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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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vierte Töchterchen in der Reihe; jede lag in einer Art
Gartenbeet und hatte, wie ein Samenkorn, dessen Auf¬
gehen man erwartet, ein Holztäfelchen neben sich, drauf
der Name stand. Als Dubslavs Einladung eingetroffen
war, war Ermyntrud, wie gewöhnlich, in Katzler ge¬
drungen, der Einladung zu folgen. "Ich wünsche nicht,
daß du dich deinen gesellschaftlichen Pflichten entziehst,
auch heute nicht, trotz des Ernstes der Stunde. Gesell¬
schaftlichkeiten sind auch Pflichten. Und die Barbyschen
Damen -- ich erinnere mich der Familie -- werden ge¬
rade wegen der Trauer, in der wir stehn, in deinem Er¬
scheinen eine besondre Freundlichkeit sehn. Und das ist
genau das, was ich wünsche. Denn die Comtesse wird
über kurz oder lang unsre nächste Nachbarin sein." Aber
Katzler war fest geblieben und hatte betont, daß es
Höheres gäbe als Gesellschaftlichkeiten, und daß er durch¬
aus wünsche, daß dies gezeigt werde. Der Prinzessin
Auge hatte während dieser Worte hoheitsvoll auf Katzler
geruht, mit einem Ausdruck, der sagen zu wollen schien:
"Ich weiß, daß ich meine Hand keinem Unwürdigen ge¬
reicht habe."

Katzler also fehlte. Doch auch Koseleger, trotz seiner
Zusage, war noch nicht da, so daß Dubslav in die sonder¬
bare Lage kam, sich den Quaden-Hennersdorfer, aus dem
er sich eigentlich nichts machte, herbeizuwünschen. Endlich
aber fuhr Koseleger vor, sein etwas verspätetes Kommen
mit Dienstlichkeiten entschuldigend. Unmittelbar danach
ging man zu Tisch, und ein Gespräch leitete sich ein.
Zunächst wurde von der Nordbahn gesprochen, die, seit
der neuen Kopenhagener Linie, den ihr von früher her
anhaftenden Schreckensnamen siegreich überwunden habe.
Jetzt heiße sie die "Apfelsinenbahn", was doch kaum
noch übertroffen werden könne. Dann lenkte man auf
den alten Grafen und seine Besitzungen im Grau¬
bündischen über, endlich aber auf den langen Aufenthalt

vierte Töchterchen in der Reihe; jede lag in einer Art
Gartenbeet und hatte, wie ein Samenkorn, deſſen Auf¬
gehen man erwartet, ein Holztäfelchen neben ſich, drauf
der Name ſtand. Als Dubslavs Einladung eingetroffen
war, war Ermyntrud, wie gewöhnlich, in Katzler ge¬
drungen, der Einladung zu folgen. „Ich wünſche nicht,
daß du dich deinen geſellſchaftlichen Pflichten entziehſt,
auch heute nicht, trotz des Ernſtes der Stunde. Geſell¬
ſchaftlichkeiten ſind auch Pflichten. Und die Barbyſchen
Damen — ich erinnere mich der Familie — werden ge¬
rade wegen der Trauer, in der wir ſtehn, in deinem Er¬
ſcheinen eine beſondre Freundlichkeit ſehn. Und das iſt
genau das, was ich wünſche. Denn die Comteſſe wird
über kurz oder lang unſre nächſte Nachbarin ſein.“ Aber
Katzler war feſt geblieben und hatte betont, daß es
Höheres gäbe als Geſellſchaftlichkeiten, und daß er durch¬
aus wünſche, daß dies gezeigt werde. Der Prinzeſſin
Auge hatte während dieſer Worte hoheitsvoll auf Katzler
geruht, mit einem Ausdruck, der ſagen zu wollen ſchien:
„Ich weiß, daß ich meine Hand keinem Unwürdigen ge¬
reicht habe.“

Katzler alſo fehlte. Doch auch Koſeleger, trotz ſeiner
Zuſage, war noch nicht da, ſo daß Dubslav in die ſonder¬
bare Lage kam, ſich den Quaden-Hennersdorfer, aus dem
er ſich eigentlich nichts machte, herbeizuwünſchen. Endlich
aber fuhr Koſeleger vor, ſein etwas verſpätetes Kommen
mit Dienſtlichkeiten entſchuldigend. Unmittelbar danach
ging man zu Tiſch, und ein Geſpräch leitete ſich ein.
Zunächſt wurde von der Nordbahn geſprochen, die, ſeit
der neuen Kopenhagener Linie, den ihr von früher her
anhaftenden Schreckensnamen ſiegreich überwunden habe.
Jetzt heiße ſie die „Apfelſinenbahn“, was doch kaum
noch übertroffen werden könne. Dann lenkte man auf
den alten Grafen und ſeine Beſitzungen im Grau¬
bündiſchen über, endlich aber auf den langen Aufenthalt

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[333/0340] vierte Töchterchen in der Reihe; jede lag in einer Art Gartenbeet und hatte, wie ein Samenkorn, deſſen Auf¬ gehen man erwartet, ein Holztäfelchen neben ſich, drauf der Name ſtand. Als Dubslavs Einladung eingetroffen war, war Ermyntrud, wie gewöhnlich, in Katzler ge¬ drungen, der Einladung zu folgen. „Ich wünſche nicht, daß du dich deinen geſellſchaftlichen Pflichten entziehſt, auch heute nicht, trotz des Ernſtes der Stunde. Geſell¬ ſchaftlichkeiten ſind auch Pflichten. Und die Barbyſchen Damen — ich erinnere mich der Familie — werden ge¬ rade wegen der Trauer, in der wir ſtehn, in deinem Er¬ ſcheinen eine beſondre Freundlichkeit ſehn. Und das iſt genau das, was ich wünſche. Denn die Comteſſe wird über kurz oder lang unſre nächſte Nachbarin ſein.“ Aber Katzler war feſt geblieben und hatte betont, daß es Höheres gäbe als Geſellſchaftlichkeiten, und daß er durch¬ aus wünſche, daß dies gezeigt werde. Der Prinzeſſin Auge hatte während dieſer Worte hoheitsvoll auf Katzler geruht, mit einem Ausdruck, der ſagen zu wollen ſchien: „Ich weiß, daß ich meine Hand keinem Unwürdigen ge¬ reicht habe.“ Katzler alſo fehlte. Doch auch Koſeleger, trotz ſeiner Zuſage, war noch nicht da, ſo daß Dubslav in die ſonder¬ bare Lage kam, ſich den Quaden-Hennersdorfer, aus dem er ſich eigentlich nichts machte, herbeizuwünſchen. Endlich aber fuhr Koſeleger vor, ſein etwas verſpätetes Kommen mit Dienſtlichkeiten entſchuldigend. Unmittelbar danach ging man zu Tiſch, und ein Geſpräch leitete ſich ein. Zunächſt wurde von der Nordbahn geſprochen, die, ſeit der neuen Kopenhagener Linie, den ihr von früher her anhaftenden Schreckensnamen ſiegreich überwunden habe. Jetzt heiße ſie die „Apfelſinenbahn“, was doch kaum noch übertroffen werden könne. Dann lenkte man auf den alten Grafen und ſeine Beſitzungen im Grau¬ bündiſchen über, endlich aber auf den langen Aufenthalt

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/340>, abgerufen am 19.04.2024.