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Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Zweites Bändchen. Berlin, 1810.

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Ich weiß den Schatz, ich nenn' ihn nicht,
Er ist ein Gold ohn' alle Schlacken,
Und kenntet ihr sein süßes Licht,
Ihr Leut', ihr kämt mit Spat' und Hacken,
Und fändet doch den Holden nicht.


Ihn kann aus seinem finstren Grab
Nur ein sündlos Geschöpf erwecken,
Drum fuhr mein frommer Bub' hinab.
Im Anfang thät's mich doch erschrecken,
Nun schüttl' ich alles Bangen ab.

Die Frau hatte indeß, das Lied wenig beachtend, Stühle herbei geschoben, abgewischt und Luisen wiederholt zum Sitzen genöthigt, als diese sie unter innrem Schauern fragte, wer der wunderliche Alte sei. Es ist der wahnsinnige Claus, erwiederte diese leise. Sollten Sie den nicht auf dem Falkenstein gesehn haben? Er ist des alten Georgs Bruder, und streift überall umher. Ostern werden es vier Jahr, da verlor er sein einzig Kind, einen bildschönen Buben von funfzehn Jahren, der im Schacht verschüttet ward. Seitdem ist er irre geworden. Zu Anfang saß er Nacht und Tag auf der Felswand und pochte an, und hoffte, der Knabe solle ihm antworten. Damals mocht' er wohl das Lied zuerst singen, was er zeither gehend und stehend

Ich weiß den Schatz, ich nenn’ ihn nicht,
Er ist ein Gold ohn’ alle Schlacken,
Und kenntet ihr sein süßes Licht,
Ihr Leut’, ihr kämt mit Spat’ und Hacken,
Und fändet doch den Holden nicht.


Ihn kann aus seinem finstren Grab
Nur ein sündlos Geschöpf erwecken,
Drum fuhr mein frommer Bub’ hinab.
Im Anfang thät’s mich doch erschrecken,
Nun schüttl’ ich alles Bangen ab.

Die Frau hatte indeß, das Lied wenig beachtend, Stühle herbei geschoben, abgewischt und Luisen wiederholt zum Sitzen genöthigt, als diese sie unter innrem Schauern fragte, wer der wunderliche Alte sei. Es ist der wahnsinnige Claus, erwiederte diese leise. Sollten Sie den nicht auf dem Falkenstein gesehn haben? Er ist des alten Georgs Bruder, und streift überall umher. Ostern werden es vier Jahr, da verlor er sein einzig Kind, einen bildschönen Buben von funfzehn Jahren, der im Schacht verschüttet ward. Seitdem ist er irre geworden. Zu Anfang saß er Nacht und Tag auf der Felswand und pochte an, und hoffte, der Knabe solle ihm antworten. Damals mocht’ er wohl das Lied zuerst singen, was er zeither gehend und stehend

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[43/0045] Ich weiß den Schatz, ich nenn’ ihn nicht, Er ist ein Gold ohn’ alle Schlacken, Und kenntet ihr sein süßes Licht, Ihr Leut’, ihr kämt mit Spat’ und Hacken, Und fändet doch den Holden nicht. Ihn kann aus seinem finstren Grab Nur ein sündlos Geschöpf erwecken, Drum fuhr mein frommer Bub’ hinab. Im Anfang thät’s mich doch erschrecken, Nun schüttl’ ich alles Bangen ab. Die Frau hatte indeß, das Lied wenig beachtend, Stühle herbei geschoben, abgewischt und Luisen wiederholt zum Sitzen genöthigt, als diese sie unter innrem Schauern fragte, wer der wunderliche Alte sei. Es ist der wahnsinnige Claus, erwiederte diese leise. Sollten Sie den nicht auf dem Falkenstein gesehn haben? Er ist des alten Georgs Bruder, und streift überall umher. Ostern werden es vier Jahr, da verlor er sein einzig Kind, einen bildschönen Buben von funfzehn Jahren, der im Schacht verschüttet ward. Seitdem ist er irre geworden. Zu Anfang saß er Nacht und Tag auf der Felswand und pochte an, und hoffte, der Knabe solle ihm antworten. Damals mocht’ er wohl das Lied zuerst singen, was er zeither gehend und stehend

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Zitationshilfe: Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Zweites Bändchen. Berlin, 1810, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins02_1810/45>, abgerufen am 28.03.2024.