Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
Trebbin.
Und ein Haus mit Giebelspitzen
Hat uns gastlich aufgenommen,
Läßt uns freundlich niedersitzen
Auf der Bank, der blanken, alten,
Die, mitsammt dem schmalen Tische,
Dem Jahrhundert Stand gehalten
Hier in dieser Fensternische.

G. Hesekiel.

Ein junger Jurist, ein sogenannter Garde-Assessor, war nach
Trebbin verschlagen worden. Was ihn hierher geführt, ob Schuld,
ob Liebe, wer sagt es? Wahrscheinlich war es einfach die lockende
Nähe der Hauptstadt, ein Fehler (un crime vaut mieux qu'une
faute
) für den er nun zu büßen hatte. Tag um Tag saß er an
der "Table d'hote" des damals einen und einzigen Gasthauses.
So vergingen Monde. Die Zeit schien endlos.

Einmal, an einem stillen Sommer-Sonntage, setzte man sich
wieder zu Tisch. Die Fenster standen auf und man hörte nichts
als den Staarmatz, der in seinem Käfig auf- und absprang und
das Zusammenschlagen der Bälle vom dritten Zimmer her, wo
zwei Trebbiner Commis sich im Billard und im Französischen übten.
Es gab Kalbsbraten und Salat. Dem Assessor gegenüber saß die
Wirthin, eine blasse Dame von 33, mit Korkzieherlocken, eine jener
Hagern und Hochaufgeschossenen, die von alter Zeit her das Vorrecht
haben sich "unverstanden" zu fühlen. Und was das Schlimmste
war, auch der Assessor hatte das Verständniß nicht finden können.

Trebbin.
Und ein Haus mit Giebelſpitzen
Hat uns gaſtlich aufgenommen,
Läßt uns freundlich niederſitzen
Auf der Bank, der blanken, alten,
Die, mitſammt dem ſchmalen Tiſche,
Dem Jahrhundert Stand gehalten
Hier in dieſer Fenſterniſche.

G. Heſekiel.

Ein junger Juriſt, ein ſogenannter Garde-Aſſeſſor, war nach
Trebbin verſchlagen worden. Was ihn hierher geführt, ob Schuld,
ob Liebe, wer ſagt es? Wahrſcheinlich war es einfach die lockende
Nähe der Hauptſtadt, ein Fehler (un crime vaut mieux qu’une
faute
) für den er nun zu büßen hatte. Tag um Tag ſaß er an
der „Table d’hôte“ des damals einen und einzigen Gaſthauſes.
So vergingen Monde. Die Zeit ſchien endlos.

Einmal, an einem ſtillen Sommer-Sonntage, ſetzte man ſich
wieder zu Tiſch. Die Fenſter ſtanden auf und man hörte nichts
als den Staarmatz, der in ſeinem Käfig auf- und abſprang und
das Zuſammenſchlagen der Bälle vom dritten Zimmer her, wo
zwei Trebbiner Commis ſich im Billard und im Franzöſiſchen übten.
Es gab Kalbsbraten und Salat. Dem Aſſeſſor gegenüber ſaß die
Wirthin, eine blaſſe Dame von 33, mit Korkzieherlocken, eine jener
Hagern und Hochaufgeſchoſſenen, die von alter Zeit her das Vorrecht
haben ſich „unverſtanden“ zu fühlen. Und was das Schlimmſte
war, auch der Aſſeſſor hatte das Verſtändniß nicht finden können.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0447" n="[431]"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Trebbin.</hi> </head><lb/>
          <cit rendition="#et">
            <quote>Und ein Haus mit Giebel&#x017F;pitzen<lb/>
Hat uns ga&#x017F;tlich aufgenommen,<lb/>
Läßt uns freundlich nieder&#x017F;itzen<lb/>
Auf der Bank, der blanken, alten,<lb/>
Die, mit&#x017F;ammt dem &#x017F;chmalen Ti&#x017F;che,<lb/>
Dem Jahrhundert Stand gehalten<lb/>
Hier in die&#x017F;er Fen&#x017F;terni&#x017F;che.</quote><lb/>
            <bibl> <hi rendition="#b">G. He&#x017F;ekiel.</hi> </bibl>
          </cit><lb/>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>in junger Juri&#x017F;t, ein &#x017F;ogenannter Garde-A&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;or, war nach<lb/>
Trebbin ver&#x017F;chlagen worden. Was ihn hierher geführt, ob Schuld,<lb/>
ob Liebe, wer &#x017F;agt es? Wahr&#x017F;cheinlich war es einfach die lockende<lb/>
Nähe der Haupt&#x017F;tadt, ein Fehler (<hi rendition="#aq">un crime vaut mieux qu&#x2019;une<lb/>
faute</hi>) für den er nun zu büßen hatte. Tag um Tag &#x017F;aß er an<lb/>
der <hi rendition="#aq">&#x201E;Table d&#x2019;hôte&#x201C;</hi> des damals einen und einzigen Ga&#x017F;thau&#x017F;es.<lb/>
So vergingen Monde. Die Zeit &#x017F;chien endlos.</p><lb/>
          <p>Einmal, an einem &#x017F;tillen Sommer-Sonntage, &#x017F;etzte man &#x017F;ich<lb/>
wieder zu Ti&#x017F;ch. Die Fen&#x017F;ter &#x017F;tanden auf und man hörte nichts<lb/>
als den Staarmatz, der in &#x017F;einem Käfig auf- und ab&#x017F;prang und<lb/>
das Zu&#x017F;ammen&#x017F;chlagen der Bälle vom dritten Zimmer her, wo<lb/>
zwei Trebbiner Commis &#x017F;ich im Billard und im Franzö&#x017F;i&#x017F;chen übten.<lb/>
Es gab Kalbsbraten und Salat. Dem A&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;or gegenüber &#x017F;aß die<lb/>
Wirthin, eine bla&#x017F;&#x017F;e Dame von 33, mit Korkzieherlocken, eine jener<lb/>
Hagern und Hochaufge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;enen, die von alter Zeit her das Vorrecht<lb/>
haben &#x017F;ich &#x201E;unver&#x017F;tanden&#x201C; zu fühlen. Und was das Schlimm&#x017F;te<lb/>
war, auch der A&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;or hatte das Ver&#x017F;tändniß nicht finden können.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[431]/0447] Trebbin. Und ein Haus mit Giebelſpitzen Hat uns gaſtlich aufgenommen, Läßt uns freundlich niederſitzen Auf der Bank, der blanken, alten, Die, mitſammt dem ſchmalen Tiſche, Dem Jahrhundert Stand gehalten Hier in dieſer Fenſterniſche. G. Heſekiel. Ein junger Juriſt, ein ſogenannter Garde-Aſſeſſor, war nach Trebbin verſchlagen worden. Was ihn hierher geführt, ob Schuld, ob Liebe, wer ſagt es? Wahrſcheinlich war es einfach die lockende Nähe der Hauptſtadt, ein Fehler (un crime vaut mieux qu’une faute) für den er nun zu büßen hatte. Tag um Tag ſaß er an der „Table d’hôte“ des damals einen und einzigen Gaſthauſes. So vergingen Monde. Die Zeit ſchien endlos. Einmal, an einem ſtillen Sommer-Sonntage, ſetzte man ſich wieder zu Tiſch. Die Fenſter ſtanden auf und man hörte nichts als den Staarmatz, der in ſeinem Käfig auf- und abſprang und das Zuſammenſchlagen der Bälle vom dritten Zimmer her, wo zwei Trebbiner Commis ſich im Billard und im Franzöſiſchen übten. Es gab Kalbsbraten und Salat. Dem Aſſeſſor gegenüber ſaß die Wirthin, eine blaſſe Dame von 33, mit Korkzieherlocken, eine jener Hagern und Hochaufgeſchoſſenen, die von alter Zeit her das Vorrecht haben ſich „unverſtanden“ zu fühlen. Und was das Schlimmſte war, auch der Aſſeſſor hatte das Verſtändniß nicht finden können.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/447
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. [431]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/447>, abgerufen am 19.04.2024.