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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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jeder; aber das Umgekehrte, das ist was. Chinesen
werden christlich, gut. Aber wenn ein Christ ein Chinese
wird, das ist doch immer noch eine Sache von Belang."

Pusch, als er sich in Berlin niederließ, hatte sich
auch bei den Barbys wieder eingeführt; Melusine ent¬
sann sich seiner noch, und der alte Graf war froh, die
zurückliegenden Zeiten wieder durchsprechen und von
Sandrigham und Hatfieldhouse, von Chatsworth und
Pembroke-Lodge plaudern zu können. Eigentlich paßte
der etwas weitgehende Ungeniertheitston, in dem der
Doktor seiner Natur wie seiner New-Yorker Schulung
nach zu sprechen liebte, nicht sonderlich zu den Gepflogen¬
heiten des alten Grafen; aber es lag doch auch wieder
ein gewisser Reiz darin, ein Reiz, der sich noch ver¬
doppelte durch das, was Pusch aus aller Welt Enden
mitzuteilen wußte. Brillanter Korrespondent, der er war,
unterhielt er Beziehungen zu den Ministerien und, was
fast noch schwerer ins Gewicht fiel, auch zu den Ge¬
sandtschaften. Er hörte das Gras wachsen. Auf Titu¬
laturen ließ er sich nicht ein; die vielen Telegramme
hatten einen gewissen allgemeinen Telegrammstil in ihm
gezeitigt, dessen er sich nur entschlug, wenn er ins Aus¬
malen kam. Es war im Zusammenhang damit, daß er
gegen Worte wie: "Wirklicher Geheimer Ober-Regierungs¬
rat" einen förmlichen Haß unterhielt. Herzog von Ujest
oder Herzog von Ratibor waren ihm, trotz ihrer Kürze,
immer noch zu lang, und so warf er denn statt ihrer
einfach mit ,Hohenlohes' um sich. In der That, er
hatte mancherlei Schwächen. Aber diese waren doch
auch wieder von eben so vielen Tugenden begleitet. So
beispielsweise sah er über alles, was sich an Liebes¬
geschichten ereignete, mit einer beinah' vornehmen Gleich¬
gültigkeit hinweg, was manchem sehr zu patz kam. Ob
dies Drüberhinsehn bloß Geschäftsmaxime war, oder ob
er all dergleichen einfach alltäglich und deshalb mehr

jeder; aber das Umgekehrte, das iſt was. Chineſen
werden chriſtlich, gut. Aber wenn ein Chriſt ein Chineſe
wird, das iſt doch immer noch eine Sache von Belang.“

Puſch, als er ſich in Berlin niederließ, hatte ſich
auch bei den Barbys wieder eingeführt; Meluſine ent¬
ſann ſich ſeiner noch, und der alte Graf war froh, die
zurückliegenden Zeiten wieder durchſprechen und von
Sandrigham und Hatfieldhouſe, von Chatsworth und
Pembroke-Lodge plaudern zu können. Eigentlich paßte
der etwas weitgehende Ungeniertheitston, in dem der
Doktor ſeiner Natur wie ſeiner New-Yorker Schulung
nach zu ſprechen liebte, nicht ſonderlich zu den Gepflogen¬
heiten des alten Grafen; aber es lag doch auch wieder
ein gewiſſer Reiz darin, ein Reiz, der ſich noch ver¬
doppelte durch das, was Puſch aus aller Welt Enden
mitzuteilen wußte. Brillanter Korreſpondent, der er war,
unterhielt er Beziehungen zu den Miniſterien und, was
faſt noch ſchwerer ins Gewicht fiel, auch zu den Ge¬
ſandtſchaften. Er hörte das Gras wachſen. Auf Titu¬
laturen ließ er ſich nicht ein; die vielen Telegramme
hatten einen gewiſſen allgemeinen Telegrammſtil in ihm
gezeitigt, deſſen er ſich nur entſchlug, wenn er ins Aus¬
malen kam. Es war im Zuſammenhang damit, daß er
gegen Worte wie: „Wirklicher Geheimer Ober-Regierungs¬
rat“ einen förmlichen Haß unterhielt. Herzog von Ujeſt
oder Herzog von Ratibor waren ihm, trotz ihrer Kürze,
immer noch zu lang, und ſo warf er denn ſtatt ihrer
einfach mit ‚Hohenlohes‘ um ſich. In der That, er
hatte mancherlei Schwächen. Aber dieſe waren doch
auch wieder von eben ſo vielen Tugenden begleitet. So
beiſpielsweiſe ſah er über alles, was ſich an Liebes¬
geſchichten ereignete, mit einer beinah’ vornehmen Gleich¬
gültigkeit hinweg, was manchem ſehr zu patz kam. Ob
dies Drüberhinſehn bloß Geſchäftsmaxime war, oder ob
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[393/0400] jeder; aber das Umgekehrte, das iſt was. Chineſen werden chriſtlich, gut. Aber wenn ein Chriſt ein Chineſe wird, das iſt doch immer noch eine Sache von Belang.“ Puſch, als er ſich in Berlin niederließ, hatte ſich auch bei den Barbys wieder eingeführt; Meluſine ent¬ ſann ſich ſeiner noch, und der alte Graf war froh, die zurückliegenden Zeiten wieder durchſprechen und von Sandrigham und Hatfieldhouſe, von Chatsworth und Pembroke-Lodge plaudern zu können. Eigentlich paßte der etwas weitgehende Ungeniertheitston, in dem der Doktor ſeiner Natur wie ſeiner New-Yorker Schulung nach zu ſprechen liebte, nicht ſonderlich zu den Gepflogen¬ heiten des alten Grafen; aber es lag doch auch wieder ein gewiſſer Reiz darin, ein Reiz, der ſich noch ver¬ doppelte durch das, was Puſch aus aller Welt Enden mitzuteilen wußte. Brillanter Korreſpondent, der er war, unterhielt er Beziehungen zu den Miniſterien und, was faſt noch ſchwerer ins Gewicht fiel, auch zu den Ge¬ ſandtſchaften. Er hörte das Gras wachſen. Auf Titu¬ laturen ließ er ſich nicht ein; die vielen Telegramme hatten einen gewiſſen allgemeinen Telegrammſtil in ihm gezeitigt, deſſen er ſich nur entſchlug, wenn er ins Aus¬ malen kam. Es war im Zuſammenhang damit, daß er gegen Worte wie: „Wirklicher Geheimer Ober-Regierungs¬ rat“ einen förmlichen Haß unterhielt. Herzog von Ujeſt oder Herzog von Ratibor waren ihm, trotz ihrer Kürze, immer noch zu lang, und ſo warf er denn ſtatt ihrer einfach mit ‚Hohenlohes‘ um ſich. In der That, er hatte mancherlei Schwächen. Aber dieſe waren doch auch wieder von eben ſo vielen Tugenden begleitet. So beiſpielsweiſe ſah er über alles, was ſich an Liebes¬ geſchichten ereignete, mit einer beinah’ vornehmen Gleich¬ gültigkeit hinweg, was manchem ſehr zu patz kam. Ob dies Drüberhinſehn bloß Geſchäftsmaxime war, oder ob er all dergleichen einfach alltäglich und deshalb mehr

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/400>, abgerufen am 28.03.2024.