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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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die Hypnose hat, gleichgiltig, ob er es als Nichtwollen äussert oder nicht. Ich bin mir nicht klar geworden, ob ich diese Auffassung festhalten darf.

Es galt aber, die Hypnose zu umgehen und doch die pathogenen Erinnerungen zu gewinnen. Dazu gelangte ich auf folgende Weise:

Wenn ich bei der ersten Zusammenkunft meine Patienten fragte, ob sie sich an den ersten Anlass des betreffenden Symptoms erinnerten, so sagten die einen, sie wüssten nichts, die anderen brachten irgend etwas bei, was sie als eine dunkle Erinnerung bezeichneten und nicht weiter verfolgen konnten. Wenn ich nun nach dem Beispiele von Bernheim bei der Erweckung der angeblich vergessenen Eindrücke aus dem Somnambulismus dringlich wurde, Beiden versicherte, sie wüssten es, sie würden sich besinnen u. s. w. (vgl. p. 93), so fiel den Einen doch etwas ein, und bei Anderen griff die Erinnerung um ein Stück weiter. Nun wurde ich noch dringender, hiess die Kranken sich niederlegen und die Augen willkürlich schliessen, um sich zu "concentriren", was wenigstens eine gewisse Aehnlichkeit mit der Hypnose ergab, und machte da die Erfahrung, dass ohne alle Hypnose neue und weiter zurück reichende Erinnerungen auftauchten, die wahrscheinlich zu unserem Thema gehörten. Durch solche Erfahrungen gewann ich den Eindruck, es würde in der That möglich sein, die doch sicherlich vorhandenen pathogenen Vorstellungsreihen durch blosses Drängen zum Vorschein zu bringen, und da dieses Drängen mich Anstrengung kostete und mir die Deutung nahe legte, ich hätte einen Widerstand zu überwinden, so setzte sich mir der Sachverhalt ohne weiteres in die Theorie um, dass ich durch meine psychische Arbeit eine psychische Kraft bei dem Patienten zu überwinden habe, die sich dem Bewusstwerden (Erinnern) der pathogenen Vorstellungen widersetze. Ein neues Verständniss schien sich mir nun zu eröffnen, als mir einfiel, diess dürfte wohl dieselbe psychische Kraft sein, die bei der Entstehung des hysterischen Symptoms mitgewirkt und damals das Bewusstwerden der pathogenen Vorstellung verhindert habe. Was für Kraft war da wohl als wirksam anzunehmen, und welches Motiv konnte sie zur Wirkung gebracht haben? Ich konnte mir leicht eine Meinung hierüber bilden; es standen mir ja bereits einige vollendete Analysen zu Gebote, in denen ich Beispiele von pathogenen, vergessenen und ausser Bewusstsein gebrachten, Vorstellungen kennen gelernt hatte. Aus diesen ersah ich einen allgemeinen Charakter solcher Vorstellungen; sie waren sämmtlich

die Hypnose hat, gleichgiltig, ob er es als Nichtwollen äussert oder nicht. Ich bin mir nicht klar geworden, ob ich diese Auffassung festhalten darf.

Es galt aber, die Hypnose zu umgehen und doch die pathogenen Erinnerungen zu gewinnen. Dazu gelangte ich auf folgende Weise:

Wenn ich bei der ersten Zusammenkunft meine Patienten fragte, ob sie sich an den ersten Anlass des betreffenden Symptoms erinnerten, so sagten die einen, sie wüssten nichts, die anderen brachten irgend etwas bei, was sie als eine dunkle Erinnerung bezeichneten und nicht weiter verfolgen konnten. Wenn ich nun nach dem Beispiele von Bernheim bei der Erweckung der angeblich vergessenen Eindrücke aus dem Somnambulismus dringlich wurde, Beiden versicherte, sie wüssten es, sie würden sich besinnen u. s. w. (vgl. p. 93), so fiel den Einen doch etwas ein, und bei Anderen griff die Erinnerung um ein Stück weiter. Nun wurde ich noch dringender, hiess die Kranken sich niederlegen und die Augen willkürlich schliessen, um sich zu „concentriren“, was wenigstens eine gewisse Aehnlichkeit mit der Hypnose ergab, und machte da die Erfahrung, dass ohne alle Hypnose neue und weiter zurück reichende Erinnerungen auftauchten, die wahrscheinlich zu unserem Thema gehörten. Durch solche Erfahrungen gewann ich den Eindruck, es würde in der That möglich sein, die doch sicherlich vorhandenen pathogenen Vorstellungsreihen durch blosses Drängen zum Vorschein zu bringen, und da dieses Drängen mich Anstrengung kostete und mir die Deutung nahe legte, ich hätte einen Widerstand zu überwinden, so setzte sich mir der Sachverhalt ohne weiteres in die Theorie um, dass ich durch meine psychische Arbeit eine psychische Kraft bei dem Patienten zu überwinden habe, die sich dem Bewusstwerden (Erinnern) der pathogenen Vorstellungen widersetze. Ein neues Verständniss schien sich mir nun zu eröffnen, als mir einfiel, diess dürfte wohl dieselbe psychische Kraft sein, die bei der Entstehung des hysterischen Symptoms mitgewirkt und damals das Bewusstwerden der pathogenen Vorstellung verhindert habe. Was für Kraft war da wohl als wirksam anzunehmen, und welches Motiv konnte sie zur Wirkung gebracht haben? Ich konnte mir leicht eine Meinung hierüber bilden; es standen mir ja bereits einige vollendete Analysen zu Gebote, in denen ich Beispiele von pathogenen, vergessenen und ausser Bewusstsein gebrachten, Vorstellungen kennen gelernt hatte. Aus diesen ersah ich einen allgemeinen Charakter solcher Vorstellungen; sie waren sämmtlich

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[234/0240] die Hypnose hat, gleichgiltig, ob er es als Nichtwollen äussert oder nicht. Ich bin mir nicht klar geworden, ob ich diese Auffassung festhalten darf. Es galt aber, die Hypnose zu umgehen und doch die pathogenen Erinnerungen zu gewinnen. Dazu gelangte ich auf folgende Weise: Wenn ich bei der ersten Zusammenkunft meine Patienten fragte, ob sie sich an den ersten Anlass des betreffenden Symptoms erinnerten, so sagten die einen, sie wüssten nichts, die anderen brachten irgend etwas bei, was sie als eine dunkle Erinnerung bezeichneten und nicht weiter verfolgen konnten. Wenn ich nun nach dem Beispiele von Bernheim bei der Erweckung der angeblich vergessenen Eindrücke aus dem Somnambulismus dringlich wurde, Beiden versicherte, sie wüssten es, sie würden sich besinnen u. s. w. (vgl. p. 93), so fiel den Einen doch etwas ein, und bei Anderen griff die Erinnerung um ein Stück weiter. Nun wurde ich noch dringender, hiess die Kranken sich niederlegen und die Augen willkürlich schliessen, um sich zu „concentriren“, was wenigstens eine gewisse Aehnlichkeit mit der Hypnose ergab, und machte da die Erfahrung, dass ohne alle Hypnose neue und weiter zurück reichende Erinnerungen auftauchten, die wahrscheinlich zu unserem Thema gehörten. Durch solche Erfahrungen gewann ich den Eindruck, es würde in der That möglich sein, die doch sicherlich vorhandenen pathogenen Vorstellungsreihen durch blosses Drängen zum Vorschein zu bringen, und da dieses Drängen mich Anstrengung kostete und mir die Deutung nahe legte, ich hätte einen Widerstand zu überwinden, so setzte sich mir der Sachverhalt ohne weiteres in die Theorie um, dass ich durch meine psychische Arbeit eine psychische Kraft bei dem Patienten zu überwinden habe, die sich dem Bewusstwerden (Erinnern) der pathogenen Vorstellungen widersetze. Ein neues Verständniss schien sich mir nun zu eröffnen, als mir einfiel, diess dürfte wohl dieselbe psychische Kraft sein, die bei der Entstehung des hysterischen Symptoms mitgewirkt und damals das Bewusstwerden der pathogenen Vorstellung verhindert habe. Was für Kraft war da wohl als wirksam anzunehmen, und welches Motiv konnte sie zur Wirkung gebracht haben? Ich konnte mir leicht eine Meinung hierüber bilden; es standen mir ja bereits einige vollendete Analysen zu Gebote, in denen ich Beispiele von pathogenen, vergessenen und ausser Bewusstsein gebrachten, Vorstellungen kennen gelernt hatte. Aus diesen ersah ich einen allgemeinen Charakter solcher Vorstellungen; sie waren sämmtlich

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/240>, abgerufen am 18.04.2024.