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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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in Betracht kommen und allenfalls die Sozialdemokraten,
wenn vom Fortschritt (was leicht möglich ist) einiges ab¬
bröckelt. Unter allen Umständen schreibe deinem Papa,
daß du dich seines Entschlusses freutest. Du kannst es
mit gutem Gewissen. Bringen wir ihn durch, so weiß
ich, daß kein Besserer im Reichstag sitzt, und daß wir
uns alle zu seiner Wahl gratulieren können. Er sich
persönlich allerdings auch. Denn sein Leben hier ist zu
einsam, so sehr, daß er, was doch sonst nicht seine Sache
ist, mitunter darüber klagt. Das war das, was ich dich
wissen lassen mußte. ,Sonst nichts neues vor Paris.'
Krippenstapel geht in großer Aufregung einher; ich
glaube, wegen unsrer auf Donnerstag in Stechlin selbst
angesetzten Vorversammlung, wo er mutmaßlich seine
herkömmliche Rede über den Bienenstaat halten wird.
Empfiehl mich deinen zwei liebenswürdigen Freunden,
besonders Czako. Wie immer, dein alter Freund Lorenzen."

Woldemar, als er gelesen, wußte nicht recht, wie er
sich dazu stellen sollte. Was Lorenzen da schrieb, "daß
kein Besserer im Hause sitzen würde", war richtig; aber
er hatte trotzdem Bedenken und Sorge. Der Alte war
durchaus kein Politiker, er konnte sich also stark in die
Nesseln setzen, ja vielleicht zur komischen Figur werden.
Und dieser Gedanke war ihm, dem Sohne, der den Vater
schwärmerisch liebte, sehr schmerzlich. Außerdem blieb doch
auch immer noch die Möglichkeit, daß er in dem Wahl¬
kampf unterlag.


Diese Bedenken Woldemars waren nur allzu be¬
rechtigt. Es stand durchaus nicht fest, daß der alte
Dubslav, so beliebt er selbst bei den Gegnern war, als
Sieger aus der Wahlschlacht hervorgehen müsse. Die
Konservativen hatten sich freilich daran gewöhnt, Rheins¬

in Betracht kommen und allenfalls die Sozialdemokraten,
wenn vom Fortſchritt (was leicht möglich iſt) einiges ab¬
bröckelt. Unter allen Umſtänden ſchreibe deinem Papa,
daß du dich ſeines Entſchluſſes freuteſt. Du kannſt es
mit gutem Gewiſſen. Bringen wir ihn durch, ſo weiß
ich, daß kein Beſſerer im Reichstag ſitzt, und daß wir
uns alle zu ſeiner Wahl gratulieren können. Er ſich
perſönlich allerdings auch. Denn ſein Leben hier iſt zu
einſam, ſo ſehr, daß er, was doch ſonſt nicht ſeine Sache
iſt, mitunter darüber klagt. Das war das, was ich dich
wiſſen laſſen mußte. ‚Sonſt nichts neues vor Paris.‘
Krippenſtapel geht in großer Aufregung einher; ich
glaube, wegen unſrer auf Donnerstag in Stechlin ſelbſt
angeſetzten Vorverſammlung, wo er mutmaßlich ſeine
herkömmliche Rede über den Bienenſtaat halten wird.
Empfiehl mich deinen zwei liebenswürdigen Freunden,
beſonders Czako. Wie immer, dein alter Freund Lorenzen.“

Woldemar, als er geleſen, wußte nicht recht, wie er
ſich dazu ſtellen ſollte. Was Lorenzen da ſchrieb, „daß
kein Beſſerer im Hauſe ſitzen würde“, war richtig; aber
er hatte trotzdem Bedenken und Sorge. Der Alte war
durchaus kein Politiker, er konnte ſich alſo ſtark in die
Neſſeln ſetzen, ja vielleicht zur komiſchen Figur werden.
Und dieſer Gedanke war ihm, dem Sohne, der den Vater
ſchwärmeriſch liebte, ſehr ſchmerzlich. Außerdem blieb doch
auch immer noch die Möglichkeit, daß er in dem Wahl¬
kampf unterlag.


Dieſe Bedenken Woldemars waren nur allzu be¬
rechtigt. Es ſtand durchaus nicht feſt, daß der alte
Dubslav, ſo beliebt er ſelbſt bei den Gegnern war, als
Sieger aus der Wahlſchlacht hervorgehen müſſe. Die
Konſervativen hatten ſich freilich daran gewöhnt, Rheins¬

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[210/0217] in Betracht kommen und allenfalls die Sozialdemokraten, wenn vom Fortſchritt (was leicht möglich iſt) einiges ab¬ bröckelt. Unter allen Umſtänden ſchreibe deinem Papa, daß du dich ſeines Entſchluſſes freuteſt. Du kannſt es mit gutem Gewiſſen. Bringen wir ihn durch, ſo weiß ich, daß kein Beſſerer im Reichstag ſitzt, und daß wir uns alle zu ſeiner Wahl gratulieren können. Er ſich perſönlich allerdings auch. Denn ſein Leben hier iſt zu einſam, ſo ſehr, daß er, was doch ſonſt nicht ſeine Sache iſt, mitunter darüber klagt. Das war das, was ich dich wiſſen laſſen mußte. ‚Sonſt nichts neues vor Paris.‘ Krippenſtapel geht in großer Aufregung einher; ich glaube, wegen unſrer auf Donnerstag in Stechlin ſelbſt angeſetzten Vorverſammlung, wo er mutmaßlich ſeine herkömmliche Rede über den Bienenſtaat halten wird. Empfiehl mich deinen zwei liebenswürdigen Freunden, beſonders Czako. Wie immer, dein alter Freund Lorenzen.“ Woldemar, als er geleſen, wußte nicht recht, wie er ſich dazu ſtellen ſollte. Was Lorenzen da ſchrieb, „daß kein Beſſerer im Hauſe ſitzen würde“, war richtig; aber er hatte trotzdem Bedenken und Sorge. Der Alte war durchaus kein Politiker, er konnte ſich alſo ſtark in die Neſſeln ſetzen, ja vielleicht zur komiſchen Figur werden. Und dieſer Gedanke war ihm, dem Sohne, der den Vater ſchwärmeriſch liebte, ſehr ſchmerzlich. Außerdem blieb doch auch immer noch die Möglichkeit, daß er in dem Wahl¬ kampf unterlag. Dieſe Bedenken Woldemars waren nur allzu be¬ rechtigt. Es ſtand durchaus nicht feſt, daß der alte Dubslav, ſo beliebt er ſelbſt bei den Gegnern war, als Sieger aus der Wahlſchlacht hervorgehen müſſe. Die Konſervativen hatten ſich freilich daran gewöhnt, Rheins¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/217>, abgerufen am 25.04.2024.