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Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, N. F., Bd. 100/1 (1892), S. 25-50.

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G. Frege:

2) durch die Rückgabe Elsaß-Lothringens können Frankreichs
Rachegelüste nicht beschwichtigt werden.

In dem Ausdrucke des ersten Gedankens haben die Worte des
Nebensatzes ihre ungerade Bedeutung, während dieselben Worte im
Ausdrucke des zweiten Gedankens ihre gewöhnliche Bedeutung
haben. Wir sehn daraus, daß der Nebensatz in unserm ursprüng¬
lichen Satzgefüge eigentlich doppelt zu nehmen ist mit verschiedenen
Bedeutungen, von denen die eine ein Gedanke, die andere ein
Wahrheitswerth ist. Weil nun der Wahrheitswerth nicht die ganze
Bedeutung des Nebensatzes ist, können wir diesen nicht einfach
durch einen andern desselben Wahrheitswerthes ersetzen. Aehnliches
haben wir bei Ausdrücken wie "wissen", "erkennen", "es ist be¬
kannt".

Mit einem Nebensatze des Grundes und dem zugehörigen
Hauptsatze drücken wir mehrere Gedanken aus, die aber nicht den
Sätzen einzeln entsprechen. Der Satz
"weil das Eis specifisch leichter als Wasser ist, schwimmt
es auf dem Wasser"

haben wir

1) das Eis ist specifisch leichter als Wasser;
2) wenn etwas specifisch leichter als Wasser ist, so schwimmt
es auf dem Wasser;

3) das Eis schwimmt auf dem Wasser.

Der dritte Gedanke brauchte allenfalls nicht ausdrücklich aufgeführt
zu werden als in den ersten beiden enthalten. Dagegen würden
weder der erste und dritte, noch der zweite und dritte zusammen
den Sinn unsers Satzes ausmachen. Man sieht nun, daß in
unserm Nebensatze
"weil das Eis specifisch leichter als Wasser ist"
sowohl unser erster Gedanke, als auch ein Theil unsers zweiten
ausgedrückt ist. Daher kommt es, daß wir unsern Nebensatz nicht
einfach durch einen andern desselben Wahrheitswerthes ersetzen
können; denn dadurch würde auch unser zweiter Gedanke geändert
und davon könnte leicht auch dessen Wahrheitswerth berührt
werden.

Aehnlich ist die Sache in dem Satze
"wenn Eisen specifisch leichter als Wasser wäre, so würde
es auf dem Wasser schwimmen."

G. Frege:

2) durch die Rückgabe Elſaß-Lothringens können Frankreichs
Rachegelüſte nicht beſchwichtigt werden.

In dem Ausdrucke des erſten Gedankens haben die Worte des
Nebenſatzes ihre ungerade Bedeutung, während dieſelben Worte im
Ausdrucke des zweiten Gedankens ihre gewöhnliche Bedeutung
haben. Wir ſehn daraus, daß der Nebenſatz in unſerm urſprüng¬
lichen Satzgefüge eigentlich doppelt zu nehmen iſt mit verſchiedenen
Bedeutungen, von denen die eine ein Gedanke, die andere ein
Wahrheitswerth iſt. Weil nun der Wahrheitswerth nicht die ganze
Bedeutung des Nebenſatzes iſt, können wir dieſen nicht einfach
durch einen andern deſſelben Wahrheitswerthes erſetzen. Aehnliches
haben wir bei Ausdrücken wie „wiſſen“, „erkennen“, „es iſt be¬
kannt“.

Mit einem Nebenſatze des Grundes und dem zugehörigen
Hauptſatze drücken wir mehrere Gedanken aus, die aber nicht den
Sätzen einzeln entſprechen. Der Satz
„weil das Eis ſpecifiſch leichter als Waſſer iſt, ſchwimmt
es auf dem Waſſer“

haben wir

1) das Eis iſt ſpecifiſch leichter als Waſſer;
2) wenn etwas ſpecifiſch leichter als Waſſer iſt, ſo ſchwimmt
es auf dem Waſſer;

3) das Eis ſchwimmt auf dem Waſſer.

Der dritte Gedanke brauchte allenfalls nicht ausdrücklich aufgeführt
zu werden als in den erſten beiden enthalten. Dagegen würden
weder der erſte und dritte, noch der zweite und dritte zuſammen
den Sinn unſers Satzes ausmachen. Man ſieht nun, daß in
unſerm Nebenſatze
„weil das Eis ſpecifiſch leichter als Waſſer iſt“
ſowohl unſer erſter Gedanke, als auch ein Theil unſers zweiten
ausgedrückt iſt. Daher kommt es, daß wir unſern Nebenſatz nicht
einfach durch einen andern deſſelben Wahrheitswerthes erſetzen
können; denn dadurch würde auch unſer zweiter Gedanke geändert
und davon könnte leicht auch deſſen Wahrheitswerth berührt
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„wenn Eiſen ſpecifiſch leichter als Waſſer wäre, ſo würde
es auf dem Waſſer ſchwimmen.“

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[48/0044] G. Frege: 2) durch die Rückgabe Elſaß-Lothringens können Frankreichs Rachegelüſte nicht beſchwichtigt werden. In dem Ausdrucke des erſten Gedankens haben die Worte des Nebenſatzes ihre ungerade Bedeutung, während dieſelben Worte im Ausdrucke des zweiten Gedankens ihre gewöhnliche Bedeutung haben. Wir ſehn daraus, daß der Nebenſatz in unſerm urſprüng¬ lichen Satzgefüge eigentlich doppelt zu nehmen iſt mit verſchiedenen Bedeutungen, von denen die eine ein Gedanke, die andere ein Wahrheitswerth iſt. Weil nun der Wahrheitswerth nicht die ganze Bedeutung des Nebenſatzes iſt, können wir dieſen nicht einfach durch einen andern deſſelben Wahrheitswerthes erſetzen. Aehnliches haben wir bei Ausdrücken wie „wiſſen“, „erkennen“, „es iſt be¬ kannt“. Mit einem Nebenſatze des Grundes und dem zugehörigen Hauptſatze drücken wir mehrere Gedanken aus, die aber nicht den Sätzen einzeln entſprechen. Der Satz „weil das Eis ſpecifiſch leichter als Waſſer iſt, ſchwimmt es auf dem Waſſer“ haben wir 1) das Eis iſt ſpecifiſch leichter als Waſſer; 2) wenn etwas ſpecifiſch leichter als Waſſer iſt, ſo ſchwimmt es auf dem Waſſer; 3) das Eis ſchwimmt auf dem Waſſer. Der dritte Gedanke brauchte allenfalls nicht ausdrücklich aufgeführt zu werden als in den erſten beiden enthalten. Dagegen würden weder der erſte und dritte, noch der zweite und dritte zuſammen den Sinn unſers Satzes ausmachen. Man ſieht nun, daß in unſerm Nebenſatze „weil das Eis ſpecifiſch leichter als Waſſer iſt“ ſowohl unſer erſter Gedanke, als auch ein Theil unſers zweiten ausgedrückt iſt. Daher kommt es, daß wir unſern Nebenſatz nicht einfach durch einen andern deſſelben Wahrheitswerthes erſetzen können; denn dadurch würde auch unſer zweiter Gedanke geändert und davon könnte leicht auch deſſen Wahrheitswerth berührt werden. Aehnlich iſt die Sache in dem Satze „wenn Eiſen ſpecifiſch leichter als Waſſer wäre, ſo würde es auf dem Waſſer ſchwimmen.“

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Zitationshilfe: Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, N. F., Bd. 100/1 (1892), S. 25-50, hier S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frege_sinn_1892/44>, abgerufen am 20.04.2024.