Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, N. F., Bd. 100/1 (1892), S. 25-50.

Bild:
<< vorherige Seite

Über Sinn und Bedeutung.
Wir haben hier die beiden Gedanken, daß Eisen nicht specifisch
leichter ist als Wasser, und daß etwas auf dem Wasser schwimmt,
wenn es specifisch leichter als Wasser ist. Der Nebensatz drückt
wieder den einen und einen Theil des andern Gedankens aus.

Wenn wir den früher betrachteten Satz
"nachdem Schleswig-Holstein von Dänemark losgerissen
war, entzweiten sich Preußen und Oesterreich"

so auffassen, daß darin der Gedanke ausgedrückt ist, es sei einmal
Schleswig-Holstein von Dänemark losgerissen worden, so haben
wir erstens diesen Gedanken, zweitens den Gedanken, daß zu einer
Zeit, die durch den Nebensatz näher bestimmt ist, Preußen und
Oesterreich sich entzweiten. Auch hier drückt dann der Nebensatz
nicht nur einen Gedanken, sondern auch einen Theil eines andern
aus. Daher darf man ihn nicht allgemein durch einen andern
desselben Wahrheitswerthes ersetzen.

Es ist schwer, alle in der Sprache gegebenen Möglichkeiten zu
erschöpfen; aber ich hoffe doch im Wesentlichen die Gründe auf¬
gefunden zu haben, warum nicht immer unbeschadet der Wahrheit
des ganzen Satzgefüges ein Nebensatz durch einen andrn desselben
Wahrheitswerthes vertreten werden kann. Diese sind

1) daß der Nebensatz keinen Wahrheitswerth bedeutet, indem
er nur einen Theil eines Gedankens ausdrückt;

2) daß der Nebensatz zwar einen Wahrheitswerth bedeutet,
aber sich nicht darauf beschränkt, indem sein Sinn außer einem
Gedanken auch noch einen Theil eines andern Gedankens umfaßt.

Der erste Fall tritt ein
a) bei der ungeraden Bedeutung der Worte,
b) wenn ein Theil des Satzes nur unbestimmt andeutet,
statt ein Eigenname zu sein.

Im zweiten Falle kann der Nebensatz doppelt zu nehmen sein,
nämlich einmal in gewöhnlicher Bedeutung, das andre Mal in
ungerader Bedeutung; oder es kann der Sinn eines Theiles des
Nebensatzes zugleich Bestandtheil eines andern Gedankens sein, den
mit dem unmittelbar im Nebensatze ausgedrückten zusammen den
ganzen Sinn des Haupt- und Nebensatzes ausmacht.

Hieraus geht wohl mit hinreichender Wahrscheinlichkeit hervor,
daß die Fälle, wo ein Nebensatz nicht durch einen andern desselben
Wahrheitswertes ersetzbar ist, nichts gegen unsere Ansicht beweisen,

Ztschrft. f. Philos. u. philos. Kritik. 100 Bd. 4

Über Sinn und Bedeutung.
Wir haben hier die beiden Gedanken, daß Eiſen nicht ſpecifiſch
leichter iſt als Waſſer, und daß etwas auf dem Waſſer ſchwimmt,
wenn es ſpecifiſch leichter als Waſſer iſt. Der Nebenſatz drückt
wieder den einen und einen Theil des andern Gedankens aus.

Wenn wir den früher betrachteten Satz
„nachdem Schleswig-Holſtein von Dänemark losgeriſſen
war, entzweiten ſich Preußen und Oeſterreich“

ſo auffaſſen, daß darin der Gedanke ausgedrückt iſt, es ſei einmal
Schleswig-Holſtein von Dänemark losgeriſſen worden, ſo haben
wir erſtens dieſen Gedanken, zweitens den Gedanken, daß zu einer
Zeit, die durch den Nebenſatz näher beſtimmt iſt, Preußen und
Oeſterreich ſich entzweiten. Auch hier drückt dann der Nebenſatz
nicht nur einen Gedanken, ſondern auch einen Theil eines andern
aus. Daher darf man ihn nicht allgemein durch einen andern
deſſelben Wahrheitswerthes erſetzen.

Es iſt ſchwer, alle in der Sprache gegebenen Möglichkeiten zu
erſchöpfen; aber ich hoffe doch im Weſentlichen die Gründe auf¬
gefunden zu haben, warum nicht immer unbeſchadet der Wahrheit
des ganzen Satzgefüges ein Nebenſatz durch einen andrn deſſelben
Wahrheitswerthes vertreten werden kann. Dieſe ſind

1) daß der Nebenſatz keinen Wahrheitswerth bedeutet, indem
er nur einen Theil eines Gedankens ausdrückt;

2) daß der Nebenſatz zwar einen Wahrheitswerth bedeutet,
aber ſich nicht darauf beſchränkt, indem ſein Sinn außer einem
Gedanken auch noch einen Theil eines andern Gedankens umfaßt.

Der erſte Fall tritt ein
a) bei der ungeraden Bedeutung der Worte,
b) wenn ein Theil des Satzes nur unbeſtimmt andeutet,
ſtatt ein Eigenname zu ſein.

Im zweiten Falle kann der Nebenſatz doppelt zu nehmen ſein,
nämlich einmal in gewöhnlicher Bedeutung, das andre Mal in
ungerader Bedeutung; oder es kann der Sinn eines Theiles des
Nebenſatzes zugleich Beſtandtheil eines andern Gedankens ſein, den
mit dem unmittelbar im Nebenſatze ausgedrückten zuſammen den
ganzen Sinn des Haupt- und Nebenſatzes ausmacht.

Hieraus geht wohl mit hinreichender Wahrſcheinlichkeit hervor,
daß die Fälle, wo ein Nebenſatz nicht durch einen andern deſſelben
Wahrheitswertes erſetzbar iſt, nichts gegen unſere Anſicht beweiſen,

Ztſchrft. f. Philoſ. u. philoſ. Kritik. 100 Bd. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0045" n="49"/><fw place="top" type="header">Über Sinn und Bedeutung.<lb/></fw> Wir haben hier die beiden Gedanken, daß Ei&#x017F;en nicht &#x017F;pecifi&#x017F;ch<lb/>
leichter i&#x017F;t als Wa&#x017F;&#x017F;er, und daß etwas auf dem Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chwimmt,<lb/>
wenn es &#x017F;pecifi&#x017F;ch leichter als Wa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t. Der Neben&#x017F;atz drückt<lb/>
wieder den einen und einen Theil des andern Gedankens aus.</p><lb/>
        <p>Wenn wir den früher betrachteten Satz<lb/><quote>&#x201E;nachdem Schleswig-Hol&#x017F;tein von Dänemark losgeri&#x017F;&#x017F;en<lb/>
war, entzweiten &#x017F;ich Preußen und Oe&#x017F;terreich&#x201C;</quote><lb/>
&#x017F;o auffa&#x017F;&#x017F;en, daß darin der Gedanke ausgedrückt i&#x017F;t, es &#x017F;ei einmal<lb/>
Schleswig-Hol&#x017F;tein von Dänemark losgeri&#x017F;&#x017F;en worden, &#x017F;o haben<lb/>
wir er&#x017F;tens die&#x017F;en Gedanken, zweitens den Gedanken, daß zu einer<lb/>
Zeit, die durch den Neben&#x017F;atz näher be&#x017F;timmt i&#x017F;t, Preußen und<lb/>
Oe&#x017F;terreich &#x017F;ich entzweiten. Auch hier drückt dann der Neben&#x017F;atz<lb/>
nicht nur einen Gedanken, &#x017F;ondern auch einen Theil eines andern<lb/>
aus. Daher darf man ihn nicht allgemein durch einen andern<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben Wahrheitswerthes er&#x017F;etzen.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t &#x017F;chwer, alle in der Sprache gegebenen Möglichkeiten zu<lb/>
er&#x017F;chöpfen; aber ich hoffe doch im We&#x017F;entlichen die Gründe auf¬<lb/>
gefunden zu haben, warum nicht immer unbe&#x017F;chadet der Wahrheit<lb/>
des ganzen Satzgefüges ein Neben&#x017F;atz durch einen andrn de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
Wahrheitswerthes vertreten werden kann. Die&#x017F;e <choice><sic>&#x017F;inde</sic><corr>&#x017F;ind</corr></choice></p><lb/>
        <p>1) daß der Neben&#x017F;atz keinen Wahrheitswerth bedeutet, indem<lb/>
er nur einen Theil eines Gedankens ausdrückt;</p><lb/>
        <p>2) daß der Neben&#x017F;atz zwar einen Wahrheitswerth bedeutet,<lb/>
aber &#x017F;ich nicht darauf be&#x017F;chränkt, indem &#x017F;ein Sinn außer einem<lb/>
Gedanken auch noch einen Theil eines andern Gedankens umfaßt.</p><lb/>
        <p>Der er&#x017F;te Fall tritt ein<lb/>
a) bei der ungeraden Bedeutung der Worte,<lb/>
b) wenn ein Theil des Satzes nur unbe&#x017F;timmt andeutet,<lb/>
&#x017F;tatt ein Eigenname zu &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>Im zweiten Falle kann der Neben&#x017F;atz doppelt zu nehmen &#x017F;ein,<lb/>
nämlich einmal in gewöhnlicher Bedeutung, das andre Mal in<lb/>
ungerader Bedeutung; oder es kann der Sinn eines Theiles des<lb/>
Neben&#x017F;atzes zugleich Be&#x017F;tandtheil eines andern Gedankens &#x017F;ein, den<lb/>
mit dem unmittelbar im Neben&#x017F;atze ausgedrückten zu&#x017F;ammen den<lb/>
ganzen Sinn des Haupt- und Neben&#x017F;atzes ausmacht.</p><lb/>
        <p>Hieraus geht wohl mit hinreichender Wahr&#x017F;cheinlichkeit hervor,<lb/>
daß die Fälle, wo ein Neben&#x017F;atz nicht durch einen andern de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
Wahrheitswertes er&#x017F;etzbar i&#x017F;t, nichts gegen un&#x017F;ere An&#x017F;icht bewei&#x017F;en,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Zt&#x017F;chrft. f. Philo&#x017F;. u. philo&#x017F;. Kritik. 100 Bd. 4<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0045] Über Sinn und Bedeutung. Wir haben hier die beiden Gedanken, daß Eiſen nicht ſpecifiſch leichter iſt als Waſſer, und daß etwas auf dem Waſſer ſchwimmt, wenn es ſpecifiſch leichter als Waſſer iſt. Der Nebenſatz drückt wieder den einen und einen Theil des andern Gedankens aus. Wenn wir den früher betrachteten Satz „nachdem Schleswig-Holſtein von Dänemark losgeriſſen war, entzweiten ſich Preußen und Oeſterreich“ ſo auffaſſen, daß darin der Gedanke ausgedrückt iſt, es ſei einmal Schleswig-Holſtein von Dänemark losgeriſſen worden, ſo haben wir erſtens dieſen Gedanken, zweitens den Gedanken, daß zu einer Zeit, die durch den Nebenſatz näher beſtimmt iſt, Preußen und Oeſterreich ſich entzweiten. Auch hier drückt dann der Nebenſatz nicht nur einen Gedanken, ſondern auch einen Theil eines andern aus. Daher darf man ihn nicht allgemein durch einen andern deſſelben Wahrheitswerthes erſetzen. Es iſt ſchwer, alle in der Sprache gegebenen Möglichkeiten zu erſchöpfen; aber ich hoffe doch im Weſentlichen die Gründe auf¬ gefunden zu haben, warum nicht immer unbeſchadet der Wahrheit des ganzen Satzgefüges ein Nebenſatz durch einen andrn deſſelben Wahrheitswerthes vertreten werden kann. Dieſe ſind 1) daß der Nebenſatz keinen Wahrheitswerth bedeutet, indem er nur einen Theil eines Gedankens ausdrückt; 2) daß der Nebenſatz zwar einen Wahrheitswerth bedeutet, aber ſich nicht darauf beſchränkt, indem ſein Sinn außer einem Gedanken auch noch einen Theil eines andern Gedankens umfaßt. Der erſte Fall tritt ein a) bei der ungeraden Bedeutung der Worte, b) wenn ein Theil des Satzes nur unbeſtimmt andeutet, ſtatt ein Eigenname zu ſein. Im zweiten Falle kann der Nebenſatz doppelt zu nehmen ſein, nämlich einmal in gewöhnlicher Bedeutung, das andre Mal in ungerader Bedeutung; oder es kann der Sinn eines Theiles des Nebenſatzes zugleich Beſtandtheil eines andern Gedankens ſein, den mit dem unmittelbar im Nebenſatze ausgedrückten zuſammen den ganzen Sinn des Haupt- und Nebenſatzes ausmacht. Hieraus geht wohl mit hinreichender Wahrſcheinlichkeit hervor, daß die Fälle, wo ein Nebenſatz nicht durch einen andern deſſelben Wahrheitswertes erſetzbar iſt, nichts gegen unſere Anſicht beweiſen, Ztſchrft. f. Philoſ. u. philoſ. Kritik. 100 Bd. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frege_sinn_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frege_sinn_1892/45
Zitationshilfe: Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, N. F., Bd. 100/1 (1892), S. 25-50, hier S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frege_sinn_1892/45>, abgerufen am 19.04.2024.