölle zu erdulden."

So die Markgräfin, die frühere Prinzessin Wilhelmine. Ich
schlug das Buch zu und trat an das offene Fenster, durch das
der heitere Lärm schwatzender Menschen zu mir herauf drang.
Das Zimmer lag im ersten Stock und die Kronen der abgestutzten
Lindenbäume ragten bis zur Fensterbrüstung auf, so daß ich
meinen Kopf in ihrem Blattwerk verstecken konnte. Drüben, an
der andern Seite der Straße, zog sich einer der Cavalierflügel des

*) Prinzessin Wilhelmine (die Markgräfin) erzählt an einer andern Stelle
ihrer Memoiren: "ich war all die Zeit über so leidend, daß ich versichern darf,
zwei Jahre lang von nichts anderem als Wasser und trocken Brot gelebt zu
haben." Aehnliche Klagen wiederholen sich. Es ist aber aller Sparsamkeit
oder meinetwegen auch alles Geizes des Königs unerachtet, nicht sehr wahr-
scheinlich, daß es so knapp in Wusterhausen hergegangen sein sollte. Der
König war ein sehr starker Esser, und alle Personen von gutem Appetit
haben die Maxime: "leben und leben lassen." Außerdem liegen glaubhafte
Berichte vor, aus denen sich ganz genau ersehen läßt, was an Königs Tisch
gespeist wurde. Es gab: Suppe, gestovtes Fleisch, Schinken, eine Gans, Fisch,
dann Pastete. Dazu sehr guten Rheinwein und Ungar. In Wusterhausen
kamen noch, weil es die Jahreszeit mit sich brachte, Krammetsvögel, Leipziger
Lerchen und Rebhühner hinzu, besonders auch Früchte zum Dessert, darunter
die schönsten Weintrauben. Das klingt schon einladender, als die Beschreibung
der Prinzessin.

ſich ein kleiner Born, aus dem man mit vieler Kunſt einen Spring-
brunnen gemacht hatte. Er war mit einem eiſernen Geländer um-
geben, einige Stufen führten hinauf, und dies war der Platz, den
ſich der König Abends zum Tabackrauchen auszuwählen pflegte.
Meine Schweſter Charlotte (ſpäter Herzogin von Braunſchweig)
und ich, hatten für uns und unſer ganzes Gefolge nur zwei Zimmer
oder vielmehr zwei Dachſtübchen. Wie auch das Wetter ſein mochte,
wir aßen zu Mittag immer im Freien unter einem Zelte, das
unter einer großen Linde aufgeſchlagen war. Bei ſtarkem Regen
ſaßen wir bis an die Waden im Waſſer, da der Platz vertieft
war. Wir waren immer 24 Perſonen zu Tiſch, von denen drei
Viertel jederzeit faſteten, denn es wurden nie mehr als ſechs
Schüſſeln aufgetragen und dieſe waren ſo ſchmal zugeſchnitten, daß
ein nur halbwegs hungriger Menſch ſie mit vieler Bequemlichkeit
allein aufzehren konnte*) .... In Berlin hatte ich das Feg-
feuer, in Wuſterhauſen aber die Hölle zu erdulden.“

So die Markgräfin, die frühere Prinzeſſin Wilhelmine. Ich
ſchlug das Buch zu und trat an das offene Fenſter, durch das
der heitere Lärm ſchwatzender Menſchen zu mir herauf drang.
Das Zimmer lag im erſten Stock und die Kronen der abgeſtutzten
Lindenbäume ragten bis zur Fenſterbrüſtung auf, ſo daß ich
meinen Kopf in ihrem Blattwerk verſtecken konnte. Drüben, an
der andern Seite der Straße, zog ſich einer der Cavalierflügel des

*) Prinzeſſin Wilhelmine (die Markgräfin) erzählt an einer andern Stelle
ihrer Memoiren: „ich war all die Zeit über ſo leidend, daß ich verſichern darf,
zwei Jahre lang von nichts anderem als Waſſer und trocken Brot gelebt zu
haben.“ Aehnliche Klagen wiederholen ſich. Es iſt aber aller Sparſamkeit
oder meinetwegen auch alles Geizes des Königs unerachtet, nicht ſehr wahr-
ſcheinlich, daß es ſo knapp in Wuſterhauſen hergegangen ſein ſollte. Der
König war ein ſehr ſtarker Eſſer, und alle Perſonen von gutem Appetit
haben die Maxime: „leben und leben laſſen.“ Außerdem liegen glaubhafte
Berichte vor, aus denen ſich ganz genau erſehen läßt, was an Königs Tiſch
geſpeiſt wurde. Es gab: Suppe, geſtovtes Fleiſch, Schinken, eine Gans, Fiſch,
dann Paſtete. Dazu ſehr guten Rheinwein und Ungar. In Wuſterhauſen
kamen noch, weil es die Jahreszeit mit ſich brachte, Krammetsvögel, Leipziger
Lerchen und Rebhühner hinzu, beſonders auch Früchte zum Deſſert, darunter
die ſchönſten Weintrauben. Das klingt ſchon einladender, als die Beſchreibung
der Prinzeſſin.
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[253/0269] ſich ein kleiner Born, aus dem man mit vieler Kunſt einen Spring- brunnen gemacht hatte. Er war mit einem eiſernen Geländer um- geben, einige Stufen führten hinauf, und dies war der Platz, den ſich der König Abends zum Tabackrauchen auszuwählen pflegte. Meine Schweſter Charlotte (ſpäter Herzogin von Braunſchweig) und ich, hatten für uns und unſer ganzes Gefolge nur zwei Zimmer oder vielmehr zwei Dachſtübchen. Wie auch das Wetter ſein mochte, wir aßen zu Mittag immer im Freien unter einem Zelte, das unter einer großen Linde aufgeſchlagen war. Bei ſtarkem Regen ſaßen wir bis an die Waden im Waſſer, da der Platz vertieft war. Wir waren immer 24 Perſonen zu Tiſch, von denen drei Viertel jederzeit faſteten, denn es wurden nie mehr als ſechs Schüſſeln aufgetragen und dieſe waren ſo ſchmal zugeſchnitten, daß ein nur halbwegs hungriger Menſch ſie mit vieler Bequemlichkeit allein aufzehren konnte *) .... In Berlin hatte ich das Feg- feuer, in Wuſterhauſen aber die Hölle zu erdulden.“ So die Markgräfin, die frühere Prinzeſſin Wilhelmine. Ich ſchlug das Buch zu und trat an das offene Fenſter, durch das der heitere Lärm ſchwatzender Menſchen zu mir herauf drang. Das Zimmer lag im erſten Stock und die Kronen der abgeſtutzten Lindenbäume ragten bis zur Fenſterbrüſtung auf, ſo daß ich meinen Kopf in ihrem Blattwerk verſtecken konnte. Drüben, an der andern Seite der Straße, zog ſich einer der Cavalierflügel des *) Prinzeſſin Wilhelmine (die Markgräfin) erzählt an einer andern Stelle ihrer Memoiren: „ich war all die Zeit über ſo leidend, daß ich verſichern darf, zwei Jahre lang von nichts anderem als Waſſer und trocken Brot gelebt zu haben.“ Aehnliche Klagen wiederholen ſich. Es iſt aber aller Sparſamkeit oder meinetwegen auch alles Geizes des Königs unerachtet, nicht ſehr wahr- ſcheinlich, daß es ſo knapp in Wuſterhauſen hergegangen ſein ſollte. Der König war ein ſehr ſtarker Eſſer, und alle Perſonen von gutem Appetit haben die Maxime: „leben und leben laſſen.“ Außerdem liegen glaubhafte Berichte vor, aus denen ſich ganz genau erſehen läßt, was an Königs Tiſch geſpeiſt wurde. Es gab: Suppe, geſtovtes Fleiſch, Schinken, eine Gans, Fiſch, dann Paſtete. Dazu ſehr guten Rheinwein und Ungar. In Wuſterhauſen kamen noch, weil es die Jahreszeit mit ſich brachte, Krammetsvögel, Leipziger Lerchen und Rebhühner hinzu, beſonders auch Früchte zum Deſſert, darunter die ſchönſten Weintrauben. Das klingt ſchon einladender, als die Beſchreibung der Prinzeſſin.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/269>, abgerufen am 28.03.2024.