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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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dem Görlitzer Nachmittagszuge nach Hankels Ablage
hinaus, wo sie Nachtquartier nehmen und den andern
Tag in aller Stille zubringen wollten.

Der Zug hatte nur wenige Wagen, aber auch
diese waren schwach besetzt und so kam es, daß sich
Botho und Lene allein befanden. In dem Kupee
nebenan wurde lebhaft gesprochen, zugleich deutlich
genug, um heraus zu hören, daß es Weiterreisende
waren, keine Mitpassagiere für Hankels Ablage.

Lene war glücklich, reichte Botho die Hand und
sah schweigend in die Wald- und Haidelandschaft
hinaus. Endlich sagte sie: "Was wird aber Frau
Dörr sagen, daß wir sie zu Hause gelassen?"

"Sie darf es gar nicht erfahren."

"Mutter wird es ihr ausplaudern."

"Ja, dann steht es schlimm und doch ließ sich's
nicht anders thun. Sieh, auf der Wiese neulich,
da ging es, da waren wir mutterwindallein. Aber
wenn wir in Hankels Ablage auch noch so viel Ein¬
samkeit finden, so finden wir doch immer noch einen
Wirth und eine Wirthin und vielleicht sogar einen
Berliner Kellner. Und solch Kellner, der immer
so still vor sich hinlacht oder wenigstens in sich
hinein, den kann ich nicht aushalten, der verdirbt
mir die Freude. Frau Dörr, wenn sie neben Deiner
Mutter sitzt oder den alten Dörr erzieht, ist un¬
bezahlbar, aber nicht unter Menschen. Unter Men¬

dem Görlitzer Nachmittagszuge nach Hankels Ablage
hinaus, wo ſie Nachtquartier nehmen und den andern
Tag in aller Stille zubringen wollten.

Der Zug hatte nur wenige Wagen, aber auch
dieſe waren ſchwach beſetzt und ſo kam es, daß ſich
Botho und Lene allein befanden. In dem Kupee
nebenan wurde lebhaft geſprochen, zugleich deutlich
genug, um heraus zu hören, daß es Weiterreiſende
waren, keine Mitpaſſagiere für Hankels Ablage.

Lene war glücklich, reichte Botho die Hand und
ſah ſchweigend in die Wald- und Haidelandſchaft
hinaus. Endlich ſagte ſie: „Was wird aber Frau
Dörr ſagen, daß wir ſie zu Hauſe gelaſſen?“

„Sie darf es gar nicht erfahren.“

„Mutter wird es ihr ausplaudern.“

„Ja, dann ſteht es ſchlimm und doch ließ ſich's
nicht anders thun. Sieh, auf der Wieſe neulich,
da ging es, da waren wir mutterwindallein. Aber
wenn wir in Hankels Ablage auch noch ſo viel Ein¬
ſamkeit finden, ſo finden wir doch immer noch einen
Wirth und eine Wirthin und vielleicht ſogar einen
Berliner Kellner. Und ſolch Kellner, der immer
ſo ſtill vor ſich hinlacht oder wenigſtens in ſich
hinein, den kann ich nicht aushalten, der verdirbt
mir die Freude. Frau Dörr, wenn ſie neben Deiner
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bezahlbar, aber nicht unter Menſchen. Unter Men¬

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[102/0112] dem Görlitzer Nachmittagszuge nach Hankels Ablage hinaus, wo ſie Nachtquartier nehmen und den andern Tag in aller Stille zubringen wollten. Der Zug hatte nur wenige Wagen, aber auch dieſe waren ſchwach beſetzt und ſo kam es, daß ſich Botho und Lene allein befanden. In dem Kupee nebenan wurde lebhaft geſprochen, zugleich deutlich genug, um heraus zu hören, daß es Weiterreiſende waren, keine Mitpaſſagiere für Hankels Ablage. Lene war glücklich, reichte Botho die Hand und ſah ſchweigend in die Wald- und Haidelandſchaft hinaus. Endlich ſagte ſie: „Was wird aber Frau Dörr ſagen, daß wir ſie zu Hauſe gelaſſen?“ „Sie darf es gar nicht erfahren.“ „Mutter wird es ihr ausplaudern.“ „Ja, dann ſteht es ſchlimm und doch ließ ſich's nicht anders thun. Sieh, auf der Wieſe neulich, da ging es, da waren wir mutterwindallein. Aber wenn wir in Hankels Ablage auch noch ſo viel Ein¬ ſamkeit finden, ſo finden wir doch immer noch einen Wirth und eine Wirthin und vielleicht ſogar einen Berliner Kellner. Und ſolch Kellner, der immer ſo ſtill vor ſich hinlacht oder wenigſtens in ſich hinein, den kann ich nicht aushalten, der verdirbt mir die Freude. Frau Dörr, wenn ſie neben Deiner Mutter ſitzt oder den alten Dörr erzieht, iſt un¬ bezahlbar, aber nicht unter Menſchen. Unter Men¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/112>, abgerufen am 28.03.2024.