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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Vierzehntes Kapitel.

Es war zu Beginn der Woche, daß Woldemar seinen
Besuch im Barbyschen Hause gemacht hatte. Schon am
Mittwoch früh empfing er ein Billet von Melusine.

"Lieber Freund. Lassen Sie mich Ihnen noch nach¬
träglich mein Bedauern aussprechen, daß ich vorgestern
nur gerade noch die letzte Scene des letzten Aktes (Ge¬
schichte vom Stechlin) mit erleben konnte. Mich verlangt
es aber lebhaft, mehr davon zu wissen. In unsrer so¬
genannten großen Welt giebt es so wenig, was sich zu
sehen und zu hören verlohnt; das meiste hat sich in die
stillen Winkel der Erde zurückgezogen. Allen vorauf, wie
mir scheint, in Ihre Stechliner Gegend. Ich wette, Sie
haben uns noch über vieles zu berichten, und ich kann
nur wiederholen, ich möchte davon hören. Unsre gute
Baronin, der ich davon erzählt habe, denkt ebenso; sie
hat den Zug aller naiven und liebenswürdigen Frauen,
neugierig zu sein. Ich, ohne die genannten Vorbedingungen
zu erfüllen, bin ihr trotzdem an Neugier gleich. Und so
haben wir denn eine Nachmittagspartie verabredet, bei
der Sie der große Erzähler sein sollen. In der Regel
freilich verläuft es anders wie gedacht, und man hört
nicht das, was man hören wollte. Das darf uns aber
in unserm guten Vorhaben nicht hindern. Die Baronin
hat mir etwas vorgeschwärmt von einer Gegend, die sie
,Oberspree' nannte (die vielleicht auch wirklich so heißt),

Vierzehntes Kapitel.

Es war zu Beginn der Woche, daß Woldemar ſeinen
Beſuch im Barbyſchen Hauſe gemacht hatte. Schon am
Mittwoch früh empfing er ein Billet von Meluſine.

„Lieber Freund. Laſſen Sie mich Ihnen noch nach¬
träglich mein Bedauern ausſprechen, daß ich vorgeſtern
nur gerade noch die letzte Scene des letzten Aktes (Ge¬
ſchichte vom Stechlin) mit erleben konnte. Mich verlangt
es aber lebhaft, mehr davon zu wiſſen. In unſrer ſo¬
genannten großen Welt giebt es ſo wenig, was ſich zu
ſehen und zu hören verlohnt; das meiſte hat ſich in die
ſtillen Winkel der Erde zurückgezogen. Allen vorauf, wie
mir ſcheint, in Ihre Stechliner Gegend. Ich wette, Sie
haben uns noch über vieles zu berichten, und ich kann
nur wiederholen, ich möchte davon hören. Unſre gute
Baronin, der ich davon erzählt habe, denkt ebenſo; ſie
hat den Zug aller naiven und liebenswürdigen Frauen,
neugierig zu ſein. Ich, ohne die genannten Vorbedingungen
zu erfüllen, bin ihr trotzdem an Neugier gleich. Und ſo
haben wir denn eine Nachmittagspartie verabredet, bei
der Sie der große Erzähler ſein ſollen. In der Regel
freilich verläuft es anders wie gedacht, und man hört
nicht das, was man hören wollte. Das darf uns aber
in unſerm guten Vorhaben nicht hindern. Die Baronin
hat mir etwas vorgeſchwärmt von einer Gegend, die ſie
‚Oberſpree‘ nannte (die vielleicht auch wirklich ſo heißt),

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[[174]/0181] Vierzehntes Kapitel. Es war zu Beginn der Woche, daß Woldemar ſeinen Beſuch im Barbyſchen Hauſe gemacht hatte. Schon am Mittwoch früh empfing er ein Billet von Meluſine. „Lieber Freund. Laſſen Sie mich Ihnen noch nach¬ träglich mein Bedauern ausſprechen, daß ich vorgeſtern nur gerade noch die letzte Scene des letzten Aktes (Ge¬ ſchichte vom Stechlin) mit erleben konnte. Mich verlangt es aber lebhaft, mehr davon zu wiſſen. In unſrer ſo¬ genannten großen Welt giebt es ſo wenig, was ſich zu ſehen und zu hören verlohnt; das meiſte hat ſich in die ſtillen Winkel der Erde zurückgezogen. Allen vorauf, wie mir ſcheint, in Ihre Stechliner Gegend. Ich wette, Sie haben uns noch über vieles zu berichten, und ich kann nur wiederholen, ich möchte davon hören. Unſre gute Baronin, der ich davon erzählt habe, denkt ebenſo; ſie hat den Zug aller naiven und liebenswürdigen Frauen, neugierig zu ſein. Ich, ohne die genannten Vorbedingungen zu erfüllen, bin ihr trotzdem an Neugier gleich. Und ſo haben wir denn eine Nachmittagspartie verabredet, bei der Sie der große Erzähler ſein ſollen. In der Regel freilich verläuft es anders wie gedacht, und man hört nicht das, was man hören wollte. Das darf uns aber in unſerm guten Vorhaben nicht hindern. Die Baronin hat mir etwas vorgeſchwärmt von einer Gegend, die ſie ‚Oberſpree‘ nannte (die vielleicht auch wirklich ſo heißt),

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. [174]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/181>, abgerufen am 28.03.2024.