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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Nun, ein Anfang ist gemacht. Aber doch erst obenhin."

"Berlinerin?"

"Ja und nein. Die junge Dame lebt seit einer Reihe
von Jahren in Berlin und liebt unsre Stadt über Er¬
warten. Insoweit ist sie Berlinerin. Aber eigentlich ist
sie doch keine; sie wurde drüben in London geboren, und
ihre Mutter war eine Schweizerin."

"Um Gottes willen!"

"Ich glaube, liebe Tante, du machst dir falsche Vor¬
stellungen von einer Schweizerin. Du denkst sie dir auf
einer Alm und mit einem Milchkübel."

"Ich denke sie mir gar nicht, Woldemar. Ich weiß
nur, daß es ein mildes Land ist."

"Ein freies Land, liebe Tante."

"Ja, das kennt man. Und wenn du das Spiel
noch einigermaßen in der Hand hast, so beschwör' ich
dich ..."

An dieser Stelle war, wie schon vorher durch Fix,
abermals (weil eine Störung kam,) das Gespräch mit der
Tante auf andre Dinge hingeleitet worden, und nun hielt
er ihren Brief in Händen und zögerte, das Siegel zu
brechen. "Ich weiß, was drin steht, und ängstige mich
doch beinahe. Wenn es nicht Kämpfe giebt, so giebt es
wenigstens Verstimmungen. Und die sind mir womöglich
noch fataler ... Aber was hilft es!"

Und nun brach er den Brief auf und las:

"Ich nehme an, mein lieber Woldemar, daß du
meine letzten Worte noch in Erinnerung hast. Sie liefen
auf den Rat und die Bitte hinaus: gieb auch in dieser
Frage die Heimat nicht auf, halte dich, wenn es sein
kann, an das Nächste. Schon unsre Provinzen sind so
sehr verschieden. Ich sehe dich über solche Worte lächeln,
aber ich bleibe doch dabei. Was ich Adel nenne, das
giebt es nur noch in unsrer Mark und in unsrer alten
Nachbar- und Schwesterprovinz, ja, da vielleicht noch

„Nun, ein Anfang iſt gemacht. Aber doch erſt obenhin.“

„Berlinerin?“

„Ja und nein. Die junge Dame lebt ſeit einer Reihe
von Jahren in Berlin und liebt unſre Stadt über Er¬
warten. Inſoweit iſt ſie Berlinerin. Aber eigentlich iſt
ſie doch keine; ſie wurde drüben in London geboren, und
ihre Mutter war eine Schweizerin.“

„Um Gottes willen!“

„Ich glaube, liebe Tante, du machſt dir falſche Vor¬
ſtellungen von einer Schweizerin. Du denkſt ſie dir auf
einer Alm und mit einem Milchkübel.“

„Ich denke ſie mir gar nicht, Woldemar. Ich weiß
nur, daß es ein mildes Land iſt.“

„Ein freies Land, liebe Tante.“

„Ja, das kennt man. Und wenn du das Spiel
noch einigermaßen in der Hand haſt, ſo beſchwör' ich
dich ...“

An dieſer Stelle war, wie ſchon vorher durch Fix,
abermals (weil eine Störung kam,) das Geſpräch mit der
Tante auf andre Dinge hingeleitet worden, und nun hielt
er ihren Brief in Händen und zögerte, das Siegel zu
brechen. „Ich weiß, was drin ſteht, und ängſtige mich
doch beinahe. Wenn es nicht Kämpfe giebt, ſo giebt es
wenigſtens Verſtimmungen. Und die ſind mir womöglich
noch fataler ... Aber was hilft es!“

Und nun brach er den Brief auf und las:

„Ich nehme an, mein lieber Woldemar, daß du
meine letzten Worte noch in Erinnerung haſt. Sie liefen
auf den Rat und die Bitte hinaus: gieb auch in dieſer
Frage die Heimat nicht auf, halte dich, wenn es ſein
kann, an das Nächſte. Schon unſre Provinzen ſind ſo
ſehr verſchieden. Ich ſehe dich über ſolche Worte lächeln,
aber ich bleibe doch dabei. Was ich Adel nenne, das
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Nachbar- und Schweſterprovinz, ja, da vielleicht noch

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[206/0213] „Nun, ein Anfang iſt gemacht. Aber doch erſt obenhin.“ „Berlinerin?“ „Ja und nein. Die junge Dame lebt ſeit einer Reihe von Jahren in Berlin und liebt unſre Stadt über Er¬ warten. Inſoweit iſt ſie Berlinerin. Aber eigentlich iſt ſie doch keine; ſie wurde drüben in London geboren, und ihre Mutter war eine Schweizerin.“ „Um Gottes willen!“ „Ich glaube, liebe Tante, du machſt dir falſche Vor¬ ſtellungen von einer Schweizerin. Du denkſt ſie dir auf einer Alm und mit einem Milchkübel.“ „Ich denke ſie mir gar nicht, Woldemar. Ich weiß nur, daß es ein mildes Land iſt.“ „Ein freies Land, liebe Tante.“ „Ja, das kennt man. Und wenn du das Spiel noch einigermaßen in der Hand haſt, ſo beſchwör' ich dich ...“ An dieſer Stelle war, wie ſchon vorher durch Fix, abermals (weil eine Störung kam,) das Geſpräch mit der Tante auf andre Dinge hingeleitet worden, und nun hielt er ihren Brief in Händen und zögerte, das Siegel zu brechen. „Ich weiß, was drin ſteht, und ängſtige mich doch beinahe. Wenn es nicht Kämpfe giebt, ſo giebt es wenigſtens Verſtimmungen. Und die ſind mir womöglich noch fataler ... Aber was hilft es!“ Und nun brach er den Brief auf und las: „Ich nehme an, mein lieber Woldemar, daß du meine letzten Worte noch in Erinnerung haſt. Sie liefen auf den Rat und die Bitte hinaus: gieb auch in dieſer Frage die Heimat nicht auf, halte dich, wenn es ſein kann, an das Nächſte. Schon unſre Provinzen ſind ſo ſehr verſchieden. Ich ſehe dich über ſolche Worte lächeln, aber ich bleibe doch dabei. Was ich Adel nenne, das giebt es nur noch in unſrer Mark und in unſrer alten Nachbar- und Schweſterprovinz, ja, da vielleicht noch

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/213>, abgerufen am 25.04.2024.