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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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Sie machte eine Pause, in der sie einen ihrer
Kehle fremdartigen Ton hinunterpreßte. Dann, nach
einem Blick auf das Kind, der etwa wie "armer, ver¬
lassener Wurm!" auszulegen war, fuhr sie fort:

"Freilich, bei mir ist's eine Weile her. Die
Eltern waren todt, Geschwister hatte ich keine und die
Gevattern und Muhmen, wenn sie allenfalls noch lebten,
ich würde sie schwerlich wiedererkennen, oder richtiger
ausgedrückt, sie würden die Lisette nicht wiedererkennen
wollen, die -- -- Aber Du, August, Du bist ein
junges Blut gegen mich. Wie lange ist es denn her?
Keine zehn Jahr."

"Anno neun, Lisette. Netto acht Jahre. Es
war, wie der Herzog --"

"Ich weiß das vom Herzog, Freund. Acht
Jahre! In der Zeit wird ein Mensch nicht ver¬
gessen und ein Mann wird nur mit Ehren darauf an¬
gesehen. Kehrtest Du heute heim, Deine Leute würden
Dich mit Vergnügen aufnehmen, August."

Freund August lachte aus vollem Halse. "Meine
Leute?" fragte er, "der Förster etwa, dem ich aus dem
Garne gelaufen bin?"

"Nun, wenn der Förster just auch nicht, so doch
die, welche Dich vor ihm in Versorgung hatten."

Sie machte eine Pauſe, in der ſie einen ihrer
Kehle fremdartigen Ton hinunterpreßte. Dann, nach
einem Blick auf das Kind, der etwa wie „armer, ver¬
laſſener Wurm!“ auszulegen war, fuhr ſie fort:

„Freilich, bei mir iſt's eine Weile her. Die
Eltern waren todt, Geſchwiſter hatte ich keine und die
Gevattern und Muhmen, wenn ſie allenfalls noch lebten,
ich würde ſie ſchwerlich wiedererkennen, oder richtiger
ausgedrückt, ſie würden die Liſette nicht wiedererkennen
wollen, die — — Aber Du, Auguſt, Du biſt ein
junges Blut gegen mich. Wie lange iſt es denn her?
Keine zehn Jahr.“

„Anno neun, Liſette. Netto acht Jahre. Es
war, wie der Herzog —“

„Ich weiß das vom Herzog, Freund. Acht
Jahre! In der Zeit wird ein Menſch nicht ver¬
geſſen und ein Mann wird nur mit Ehren darauf an¬
geſehen. Kehrteſt Du heute heim, Deine Leute würden
Dich mit Vergnügen aufnehmen, Auguſt.“

Freund Auguſt lachte aus vollem Halſe. „Meine
Leute?“ fragte er, „der Förſter etwa, dem ich aus dem
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„Nun, wenn der Förſter juſt auch nicht, ſo doch
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[6/0013] Sie machte eine Pauſe, in der ſie einen ihrer Kehle fremdartigen Ton hinunterpreßte. Dann, nach einem Blick auf das Kind, der etwa wie „armer, ver¬ laſſener Wurm!“ auszulegen war, fuhr ſie fort: „Freilich, bei mir iſt's eine Weile her. Die Eltern waren todt, Geſchwiſter hatte ich keine und die Gevattern und Muhmen, wenn ſie allenfalls noch lebten, ich würde ſie ſchwerlich wiedererkennen, oder richtiger ausgedrückt, ſie würden die Liſette nicht wiedererkennen wollen, die — — Aber Du, Auguſt, Du biſt ein junges Blut gegen mich. Wie lange iſt es denn her? Keine zehn Jahr.“ „Anno neun, Liſette. Netto acht Jahre. Es war, wie der Herzog —“ „Ich weiß das vom Herzog, Freund. Acht Jahre! In der Zeit wird ein Menſch nicht ver¬ geſſen und ein Mann wird nur mit Ehren darauf an¬ geſehen. Kehrteſt Du heute heim, Deine Leute würden Dich mit Vergnügen aufnehmen, Auguſt.“ Freund Auguſt lachte aus vollem Halſe. „Meine Leute?“ fragte er, „der Förſter etwa, dem ich aus dem Garne gelaufen bin?“ „Nun, wenn der Förſter juſt auch nicht, ſo doch die, welche Dich vor ihm in Verſorgung hatten.“

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/13>, abgerufen am 29.03.2024.