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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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die Mittel und Wege, sich Sr. Majestät zu nähern,
hatte sie nachgedacht, und mit gutem Erfolge. Sie
kannte den Generaladjutanten von Köckritz, der vor
dreißig Jahren und länger, als ein junger Lieutenant
oder Stabskapitän, in ihrem elterlichen Hause ver¬
kehrt und der "kleinen Josephine", dem allgemeinen
Verzuge, manche Bonbonniere geschenkt hatte. Der war
jetzt Liebling des Königs, einflußreichste Person seiner
nächsten Umgebung, und durch ihn, zu dem sie we¬
nigstens in oberflächlichen Beziehungen geblieben war,
hoffte sie sich einer Audienz versichert halten zu
dürfen.

Um die Mittagsstunde war Frau von Carayon
drüben, stieg im "Einsiedler" ab, ordnete ihre Toilette,
und begab sich sofort ins Schloß. Aber hier mußte
sie von einem zufällig die Freitreppe herabkommenden
Kammerherrn in Erfahrung bringen, daß Seine Maje¬
stät Potsdam bereits wieder verlassen und sich zur
Begrüßung Ihrer Majestät der Königin, die Tags
darauf aus Bad Pyrmont zurückzukehren gedenke, nach
Paretz begeben habe, wo man, frei vom Zwange
des Hofes, eine Woche lang in glücklicher Zurückge¬
zogenheit zu verleben gedenke.

Das war nun freilich eine böse Nachricht. Wer
sich zu einem peinlichen Gange (und wenn es der
"hochnotpeinlichste" wäre) anschickt und mit Sehnsucht
auf das Schreckensende wartet, für den ist nichts

die Mittel und Wege, ſich Sr. Majeſtät zu nähern,
hatte ſie nachgedacht, und mit gutem Erfolge. Sie
kannte den Generaladjutanten von Köckritz, der vor
dreißig Jahren und länger, als ein junger Lieutenant
oder Stabskapitän, in ihrem elterlichen Hauſe ver¬
kehrt und der „kleinen Joſephine“, dem allgemeinen
Verzuge, manche Bonbonnière geſchenkt hatte. Der war
jetzt Liebling des Königs, einflußreichſte Perſon ſeiner
nächſten Umgebung, und durch ihn, zu dem ſie we¬
nigſtens in oberflächlichen Beziehungen geblieben war,
hoffte ſie ſich einer Audienz verſichert halten zu
dürfen.

Um die Mittagsſtunde war Frau von Carayon
drüben, ſtieg im „Einſiedler“ ab, ordnete ihre Toilette,
und begab ſich ſofort ins Schloß. Aber hier mußte
ſie von einem zufällig die Freitreppe herabkommenden
Kammerherrn in Erfahrung bringen, daß Seine Maje¬
ſtät Potsdam bereits wieder verlaſſen und ſich zur
Begrüßung Ihrer Majeſtät der Königin, die Tags
darauf aus Bad Pyrmont zurückzukehren gedenke, nach
Paretz begeben habe, wo man, frei vom Zwange
des Hofes, eine Woche lang in glücklicher Zurückge¬
zogenheit zu verleben gedenke.

Das war nun freilich eine böſe Nachricht. Wer
ſich zu einem peinlichen Gange (und wenn es der
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[182/0194] die Mittel und Wege, ſich Sr. Majeſtät zu nähern, hatte ſie nachgedacht, und mit gutem Erfolge. Sie kannte den Generaladjutanten von Köckritz, der vor dreißig Jahren und länger, als ein junger Lieutenant oder Stabskapitän, in ihrem elterlichen Hauſe ver¬ kehrt und der „kleinen Joſephine“, dem allgemeinen Verzuge, manche Bonbonnière geſchenkt hatte. Der war jetzt Liebling des Königs, einflußreichſte Perſon ſeiner nächſten Umgebung, und durch ihn, zu dem ſie we¬ nigſtens in oberflächlichen Beziehungen geblieben war, hoffte ſie ſich einer Audienz verſichert halten zu dürfen. Um die Mittagsſtunde war Frau von Carayon drüben, ſtieg im „Einſiedler“ ab, ordnete ihre Toilette, und begab ſich ſofort ins Schloß. Aber hier mußte ſie von einem zufällig die Freitreppe herabkommenden Kammerherrn in Erfahrung bringen, daß Seine Maje¬ ſtät Potsdam bereits wieder verlaſſen und ſich zur Begrüßung Ihrer Majeſtät der Königin, die Tags darauf aus Bad Pyrmont zurückzukehren gedenke, nach Paretz begeben habe, wo man, frei vom Zwange des Hofes, eine Woche lang in glücklicher Zurückge¬ zogenheit zu verleben gedenke. Das war nun freilich eine böſe Nachricht. Wer ſich zu einem peinlichen Gange (und wenn es der „hochnotpeinlichſte“ wäre) anſchickt und mit Sehnſucht auf das Schreckensende wartet, für den iſt nichts

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/194>, abgerufen am 24.04.2024.