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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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mehr gehört, denn ihr Gespons hatte den Faden be¬
reits wieder aufgegriffen.

"So viel steht fest, Lisette," erklärte er, "hätte
Fräulein Hardine mich lebtags mit Streichelfingerchen
angefaßt, ich könnte sie vergessen haben. Nun sie sich
thätlich an mir vergriffen hat, bleibt und lebt sie vor
meinen Augen und würde ich hundert Jahre.

"Ich war auf diese Weise ein stämmiger Bursche
geworden; kopfshoch größer als sämmtliche Kameraden,
und in mir rumorte anjetzo nur noch ein einziges
Gelüst. Nicht mehr: "In den Wald!" wie früherhin.
Nein: "Ein Pferd unter den Leib und unter die
Soldaten!" Ich hatte in meinem Leben die ersten
Truppen gesehen. Preußen und Landeskinder waren
an dem Kloster vorübergezogen. Nämlich während
der Mobilmachung von Anno fünf, wo sie dem Oester¬
reicher zu Hülfe wollten. Der Oesterreicher wurde in
der Klemme gelassen und meine Preußen zogen wieder
ab. Aber nächsten Herbst kamen sie retour. Recta¬
mente dem Napoleon auf den Pelz, der bereits auf
dem Wege sei, wie es hieß. Da prickelte es mir
freilich vom Kopf zur Zeh'! Ich hatte aber doch so
viel Einsehen, daß sie einen halbwüchsigen, verlaufenen
Waisenjungen bei der Armee nicht nehmen würden.

mehr gehört, denn ihr Geſpons hatte den Faden be¬
reits wieder aufgegriffen.

„So viel ſteht feſt, Liſette,“ erklärte er, „hätte
Fräulein Hardine mich lebtags mit Streichelfingerchen
angefaßt, ich könnte ſie vergeſſen haben. Nun ſie ſich
thätlich an mir vergriffen hat, bleibt und lebt ſie vor
meinen Augen und würde ich hundert Jahre.

„Ich war auf dieſe Weiſe ein ſtämmiger Burſche
geworden; kopfshoch größer als ſämmtliche Kameraden,
und in mir rumorte anjetzo nur noch ein einziges
Gelüſt. Nicht mehr: „In den Wald!“ wie früherhin.
Nein: „Ein Pferd unter den Leib und unter die
Soldaten!“ Ich hatte in meinem Leben die erſten
Truppen geſehen. Preußen und Landeskinder waren
an dem Kloſter vorübergezogen. Nämlich während
der Mobilmachung von Anno fünf, wo ſie dem Oeſter¬
reicher zu Hülfe wollten. Der Oeſterreicher wurde in
der Klemme gelaſſen und meine Preußen zogen wieder
ab. Aber nächſten Herbſt kamen ſie retour. Recta¬
mente dem Napoleon auf den Pelz, der bereits auf
dem Wege ſei, wie es hieß. Da prickelte es mir
freilich vom Kopf zur Zeh'! Ich hatte aber doch ſo
viel Einſehen, daß ſie einen halbwüchſigen, verlaufenen
Waiſenjungen bei der Armee nicht nehmen würden.

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[15/0022] mehr gehört, denn ihr Geſpons hatte den Faden be¬ reits wieder aufgegriffen. „So viel ſteht feſt, Liſette,“ erklärte er, „hätte Fräulein Hardine mich lebtags mit Streichelfingerchen angefaßt, ich könnte ſie vergeſſen haben. Nun ſie ſich thätlich an mir vergriffen hat, bleibt und lebt ſie vor meinen Augen und würde ich hundert Jahre. „Ich war auf dieſe Weiſe ein ſtämmiger Burſche geworden; kopfshoch größer als ſämmtliche Kameraden, und in mir rumorte anjetzo nur noch ein einziges Gelüſt. Nicht mehr: „In den Wald!“ wie früherhin. Nein: „Ein Pferd unter den Leib und unter die Soldaten!“ Ich hatte in meinem Leben die erſten Truppen geſehen. Preußen und Landeskinder waren an dem Kloſter vorübergezogen. Nämlich während der Mobilmachung von Anno fünf, wo ſie dem Oeſter¬ reicher zu Hülfe wollten. Der Oeſterreicher wurde in der Klemme gelaſſen und meine Preußen zogen wieder ab. Aber nächſten Herbſt kamen ſie retour. Recta¬ mente dem Napoleon auf den Pelz, der bereits auf dem Wege ſei, wie es hieß. Da prickelte es mir freilich vom Kopf zur Zeh'! Ich hatte aber doch ſo viel Einſehen, daß ſie einen halbwüchſigen, verlaufenen Waiſenjungen bei der Armee nicht nehmen würden.

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/22>, abgerufen am 29.03.2024.