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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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"Er lebt, er lebt!" schrie sie auf. "Wer sagt,
daß er lebt? Wer hat es gesehen, daß er lebt?"

"Hardine sagt es," versetzte ich, "Hardine hat
ihn gesehen. Der Knabe lebt!"

"Er lebt, er lebt!" rief sie, "Hardine sagt es,
Hardine lügt nicht, niemals! Hardine hat ihn ge¬
sehen. Er lebt! Wo, wo? Führe mich zu ihm, Har¬
dine!"

"Ja, ich will Dich zu ihm führen, Dorothee.
Ich will Dich mit mir nehmen nach Reckenburg.
Weißt Du noch? nach Reckenburg, Dorothee." --

Eine Minute lang saß sie sinnend, rieb sich die
Stirn und murmelte: "Reckenburg! Reckenburg!"
Endlich hatte sie es gefunden. "In Reckenburg, ja in
Reckenburg, da war's. Nicht im Waisenhause, nicht
bei den Schwarzen. In Reckenburg lebt er. Fräu¬
lein Hardine hat ihn gesehen. Fräulein Hardine
nimmt mich mit nach Reckenburg; Fräulein Hardine
hält Wort!" Sie klatschte in die Hände wie ein
Kind. "Nach Reckenburg!" jubelte sie, "kommen Sie,
Fräulein Hardine."

"Ich bringe Dich nach Reckenburg," sagte ich;
aber nicht heute; erst mußt Du gesund werden, liebe
Dorothee."

„Er lebt, er lebt!“ ſchrie ſie auf. „Wer ſagt,
daß er lebt? Wer hat es geſehen, daß er lebt?“

„Hardine ſagt es,“ verſetzte ich, „Hardine hat
ihn geſehen. Der Knabe lebt!“

„Er lebt, er lebt!“ rief ſie, „Hardine ſagt es,
Hardine lügt nicht, niemals! Hardine hat ihn ge¬
ſehen. Er lebt! Wo, wo? Führe mich zu ihm, Har¬
dine!“

„Ja, ich will Dich zu ihm führen, Dorothee.
Ich will Dich mit mir nehmen nach Reckenburg.
Weißt Du noch? nach Reckenburg, Dorothee.“ —

Eine Minute lang ſaß ſie ſinnend, rieb ſich die
Stirn und murmelte: „Reckenburg! Reckenburg!“
Endlich hatte ſie es gefunden. „In Reckenburg, ja in
Reckenburg, da war's. Nicht im Waiſenhauſe, nicht
bei den Schwarzen. In Reckenburg lebt er. Fräu¬
lein Hardine hat ihn geſehen. Fräulein Hardine
nimmt mich mit nach Reckenburg; Fräulein Hardine
hält Wort!“ Sie klatſchte in die Hände wie ein
Kind. „Nach Reckenburg!“ jubelte ſie, „kommen Sie,
Fräulein Hardine.“

„Ich bringe Dich nach Reckenburg,“ ſagte ich;
aber nicht heute; erſt mußt Du geſund werden, liebe
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[206/0210] „Er lebt, er lebt!“ ſchrie ſie auf. „Wer ſagt, daß er lebt? Wer hat es geſehen, daß er lebt?“ „Hardine ſagt es,“ verſetzte ich, „Hardine hat ihn geſehen. Der Knabe lebt!“ „Er lebt, er lebt!“ rief ſie, „Hardine ſagt es, Hardine lügt nicht, niemals! Hardine hat ihn ge¬ ſehen. Er lebt! Wo, wo? Führe mich zu ihm, Har¬ dine!“ „Ja, ich will Dich zu ihm führen, Dorothee. Ich will Dich mit mir nehmen nach Reckenburg. Weißt Du noch? nach Reckenburg, Dorothee.“ — Eine Minute lang ſaß ſie ſinnend, rieb ſich die Stirn und murmelte: „Reckenburg! Reckenburg!“ Endlich hatte ſie es gefunden. „In Reckenburg, ja in Reckenburg, da war's. Nicht im Waiſenhauſe, nicht bei den Schwarzen. In Reckenburg lebt er. Fräu¬ lein Hardine hat ihn geſehen. Fräulein Hardine nimmt mich mit nach Reckenburg; Fräulein Hardine hält Wort!“ Sie klatſchte in die Hände wie ein Kind. „Nach Reckenburg!“ jubelte ſie, „kommen Sie, Fräulein Hardine.“ „Ich bringe Dich nach Reckenburg,“ ſagte ich; aber nicht heute; erſt mußt Du geſund werden, liebe Dorothee.“

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/210>, abgerufen am 29.03.2024.