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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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Ja freilich grämte und schämte sie sich, die un¬
glückliche Dorothee, wenn auch aus anderen Gründen,
als ihr alter Freund ihr unterschob. Sie mied uns
in sichtbarer Seelenangst, saß mit vorgezogenem Rie¬
gel in ihrer Stube, und huschte im Garten scheu und
stumm an uns vorüber. Redeten wir sie an, und
war es das Gleichgültigste, so antwortete sie verwor¬
ren und ausweichend. Ich sah, sie zitterte vor einer
Erörterung, die auch ich von Tage zu Tage verschob.
Warum, da sie doch unausbleiblich und jedenfalls vor
meiner Abreise nach Reckenburg stattfinden mußte?
Ja, warum scheut man sich denn, einen Knoten zu
durchhauen, warum rechnet man auf das Unwahr¬
scheinlichste, das eine Lösung bewirken könnte? Ich
zum Exempel rechnete auf eine Eröffnung und vielleicht
Verständigung zwischen dem Prinzen und Faber, die
mich der Pein einer Mittlerrolle überhob.

Endlich, endlich kam der langersehnte Brief vom
Adjutanten. Der Prinz hatte seine Verzögerung be¬
fohlen, um die Freunde, eines kleinen Unfalls halber,
nicht ohne Noth zu beunruhigen. Er war, indem er
dem die Tete bildenden Regimente Weimar nacheilte,
beim Ueberschreiten der Gränze auf ein preußisches
Reiterpiket gestoßen, hatte sich ihm angeschlossen und

Ja freilich grämte und ſchämte ſie ſich, die un¬
glückliche Dorothee, wenn auch aus anderen Gründen,
als ihr alter Freund ihr unterſchob. Sie mied uns
in ſichtbarer Seelenangſt, ſaß mit vorgezogenem Rie¬
gel in ihrer Stube, und huſchte im Garten ſcheu und
ſtumm an uns vorüber. Redeten wir ſie an, und
war es das Gleichgültigſte, ſo antwortete ſie verwor¬
ren und ausweichend. Ich ſah, ſie zitterte vor einer
Erörterung, die auch ich von Tage zu Tage verſchob.
Warum, da ſie doch unausbleiblich und jedenfalls vor
meiner Abreiſe nach Reckenburg ſtattfinden mußte?
Ja, warum ſcheut man ſich denn, einen Knoten zu
durchhauen, warum rechnet man auf das Unwahr¬
ſcheinlichſte, das eine Löſung bewirken könnte? Ich
zum Exempel rechnete auf eine Eröffnung und vielleicht
Verſtändigung zwiſchen dem Prinzen und Faber, die
mich der Pein einer Mittlerrolle überhob.

Endlich, endlich kam der langerſehnte Brief vom
Adjutanten. Der Prinz hatte ſeine Verzögerung be¬
fohlen, um die Freunde, eines kleinen Unfalls halber,
nicht ohne Noth zu beunruhigen. Er war, indem er
dem die Tête bildenden Regimente Weimar nacheilte,
beim Ueberſchreiten der Gränze auf ein preußiſches
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[5/0009] Ja freilich grämte und ſchämte ſie ſich, die un¬ glückliche Dorothee, wenn auch aus anderen Gründen, als ihr alter Freund ihr unterſchob. Sie mied uns in ſichtbarer Seelenangſt, ſaß mit vorgezogenem Rie¬ gel in ihrer Stube, und huſchte im Garten ſcheu und ſtumm an uns vorüber. Redeten wir ſie an, und war es das Gleichgültigſte, ſo antwortete ſie verwor¬ ren und ausweichend. Ich ſah, ſie zitterte vor einer Erörterung, die auch ich von Tage zu Tage verſchob. Warum, da ſie doch unausbleiblich und jedenfalls vor meiner Abreiſe nach Reckenburg ſtattfinden mußte? Ja, warum ſcheut man ſich denn, einen Knoten zu durchhauen, warum rechnet man auf das Unwahr¬ ſcheinlichſte, das eine Löſung bewirken könnte? Ich zum Exempel rechnete auf eine Eröffnung und vielleicht Verſtändigung zwiſchen dem Prinzen und Faber, die mich der Pein einer Mittlerrolle überhob. Endlich, endlich kam der langerſehnte Brief vom Adjutanten. Der Prinz hatte ſeine Verzögerung be¬ fohlen, um die Freunde, eines kleinen Unfalls halber, nicht ohne Noth zu beunruhigen. Er war, indem er dem die Tête bildenden Regimente Weimar nacheilte, beim Ueberſchreiten der Gränze auf ein preußiſches Reiterpiket geſtoßen, hatte ſich ihm angeſchloſſen und

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/9>, abgerufen am 29.03.2024.