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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Ton an. "Nein, Engelke, graule dich nicht vor deinem
alten Herrn. Ich habe es bloß so hingesagt. Die
Buschen soll nich kommen. Es würde mir wohl auch
nicht viel schaden, aber wenn man schon so in sein Grab
sieht, dann muß man doch anders sprechen, sonst hat
man schlechte Nachrede bei den Leuten. Und das möcht'
ich nich, um meinetwegen nich und um Woldemars wegen
nich ... Und dabei fällt mir auch noch Adelheid ein ..
Die käme mir am Ende gleich nach, um mich zu retten.
Nein, Engelke nich die Buschen. Aber gieb mir noch
mal von den Tropfen. Ein bißchen besser als der Thee
sind sie doch."


Engelke ging, und Dubslav war wieder allein.
Er fühlte, daß es zu Ende gehe. "Das "Ich" ist nichts,
-- damit muß man sich durchdringen. Ein ewig Ge¬
setzliches vollzieht sich, weiter nichts, und dieser Vollzug,
auch wenn er "Tod" heißt, darf uns nicht schrecken. In
das Gesetzliche sich ruhig schicken, das macht den sitt¬
lichen Menschen und hebt ihn."

Er hing dem noch so nach und freute sich, alle
Furcht überwunden zu haben. Aber dann kamen doch
wieder Anfälle von Angst, und er seufzte: "Das Leben
ist kurz, aber die Stunde ist lang."


Es war eine schlimme Nacht. Alles blieb auf.
Engelke lief hin und her, und Agnes saß in ihrem Bett
und sah mit großen Augen durch die halbgeöffnete
Thür in das Zimmer des Kranken. Erst als schon der
Tag graute, wurde durch das ganze Haus hin alles
ruhiger; der Kranke nickte matt vor sich hin, und auch
Agnes schlief ein.

Ton an. „Nein, Engelke, graule dich nicht vor deinem
alten Herrn. Ich habe es bloß ſo hingeſagt. Die
Buſchen ſoll nich kommen. Es würde mir wohl auch
nicht viel ſchaden, aber wenn man ſchon ſo in ſein Grab
ſieht, dann muß man doch anders ſprechen, ſonſt hat
man ſchlechte Nachrede bei den Leuten. Und das möcht'
ich nich, um meinetwegen nich und um Woldemars wegen
nich ... Und dabei fällt mir auch noch Adelheid ein ..
Die käme mir am Ende gleich nach, um mich zu retten.
Nein, Engelke nich die Buſchen. Aber gieb mir noch
mal von den Tropfen. Ein bißchen beſſer als der Thee
ſind ſie doch.“


Engelke ging, und Dubslav war wieder allein.
Er fühlte, daß es zu Ende gehe. „Das „Ich“ iſt nichts,
— damit muß man ſich durchdringen. Ein ewig Ge¬
ſetzliches vollzieht ſich, weiter nichts, und dieſer Vollzug,
auch wenn er „Tod“ heißt, darf uns nicht ſchrecken. In
das Geſetzliche ſich ruhig ſchicken, das macht den ſitt¬
lichen Menſchen und hebt ihn.“

Er hing dem noch ſo nach und freute ſich, alle
Furcht überwunden zu haben. Aber dann kamen doch
wieder Anfälle von Angſt, und er ſeufzte: „Das Leben
iſt kurz, aber die Stunde iſt lang.“


Es war eine ſchlimme Nacht. Alles blieb auf.
Engelke lief hin und her, und Agnes ſaß in ihrem Bett
und ſah mit großen Augen durch die halbgeöffnete
Thür in das Zimmer des Kranken. Erſt als ſchon der
Tag graute, wurde durch das ganze Haus hin alles
ruhiger; der Kranke nickte matt vor ſich hin, und auch
Agnes ſchlief ein.

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[494/0501] Ton an. „Nein, Engelke, graule dich nicht vor deinem alten Herrn. Ich habe es bloß ſo hingeſagt. Die Buſchen ſoll nich kommen. Es würde mir wohl auch nicht viel ſchaden, aber wenn man ſchon ſo in ſein Grab ſieht, dann muß man doch anders ſprechen, ſonſt hat man ſchlechte Nachrede bei den Leuten. Und das möcht' ich nich, um meinetwegen nich und um Woldemars wegen nich ... Und dabei fällt mir auch noch Adelheid ein .. Die käme mir am Ende gleich nach, um mich zu retten. Nein, Engelke nich die Buſchen. Aber gieb mir noch mal von den Tropfen. Ein bißchen beſſer als der Thee ſind ſie doch.“ Engelke ging, und Dubslav war wieder allein. Er fühlte, daß es zu Ende gehe. „Das „Ich“ iſt nichts, — damit muß man ſich durchdringen. Ein ewig Ge¬ ſetzliches vollzieht ſich, weiter nichts, und dieſer Vollzug, auch wenn er „Tod“ heißt, darf uns nicht ſchrecken. In das Geſetzliche ſich ruhig ſchicken, das macht den ſitt¬ lichen Menſchen und hebt ihn.“ Er hing dem noch ſo nach und freute ſich, alle Furcht überwunden zu haben. Aber dann kamen doch wieder Anfälle von Angſt, und er ſeufzte: „Das Leben iſt kurz, aber die Stunde iſt lang.“ Es war eine ſchlimme Nacht. Alles blieb auf. Engelke lief hin und her, und Agnes ſaß in ihrem Bett und ſah mit großen Augen durch die halbgeöffnete Thür in das Zimmer des Kranken. Erſt als ſchon der Tag graute, wurde durch das ganze Haus hin alles ruhiger; der Kranke nickte matt vor ſich hin, und auch Agnes ſchlief ein.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/501>, abgerufen am 23.04.2024.