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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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nicht aufkommen, und so ließ er es geschehen, daß Jeserich
ihn bei dem alten Grafen meldete.

"Der Herr Graf lassen bitten."

Und nun trat Woldemar in das Zimmer des wieder
mal von Neuralgie Geplagten ein, der ihm, auf einen
dicken Stock gestützt, unter freundlichem Gruß entgegenkam.

"Aber Herr Graf," sagte Woldemar und nahm des
alten Herrn linken Arm, um ihn bis an seinen Lehnstuhl
und eine für den kranken Fuß zurechtgemachte Stellage
zurückzuführen. "Ich fürchte, daß ich störe."

"Ganz im Gegenteil, lieber Stechlin. Mir hoch will¬
kommen. Außerdem hab' ich strikten Befehl, Sie, coaute
que coaute
, festzuhalten; Sie wissen, Damen sind groß in
Ahnungen, und bei Melusine hat es schon geradezu was
Prophetisches."

Woldemar lächelte.

"Sie lächeln, lieber Stechlin, und haben recht. Denn
daß sie nun schließlich doch gegangen ist (natürlich zu den
Berchtesgadens), ist ein Beweis, daß sie sich und ihrer
Prophetie doch auch wieder einigermaßen mißtraute. Aber
man ist immer nur klug und weise für andre. Die
Doktors machen es ebenso; wenn sie sich selber behandeln
sollen, wälzen sie die Verantwortung von sich ab und
sterben lieber durch fremde Hand. Aber was sprech' ich
nur immer von Melusine. Freilich, wer in unserm Hause
so gut Bescheid weiß wie Sie, wird nichts Überraschliches
darin finden. Und zugleich wissen Sie, wie's gemeint ist.
Armgard ist übrigens in Sicht; keine zehn Minuten mehr,
so werden wir sie hier haben."

"Ist sie mit bei der Baronin?"

"Nein, Sie dürfen sie nicht so weit suchen. Armgard
ist in ihrem Zimmer, und Doktor Wrschowitz ist bei ihr.
Es kann aber nicht lange mehr dauern."

"Aber ich bitte Sie, Herr Graf, ist die Comtesse krank?"

"Gott sei Dank, nein. Und Wrschowitz ist auch kein

Fontane, Der Stechlin. 11

nicht aufkommen, und ſo ließ er es geſchehen, daß Jeſerich
ihn bei dem alten Grafen meldete.

„Der Herr Graf laſſen bitten.“

Und nun trat Woldemar in das Zimmer des wieder
mal von Neuralgie Geplagten ein, der ihm, auf einen
dicken Stock geſtützt, unter freundlichem Gruß entgegenkam.

„Aber Herr Graf,“ ſagte Woldemar und nahm des
alten Herrn linken Arm, um ihn bis an ſeinen Lehnſtuhl
und eine für den kranken Fuß zurechtgemachte Stellage
zurückzuführen. „Ich fürchte, daß ich ſtöre.“

„Ganz im Gegenteil, lieber Stechlin. Mir hoch will¬
kommen. Außerdem hab' ich ſtrikten Befehl, Sie, coûte
que coûte
, feſtzuhalten; Sie wiſſen, Damen ſind groß in
Ahnungen, und bei Meluſine hat es ſchon geradezu was
Prophetiſches.“

Woldemar lächelte.

„Sie lächeln, lieber Stechlin, und haben recht. Denn
daß ſie nun ſchließlich doch gegangen iſt (natürlich zu den
Berchtesgadens), iſt ein Beweis, daß ſie ſich und ihrer
Prophetie doch auch wieder einigermaßen mißtraute. Aber
man iſt immer nur klug und weiſe für andre. Die
Doktors machen es ebenſo; wenn ſie ſich ſelber behandeln
ſollen, wälzen ſie die Verantwortung von ſich ab und
ſterben lieber durch fremde Hand. Aber was ſprech' ich
nur immer von Meluſine. Freilich, wer in unſerm Hauſe
ſo gut Beſcheid weiß wie Sie, wird nichts Überraſchliches
darin finden. Und zugleich wiſſen Sie, wie's gemeint iſt.
Armgard iſt übrigens in Sicht; keine zehn Minuten mehr,
ſo werden wir ſie hier haben.“

„Iſt ſie mit bei der Baronin?“

„Nein, Sie dürfen ſie nicht ſo weit ſuchen. Armgard
iſt in ihrem Zimmer, und Doktor Wrſchowitz iſt bei ihr.
Es kann aber nicht lange mehr dauern.“

„Aber ich bitte Sie, Herr Graf, iſt die Comteſſe krank?“

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Fontane, Der Stechlin. 11
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[161/0168] nicht aufkommen, und ſo ließ er es geſchehen, daß Jeſerich ihn bei dem alten Grafen meldete. „Der Herr Graf laſſen bitten.“ Und nun trat Woldemar in das Zimmer des wieder mal von Neuralgie Geplagten ein, der ihm, auf einen dicken Stock geſtützt, unter freundlichem Gruß entgegenkam. „Aber Herr Graf,“ ſagte Woldemar und nahm des alten Herrn linken Arm, um ihn bis an ſeinen Lehnſtuhl und eine für den kranken Fuß zurechtgemachte Stellage zurückzuführen. „Ich fürchte, daß ich ſtöre.“ „Ganz im Gegenteil, lieber Stechlin. Mir hoch will¬ kommen. Außerdem hab' ich ſtrikten Befehl, Sie, coûte que coûte, feſtzuhalten; Sie wiſſen, Damen ſind groß in Ahnungen, und bei Meluſine hat es ſchon geradezu was Prophetiſches.“ Woldemar lächelte. „Sie lächeln, lieber Stechlin, und haben recht. Denn daß ſie nun ſchließlich doch gegangen iſt (natürlich zu den Berchtesgadens), iſt ein Beweis, daß ſie ſich und ihrer Prophetie doch auch wieder einigermaßen mißtraute. Aber man iſt immer nur klug und weiſe für andre. Die Doktors machen es ebenſo; wenn ſie ſich ſelber behandeln ſollen, wälzen ſie die Verantwortung von ſich ab und ſterben lieber durch fremde Hand. Aber was ſprech' ich nur immer von Meluſine. Freilich, wer in unſerm Hauſe ſo gut Beſcheid weiß wie Sie, wird nichts Überraſchliches darin finden. Und zugleich wiſſen Sie, wie's gemeint iſt. Armgard iſt übrigens in Sicht; keine zehn Minuten mehr, ſo werden wir ſie hier haben.“ „Iſt ſie mit bei der Baronin?“ „Nein, Sie dürfen ſie nicht ſo weit ſuchen. Armgard iſt in ihrem Zimmer, und Doktor Wrſchowitz iſt bei ihr. Es kann aber nicht lange mehr dauern.“ „Aber ich bitte Sie, Herr Graf, iſt die Comteſſe krank?“ „Gott ſei Dank, nein. Und Wrſchowitz iſt auch kein Fontane, Der Stechlin. 11

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/168>, abgerufen am 29.03.2024.