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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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mal Kloster Wutz gewesen war. Vom Sattel aus ließ sich
alles bequem überblicken. Das meiste, was sie sahen,
waren wirr durcheinander geworfene, von Baum und
Strauch überwachsene Trümmermassen.

"Es erinnert mich an den Palatin," sagte Rex,
"nur ins christlich Gotische transponiert."

"Gewiß," bestätigte Czako lachend. "So weit ich
urteilen kann, sehr ähnlich. Schade, daß Krippenstapel
nicht da ist. Oder Tucheband."

Damit brach das Gespräch wieder ab.

In der That, wohin man sah, lagen Mauer¬
reste, in die, seltsamlich genug, die Wohnungen der
Klosterfrauen eingebaut waren, zunächst die größere der
Domina, daneben die kleineren der vier Stiftsdamen,
alles an der vorderen Langseite hin. Dieser gegenüber
aber zog sich eine zweite, parallel laufende Trümmer¬
linie, darin die Stallgebäude, die Remisen und die Roll¬
kammern untergebracht waren. Verblieben nur noch die
zwei Schmalseiten, von denen die eine nichts als eine
von Holunderbüschen übergrünte Mauer, die andere da¬
gegen eine hochaufragende mächtige Giebelwand war,
dieselbe, die man schon beim Anritt aus einiger Ent¬
fernung gesehen hatte. Sie stand da, wie bereit, alles
unter ihrem beständig drohenden Niedersturz zu begraben,
und nur das eine konnte wieder beruhigen, daß sich auf
höchster Spitze der Wand ein Storchenpaar eingenistet
hatte. Störche, deren feines Vorgefühl immer weiß, ob
etwas hält oder fällt.

Von der Maueröffnung, durch die man eingeritten,
bis an die in die Feldsteintrümmer eingebauten Wohn¬
gebäude waren nur wenige Schritte, und als man da¬
vor hielt, erschien alsbald die Domina selbst, um ihren
Neffen und seine beiden Freunde zu begrüßen. Fritz,
der, wie überall, so auch hier Bescheid wußte, nahm die
Pferde, um sie nach einem an der andern Seite gelegenen

mal Kloſter Wutz geweſen war. Vom Sattel aus ließ ſich
alles bequem überblicken. Das meiſte, was ſie ſahen,
waren wirr durcheinander geworfene, von Baum und
Strauch überwachſene Trümmermaſſen.

„Es erinnert mich an den Palatin,“ ſagte Rex,
„nur ins chriſtlich Gotiſche transponiert.“

„Gewiß,“ beſtätigte Czako lachend. „So weit ich
urteilen kann, ſehr ähnlich. Schade, daß Krippenſtapel
nicht da iſt. Oder Tucheband.“

Damit brach das Geſpräch wieder ab.

In der That, wohin man ſah, lagen Mauer¬
reſte, in die, ſeltſamlich genug, die Wohnungen der
Kloſterfrauen eingebaut waren, zunächſt die größere der
Domina, daneben die kleineren der vier Stiftsdamen,
alles an der vorderen Langſeite hin. Dieſer gegenüber
aber zog ſich eine zweite, parallel laufende Trümmer¬
linie, darin die Stallgebäude, die Remiſen und die Roll¬
kammern untergebracht waren. Verblieben nur noch die
zwei Schmalſeiten, von denen die eine nichts als eine
von Holunderbüſchen übergrünte Mauer, die andere da¬
gegen eine hochaufragende mächtige Giebelwand war,
dieſelbe, die man ſchon beim Anritt aus einiger Ent¬
fernung geſehen hatte. Sie ſtand da, wie bereit, alles
unter ihrem beſtändig drohenden Niederſturz zu begraben,
und nur das eine konnte wieder beruhigen, daß ſich auf
höchſter Spitze der Wand ein Storchenpaar eingeniſtet
hatte. Störche, deren feines Vorgefühl immer weiß, ob
etwas hält oder fällt.

Von der Maueröffnung, durch die man eingeritten,
bis an die in die Feldſteintrümmer eingebauten Wohn¬
gebäude waren nur wenige Schritte, und als man da¬
vor hielt, erſchien alsbald die Domina ſelbſt, um ihren
Neffen und ſeine beiden Freunde zu begrüßen. Fritz,
der, wie überall, ſo auch hier Beſcheid wußte, nahm die
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[98/0105] mal Kloſter Wutz geweſen war. Vom Sattel aus ließ ſich alles bequem überblicken. Das meiſte, was ſie ſahen, waren wirr durcheinander geworfene, von Baum und Strauch überwachſene Trümmermaſſen. „Es erinnert mich an den Palatin,“ ſagte Rex, „nur ins chriſtlich Gotiſche transponiert.“ „Gewiß,“ beſtätigte Czako lachend. „So weit ich urteilen kann, ſehr ähnlich. Schade, daß Krippenſtapel nicht da iſt. Oder Tucheband.“ Damit brach das Geſpräch wieder ab. In der That, wohin man ſah, lagen Mauer¬ reſte, in die, ſeltſamlich genug, die Wohnungen der Kloſterfrauen eingebaut waren, zunächſt die größere der Domina, daneben die kleineren der vier Stiftsdamen, alles an der vorderen Langſeite hin. Dieſer gegenüber aber zog ſich eine zweite, parallel laufende Trümmer¬ linie, darin die Stallgebäude, die Remiſen und die Roll¬ kammern untergebracht waren. Verblieben nur noch die zwei Schmalſeiten, von denen die eine nichts als eine von Holunderbüſchen übergrünte Mauer, die andere da¬ gegen eine hochaufragende mächtige Giebelwand war, dieſelbe, die man ſchon beim Anritt aus einiger Ent¬ fernung geſehen hatte. Sie ſtand da, wie bereit, alles unter ihrem beſtändig drohenden Niederſturz zu begraben, und nur das eine konnte wieder beruhigen, daß ſich auf höchſter Spitze der Wand ein Storchenpaar eingeniſtet hatte. Störche, deren feines Vorgefühl immer weiß, ob etwas hält oder fällt. Von der Maueröffnung, durch die man eingeritten, bis an die in die Feldſteintrümmer eingebauten Wohn¬ gebäude waren nur wenige Schritte, und als man da¬ vor hielt, erſchien alsbald die Domina ſelbſt, um ihren Neffen und ſeine beiden Freunde zu begrüßen. Fritz, der, wie überall, ſo auch hier Beſcheid wußte, nahm die Pferde, um ſie nach einem an der andern Seite gelegenen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/105>, abgerufen am 25.04.2024.