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Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.

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ferner aus einer ihm vorgelegten, oft schlecht bezifferten einzelnen Baßstimme augenblicklich ein Trio oder Quartett abspielen; ja er ging sogar bisweilen so weit, wenn er gerade fröhlicher Laune und im vollen Gefühl seiner Kraft war, zu 3 einzelnen Stimmen sogleich eine vierte zu extemporiren, also aus einem Trio ein Quartett zu machen. Zu solchen Künsten bediente er sich zweyer Claviere und des Pedals, oder eines mit einem Pedal versehenen Doppelflügels.

Am liebsten spielte er auf dem Clavichord. Die sogenannten Flügel, obgleich auch auf ihnen ein gar verschiedener Vortrag statt findet, waren ihm doch zu seelenlos, und die Pianoforte waren bey seinem Leben noch zu sehr in ihrer ersten Entstehung, und noch viel zu plump, als daß sie ihm hätten Genüge thun können. Er hielt daher das Clavichord für das beste Instrument zum Studiren, so wie überhaupt zur musikalischen Privatunterhaltung. Er fand es zum Vortrag seiner feinsten Gedanken am bequemsten, und glaubte nicht, daß auf irgend einem Flügel oder Pianoforte eine solche Mannigfaltigkeit in den Schattirungen des Tons hervor gebracht werden könne, als auf diesem zwar Ton-armen, aber im Kleinen außerordentlich biegsamen Instrument.

Seinen Flügel konnte ihm Niemand zu Dank bekielen; er that es stets selbst. Auch stimmte er so wohl den Flügel als sein Clavichord selbst, und war so geübt in dieser Arbeit, daß sie ihm nie mehr als eine Viertelstunde kostete. Dann waren aber auch, wenn er fantasirte, alle 24 Tonarten sein; er machte mit ihnen was er wollte. Er verband die entferntesten so leicht und so natürlich mit einander, wie die nächsten; man glaubte, er habe nur im innern Kreise einer einzigen Tonart modulirt. Von Härten in der Modulation wußte er nichts; seine Chromatik sogar war in den Uebergängen so sanft und fließend, als wenn er bloß im diatonischen Klanggeschlecht geblieben wäre. Seine nun schon gestochene sogenannte chromatische Fantasie kann beweisen, was ich hier sage. Alle seine freyen Fantasieen sollen von ähnlicher Art, häufig aber noch weit freyer, glänzender und ausdrucksvoller gewesen seyn.

Bey der Ausführung seiner eigenen Stücke nahm er das Tempo gewöhnlich sehr lebhaft, wußte aber außer dieser Lebhaftigkeit noch so viele Mannigfaltigkeit in seinen Vortrag zu bringen, daß jedes Stück unter seiner Hand gleichsam wie eine Rede sprach. Wenn er starke Affekten ausdrücken wollte, that er es nicht wie manche andere durch eine

ferner aus einer ihm vorgelegten, oft schlecht bezifferten einzelnen Baßstimme augenblicklich ein Trio oder Quartett abspielen; ja er ging sogar bisweilen so weit, wenn er gerade fröhlicher Laune und im vollen Gefühl seiner Kraft war, zu 3 einzelnen Stimmen sogleich eine vierte zu extemporiren, also aus einem Trio ein Quartett zu machen. Zu solchen Künsten bediente er sich zweyer Claviere und des Pedals, oder eines mit einem Pedal versehenen Doppelflügels.

Am liebsten spielte er auf dem Clavichord. Die sogenannten Flügel, obgleich auch auf ihnen ein gar verschiedener Vortrag statt findet, waren ihm doch zu seelenlos, und die Pianoforte waren bey seinem Leben noch zu sehr in ihrer ersten Entstehung, und noch viel zu plump, als daß sie ihm hätten Genüge thun können. Er hielt daher das Clavichord für das beste Instrument zum Studiren, so wie überhaupt zur musikalischen Privatunterhaltung. Er fand es zum Vortrag seiner feinsten Gedanken am bequemsten, und glaubte nicht, daß auf irgend einem Flügel oder Pianoforte eine solche Mannigfaltigkeit in den Schattirungen des Tons hervor gebracht werden könne, als auf diesem zwar Ton-armen, aber im Kleinen außerordentlich biegsamen Instrument.

Seinen Flügel konnte ihm Niemand zu Dank bekielen; er that es stets selbst. Auch stimmte er so wohl den Flügel als sein Clavichord selbst, und war so geübt in dieser Arbeit, daß sie ihm nie mehr als eine Viertelstunde kostete. Dann waren aber auch, wenn er fantasirte, alle 24 Tonarten sein; er machte mit ihnen was er wollte. Er verband die entferntesten so leicht und so natürlich mit einander, wie die nächsten; man glaubte, er habe nur im innern Kreise einer einzigen Tonart modulirt. Von Härten in der Modulation wußte er nichts; seine Chromatik sogar war in den Uebergängen so sanft und fließend, als wenn er bloß im diatonischen Klanggeschlecht geblieben wäre. Seine nun schon gestochene sogenannte chromatische Fantasie kann beweisen, was ich hier sage. Alle seine freyen Fantasieen sollen von ähnlicher Art, häufig aber noch weit freyer, glänzender und ausdrucksvoller gewesen seyn.

Bey der Ausführung seiner eigenen Stücke nahm er das Tempo gewöhnlich sehr lebhaft, wußte aber außer dieser Lebhaftigkeit noch so viele Mannigfaltigkeit in seinen Vortrag zu bringen, daß jedes Stück unter seiner Hand gleichsam wie eine Rede sprach. Wenn er starke Affekten ausdrücken wollte, that er es nicht wie manche andere durch eine

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ferner aus einer ihm vorgelegten, oft schlecht bezifferten einzelnen Baßstimme augenblicklich ein Trio oder Quartett abspielen; ja er ging sogar bisweilen so weit, wenn er gerade fröhlicher Laune und im vollen Gefühl seiner Kraft war, zu 3 einzelnen Stimmen sogleich eine vierte zu extemporiren, also aus einem Trio ein Quartett zu machen. Zu solchen Künsten bediente er sich zweyer Claviere und des Pedals, oder eines mit einem Pedal versehenen Doppelflügels.</p>
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        <p>Seinen Flügel konnte ihm Niemand zu Dank bekielen; er that es stets selbst. Auch stimmte er so wohl den Flügel als sein Clavichord selbst, und war so geübt in dieser Arbeit, daß sie ihm nie mehr als eine Viertelstunde kostete. Dann waren aber auch, wenn er fantasirte, alle 24 Tonarten sein; er machte mit ihnen was er wollte. Er verband die entferntesten so leicht und so natürlich mit einander, wie die nächsten; man glaubte, er habe nur im innern Kreise einer einzigen Tonart modulirt. Von Härten in der Modulation wußte er nichts; seine Chromatik sogar war in den Uebergängen so sanft und fließend, als wenn er bloß im diatonischen Klanggeschlecht geblieben wäre. Seine nun schon gestochene sogenannte <hi rendition="#g">chromatische Fantasie</hi> kann beweisen, was ich hier sage. Alle seine freyen Fantasieen sollen von ähnlicher Art, häufig aber noch weit freyer, glänzender und ausdrucksvoller gewesen seyn.</p>
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[17/0027] ferner aus einer ihm vorgelegten, oft schlecht bezifferten einzelnen Baßstimme augenblicklich ein Trio oder Quartett abspielen; ja er ging sogar bisweilen so weit, wenn er gerade fröhlicher Laune und im vollen Gefühl seiner Kraft war, zu 3 einzelnen Stimmen sogleich eine vierte zu extemporiren, also aus einem Trio ein Quartett zu machen. Zu solchen Künsten bediente er sich zweyer Claviere und des Pedals, oder eines mit einem Pedal versehenen Doppelflügels. Am liebsten spielte er auf dem Clavichord. Die sogenannten Flügel, obgleich auch auf ihnen ein gar verschiedener Vortrag statt findet, waren ihm doch zu seelenlos, und die Pianoforte waren bey seinem Leben noch zu sehr in ihrer ersten Entstehung, und noch viel zu plump, als daß sie ihm hätten Genüge thun können. Er hielt daher das Clavichord für das beste Instrument zum Studiren, so wie überhaupt zur musikalischen Privatunterhaltung. Er fand es zum Vortrag seiner feinsten Gedanken am bequemsten, und glaubte nicht, daß auf irgend einem Flügel oder Pianoforte eine solche Mannigfaltigkeit in den Schattirungen des Tons hervor gebracht werden könne, als auf diesem zwar Ton-armen, aber im Kleinen außerordentlich biegsamen Instrument. Seinen Flügel konnte ihm Niemand zu Dank bekielen; er that es stets selbst. Auch stimmte er so wohl den Flügel als sein Clavichord selbst, und war so geübt in dieser Arbeit, daß sie ihm nie mehr als eine Viertelstunde kostete. Dann waren aber auch, wenn er fantasirte, alle 24 Tonarten sein; er machte mit ihnen was er wollte. Er verband die entferntesten so leicht und so natürlich mit einander, wie die nächsten; man glaubte, er habe nur im innern Kreise einer einzigen Tonart modulirt. Von Härten in der Modulation wußte er nichts; seine Chromatik sogar war in den Uebergängen so sanft und fließend, als wenn er bloß im diatonischen Klanggeschlecht geblieben wäre. Seine nun schon gestochene sogenannte chromatische Fantasie kann beweisen, was ich hier sage. Alle seine freyen Fantasieen sollen von ähnlicher Art, häufig aber noch weit freyer, glänzender und ausdrucksvoller gewesen seyn. Bey der Ausführung seiner eigenen Stücke nahm er das Tempo gewöhnlich sehr lebhaft, wußte aber außer dieser Lebhaftigkeit noch so viele Mannigfaltigkeit in seinen Vortrag zu bringen, daß jedes Stück unter seiner Hand gleichsam wie eine Rede sprach. Wenn er starke Affekten ausdrücken wollte, that er es nicht wie manche andere durch eine

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Zitationshilfe: Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/27>, abgerufen am 28.03.2024.