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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Sechsunddreißigstes Kapitel.

Der alte Dubslav, als er bald nach elf auf
seinem Granseer Bahnhof eintraf, fand da Martin und
seinen Schlitten bereits vor. Engelke hatte zum Glück
für warme Sachen gesorgt, denn es war inzwischen
recht kalt geworden. Im ersten Augenblicke that dem
Alten, in dessen Coupe die herkömmliche Stickluft gebrütet
hatte, der draußen wehende Ostwind überaus wohl,
sehr bald aber stellte sich ein Frösteln ein. Schon tags
zuvor, bei Beginn seiner Reise, war ihm nicht so recht zu
Mute gewesen, Kopfweh, Druck auf die Schläfe; jetzt
war derselbe Zustand wieder da. Trotzdem nahm er's
leicht damit und sah in das Sterngeflimmer über ihm.
Die wie Riesenbesen aufragenden Pappeln warfen
dunkle, groteske Schatten über den Weg, während er
die nach links und rechts hin liegenden toten Schnee¬
felder mit den wechselnden Bildern alles dessen, was ihm
der zurückliegende Tag gebracht hatte, belebte. Da
sah er wieder die mit rotem Teppich belegte Hotel-
Marmortreppe mit dem Oberkellner in Gesandtschafts¬
attachehaltung, und im nächsten Augenblicke den Gar¬
nisonkirchenküster, den er anfänglich für einen zur
Feier eingeladenen Konsistorialrat gehalten hatte. Da¬
neben aber stand die blasse, schöne Braut und die
reizende, bieg- und schmiegsame Melusine. "Ja, der
alte Barby, wenn er auf die sieht, der hat's gut, der

Sechsunddreißigſtes Kapitel.

Der alte Dubslav, als er bald nach elf auf
ſeinem Granſeer Bahnhof eintraf, fand da Martin und
ſeinen Schlitten bereits vor. Engelke hatte zum Glück
für warme Sachen geſorgt, denn es war inzwiſchen
recht kalt geworden. Im erſten Augenblicke that dem
Alten, in deſſen Coupé die herkömmliche Stickluft gebrütet
hatte, der draußen wehende Oſtwind überaus wohl,
ſehr bald aber ſtellte ſich ein Fröſteln ein. Schon tags
zuvor, bei Beginn ſeiner Reiſe, war ihm nicht ſo recht zu
Mute geweſen, Kopfweh, Druck auf die Schläfe; jetzt
war derſelbe Zuſtand wieder da. Trotzdem nahm er's
leicht damit und ſah in das Sterngeflimmer über ihm.
Die wie Rieſenbeſen aufragenden Pappeln warfen
dunkle, groteske Schatten über den Weg, während er
die nach links und rechts hin liegenden toten Schnee¬
felder mit den wechſelnden Bildern alles deſſen, was ihm
der zurückliegende Tag gebracht hatte, belebte. Da
ſah er wieder die mit rotem Teppich belegte Hotel-
Marmortreppe mit dem Oberkellner in Geſandtſchafts¬
attachéhaltung, und im nächſten Augenblicke den Gar¬
niſonkirchenküſter, den er anfänglich für einen zur
Feier eingeladenen Konſiſtorialrat gehalten hatte. Da¬
neben aber ſtand die blaſſe, ſchöne Braut und die
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[[411]/0418] Sechsunddreißigſtes Kapitel. Der alte Dubslav, als er bald nach elf auf ſeinem Granſeer Bahnhof eintraf, fand da Martin und ſeinen Schlitten bereits vor. Engelke hatte zum Glück für warme Sachen geſorgt, denn es war inzwiſchen recht kalt geworden. Im erſten Augenblicke that dem Alten, in deſſen Coupé die herkömmliche Stickluft gebrütet hatte, der draußen wehende Oſtwind überaus wohl, ſehr bald aber ſtellte ſich ein Fröſteln ein. Schon tags zuvor, bei Beginn ſeiner Reiſe, war ihm nicht ſo recht zu Mute geweſen, Kopfweh, Druck auf die Schläfe; jetzt war derſelbe Zuſtand wieder da. Trotzdem nahm er's leicht damit und ſah in das Sterngeflimmer über ihm. Die wie Rieſenbeſen aufragenden Pappeln warfen dunkle, groteske Schatten über den Weg, während er die nach links und rechts hin liegenden toten Schnee¬ felder mit den wechſelnden Bildern alles deſſen, was ihm der zurückliegende Tag gebracht hatte, belebte. Da ſah er wieder die mit rotem Teppich belegte Hotel- Marmortreppe mit dem Oberkellner in Geſandtſchafts¬ attachéhaltung, und im nächſten Augenblicke den Gar¬ niſonkirchenküſter, den er anfänglich für einen zur Feier eingeladenen Konſiſtorialrat gehalten hatte. Da¬ neben aber ſtand die blaſſe, ſchöne Braut und die reizende, bieg- und ſchmiegſame Meluſine. „Ja, der alte Barby, wenn er auf die ſieht, der hat's gut, der

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. [411]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/418>, abgerufen am 28.03.2024.