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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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sondern auch auf dem drüben am andern Ufer sich hin¬
ziehenden Eisenbahndamme zeigten sich allmählich die ver¬
schiedenfarbigen Signale, während mitten auf der Spree,
wo Schleppdampfer die Kähne zogen, ein verblaktes Rot
aus den Kajütenfenstern hervorglühte. Dabei wurde es
kühl, und die Damen wickelten sich in ihre Plaids und
Mäntel.

Auch die Herren fröstelten ein wenig, und so trat
denn der ersichtlich etwas planende Woldemar nach kurzem
Aufundabschreiten an das in der Nähe befindliche Büffett
heran, um da zur Herstellung einer besseren Innentempe¬
ratur das Nötige zu veranlassen. Und siehe da, nicht lange
mehr, so stand auch schon ein großes Tablett mit Gläsern
und Flaschen vor ihnen und dazwischen ein Deckelkrug,
aus dem, als man den Deckel aufklappte, der heiße
Wrasen emporschlug. Die Baronin, in solchen Dingen
die Scharfblickendste, war sofort orientiert und sagte:
"Lieber Stechlin, ich beglückwünsche Sie. Das war eine
große Idee."

"Ja, meine Damen, ich glaubte, daß etwas geschehen
müsse, sonst haben wir morgen samt und sonders einen
akuten Rheumatismus. Und zurück müssen wir doch auch.
Auf dem Schiffe, wo solche Hilfsmittel, glaub' ich, fehlen,
sind wir allen Unbilden der Elemente preisgegeben."

"Und sie konnten wirklich nicht besser wählen," unter¬
brach Melusine. "Schwedischer Punsch, für den ich ein
liking habe. Wie für Schweden überhaupt. Da Doktor
Wrschowitz nicht da ist, können wir uns ungestraft einem
gewissen Maß von Skandinavismus überlassen."

"Am liebsten ohne alles Maß," sagte Woldemar,
"so skandinavisch bin ich. Ich ziehe die Skandinaven den
sonst ,Meistbegünstigten' unter den Nationen immer noch
vor. Alle Länder erweitern übrigens ihre Spezialgebiete.
Früher hatte Schweden nur zweierlei: Mut und Eisen,
von denen man sagen muß, daß sie gut zusammen passen.

Fontane, Der Stechlin. 13

ſondern auch auf dem drüben am andern Ufer ſich hin¬
ziehenden Eiſenbahndamme zeigten ſich allmählich die ver¬
ſchiedenfarbigen Signale, während mitten auf der Spree,
wo Schleppdampfer die Kähne zogen, ein verblaktes Rot
aus den Kajütenfenſtern hervorglühte. Dabei wurde es
kühl, und die Damen wickelten ſich in ihre Plaids und
Mäntel.

Auch die Herren fröſtelten ein wenig, und ſo trat
denn der erſichtlich etwas planende Woldemar nach kurzem
Aufundabſchreiten an das in der Nähe befindliche Büffett
heran, um da zur Herſtellung einer beſſeren Innentempe¬
ratur das Nötige zu veranlaſſen. Und ſiehe da, nicht lange
mehr, ſo ſtand auch ſchon ein großes Tablett mit Gläſern
und Flaſchen vor ihnen und dazwiſchen ein Deckelkrug,
aus dem, als man den Deckel aufklappte, der heiße
Wraſen emporſchlug. Die Baronin, in ſolchen Dingen
die Scharfblickendſte, war ſofort orientiert und ſagte:
„Lieber Stechlin, ich beglückwünſche Sie. Das war eine
große Idee.“

„Ja, meine Damen, ich glaubte, daß etwas geſchehen
müſſe, ſonſt haben wir morgen ſamt und ſonders einen
akuten Rheumatismus. Und zurück müſſen wir doch auch.
Auf dem Schiffe, wo ſolche Hilfsmittel, glaub' ich, fehlen,
ſind wir allen Unbilden der Elemente preisgegeben.“

„Und ſie konnten wirklich nicht beſſer wählen,“ unter¬
brach Meluſine. „Schwediſcher Punſch, für den ich ein
liking habe. Wie für Schweden überhaupt. Da Doktor
Wrſchowitz nicht da iſt, können wir uns ungeſtraft einem
gewiſſen Maß von Skandinavismus überlaſſen.“

„Am liebſten ohne alles Maß,“ ſagte Woldemar,
ſo ſkandinaviſch bin ich. Ich ziehe die Skandinaven den
ſonſt ‚Meiſtbegünſtigten‘ unter den Nationen immer noch
vor. Alle Länder erweitern übrigens ihre Spezialgebiete.
Früher hatte Schweden nur zweierlei: Mut und Eiſen,
von denen man ſagen muß, daß ſie gut zuſammen paſſen.

Fontane, Der Stechlin. 13
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[193/0200] ſondern auch auf dem drüben am andern Ufer ſich hin¬ ziehenden Eiſenbahndamme zeigten ſich allmählich die ver¬ ſchiedenfarbigen Signale, während mitten auf der Spree, wo Schleppdampfer die Kähne zogen, ein verblaktes Rot aus den Kajütenfenſtern hervorglühte. Dabei wurde es kühl, und die Damen wickelten ſich in ihre Plaids und Mäntel. Auch die Herren fröſtelten ein wenig, und ſo trat denn der erſichtlich etwas planende Woldemar nach kurzem Aufundabſchreiten an das in der Nähe befindliche Büffett heran, um da zur Herſtellung einer beſſeren Innentempe¬ ratur das Nötige zu veranlaſſen. Und ſiehe da, nicht lange mehr, ſo ſtand auch ſchon ein großes Tablett mit Gläſern und Flaſchen vor ihnen und dazwiſchen ein Deckelkrug, aus dem, als man den Deckel aufklappte, der heiße Wraſen emporſchlug. Die Baronin, in ſolchen Dingen die Scharfblickendſte, war ſofort orientiert und ſagte: „Lieber Stechlin, ich beglückwünſche Sie. Das war eine große Idee.“ „Ja, meine Damen, ich glaubte, daß etwas geſchehen müſſe, ſonſt haben wir morgen ſamt und ſonders einen akuten Rheumatismus. Und zurück müſſen wir doch auch. Auf dem Schiffe, wo ſolche Hilfsmittel, glaub' ich, fehlen, ſind wir allen Unbilden der Elemente preisgegeben.“ „Und ſie konnten wirklich nicht beſſer wählen,“ unter¬ brach Meluſine. „Schwediſcher Punſch, für den ich ein liking habe. Wie für Schweden überhaupt. Da Doktor Wrſchowitz nicht da iſt, können wir uns ungeſtraft einem gewiſſen Maß von Skandinavismus überlaſſen.“ „Am liebſten ohne alles Maß,“ ſagte Woldemar, „ſo ſkandinaviſch bin ich. Ich ziehe die Skandinaven den ſonſt ‚Meiſtbegünſtigten‘ unter den Nationen immer noch vor. Alle Länder erweitern übrigens ihre Spezialgebiete. Früher hatte Schweden nur zweierlei: Mut und Eiſen, von denen man ſagen muß, daß ſie gut zuſammen paſſen. Fontane, Der Stechlin. 13

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/200>, abgerufen am 25.04.2024.