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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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entrückt und mit Majorsbeförderung zu der Armee
vor Mainz befohlen wurde.

Sobald ich diese Nachricht erhalten hatte, berei¬
tete ich meine Abreise für den nächsten Morgen vor,
und es blieben mir nur wenige flüchtige Minuten zum
Abschied in dem Muhmenhause. Peinlich, trotz aller
Aufregung, empfand ich die Nothwendigkeit, Dorotheen
in der Heimath als krank zurückgeblieben aufführen
und auf diese Weise mich der ersten buchstäblichen
Lüge in meinem Leben schuldig machen zu müssen.

Sie sollte mir indessen erspart werden, denn
zu meinem unaussprechlichen Staunen fand ich, als
ich am Morgen vor dem Posthause eintraf, meine
Schutzbefohlene, zur Rückreise gerüstet, meiner harrend
-- allein ohne ihr Kind. "Es läßt mir keine Ruhe,
ich muß dem lieben, gnädigen Papa zum Abschiede
noch einmal die Hand küssen. Solch ein gütiger,
herzlicher Vater von Kindesbeinen an auch für mich,
Fräulein Hardine!" schluchzte sie und setzte dann hastig,
mit niedergeschlagenen Augen hinzu: "Der Kleine ist
ja versorgt; die Muhme versteht es ja weit besser als
ich, Fräulein Hardine, und zum Herbst nehmen Sie
mich wieder mit zurück."

In unverhohlener Entrüstung wendete ich mich

entrückt und mit Majorsbeförderung zu der Armee
vor Mainz befohlen wurde.

Sobald ich dieſe Nachricht erhalten hatte, berei¬
tete ich meine Abreiſe für den nächſten Morgen vor,
und es blieben mir nur wenige flüchtige Minuten zum
Abſchied in dem Muhmenhauſe. Peinlich, trotz aller
Aufregung, empfand ich die Nothwendigkeit, Dorotheen
in der Heimath als krank zurückgeblieben aufführen
und auf dieſe Weiſe mich der erſten buchſtäblichen
Lüge in meinem Leben ſchuldig machen zu müſſen.

Sie ſollte mir indeſſen erſpart werden, denn
zu meinem unausſprechlichen Staunen fand ich, als
ich am Morgen vor dem Poſthauſe eintraf, meine
Schutzbefohlene, zur Rückreiſe gerüſtet, meiner harrend
— allein ohne ihr Kind. „Es läßt mir keine Ruhe,
ich muß dem lieben, gnädigen Papa zum Abſchiede
noch einmal die Hand küſſen. Solch ein gütiger,
herzlicher Vater von Kindesbeinen an auch für mich,
Fräulein Hardine!“ ſchluchzte ſie und ſetzte dann haſtig,
mit niedergeſchlagenen Augen hinzu: „Der Kleine iſt
ja verſorgt; die Muhme verſteht es ja weit beſſer als
ich, Fräulein Hardine, und zum Herbſt nehmen Sie
mich wieder mit zurück.“

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[39/0043] entrückt und mit Majorsbeförderung zu der Armee vor Mainz befohlen wurde. Sobald ich dieſe Nachricht erhalten hatte, berei¬ tete ich meine Abreiſe für den nächſten Morgen vor, und es blieben mir nur wenige flüchtige Minuten zum Abſchied in dem Muhmenhauſe. Peinlich, trotz aller Aufregung, empfand ich die Nothwendigkeit, Dorotheen in der Heimath als krank zurückgeblieben aufführen und auf dieſe Weiſe mich der erſten buchſtäblichen Lüge in meinem Leben ſchuldig machen zu müſſen. Sie ſollte mir indeſſen erſpart werden, denn zu meinem unausſprechlichen Staunen fand ich, als ich am Morgen vor dem Poſthauſe eintraf, meine Schutzbefohlene, zur Rückreiſe gerüſtet, meiner harrend — allein ohne ihr Kind. „Es läßt mir keine Ruhe, ich muß dem lieben, gnädigen Papa zum Abſchiede noch einmal die Hand küſſen. Solch ein gütiger, herzlicher Vater von Kindesbeinen an auch für mich, Fräulein Hardine!“ ſchluchzte ſie und ſetzte dann haſtig, mit niedergeſchlagenen Augen hinzu: „Der Kleine iſt ja verſorgt; die Muhme verſteht es ja weit beſſer als ich, Fräulein Hardine, und zum Herbſt nehmen Sie mich wieder mit zurück.“ In unverhohlener Entrüſtung wendete ich mich

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/43>, abgerufen am 16.04.2024.