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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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III.

Angesichts der Ausführungen des vorstehenden Abschnittes, der Schwierigkeiten meiner Technik, die ich rückhaltlos aufgedeckt habe, - ich habe sie übrigens aus den schwersten Fällen zusammengetragen, es wird oft sehr viel bequemer gehen -; angesichts dieses Sachverhaltes also wird wohl jeder die Frage aufwerfen wollen, ob es nicht zweckmässiger sei, anstatt all dieser Quälereien sich energischer um die Hypnose zu bemühen oder die Anwendung der kathartischen Methode auf solche Kranke zu beschränken, die in tiefe Hypnose zu versetzen sind. Auf letzteren Vorschlag müsste ich antworten, dass dann die Zahl der brauchbaren Patienten für meine Geschicklichkeit allzusehr einschrumpfen würde; dem ersteren Rath aber werde ich die Muthmaassung entgegensetzen, es dürfte durch Erzwingen der Hypnose nicht viel vom Widerstand zu ersparen sein. Meine Erfahrungen hierüber sind eigenthümlicher Weise nur wenig zahlreich, ich kann daher nicht über die Muthmaassung hinauskommen: aber wo ich eine kathartische Cur in der Hypnose anstatt in der Concentration durchgeführt habe, fand ich die mir zufallende Arbeit dadurch nicht verringert. Ich habe erst unlängst eine solche Behandlung beendigt, in deren Verlauf ich eine hysterische Lähmung der Beine zum Weichen brachte. Die Patientin gerieth in einen Zustand, der psychisch vom Wachen sehr verschieden war und somatisch dadurch ausgezeichnet, dass sie die Augen unmöglich öffnen oder sich erheben konnte, ehe ich ihr zugerufen hatte: Jetzt wachen Sie auf, und doch habe ich in keinem Falle grösseren Widerstand gefunden als gerade in diesem. Ich legte auf diese körperlichen Zeichen keinen Werth, und gegen Ende der, zehn Monate währenden, Behandlung waren sie auch unmerklich geworden; der Zustand der Patientin, in dem wir arbeiteten, hatte darum von seinen psychischen Eigenthümlichkeiten, der Fähigkeit sich an Unbewusstes zu erinnern, der ganz besonderen Beziehung zur Person des Arztes nichts eingebüsst. In der Geschichte der Frau Emmy v. N. . . habe ich allerdings ein Beispiel einer im tiefsten Somnambulismus ausgeführten kathartischen Cur geschildert, in welcher der Widerstand fast keine Rolle spielte. Allein von dieser Frau habe ich auch nichts erfahren, zu dessen Mittheilung es einer besonderen Ueberwindung bedurft hätte, nichts, was sie mir nicht bei längerer Bekanntschaft und einiger Schätzung auch im Wachen hätte erzählen können. Auf die eigentlichen Ursachen ihrer Erkrankung,

III.

Angesichts der Ausführungen des vorstehenden Abschnittes, der Schwierigkeiten meiner Technik, die ich rückhaltlos aufgedeckt habe, – ich habe sie übrigens aus den schwersten Fällen zusammengetragen, es wird oft sehr viel bequemer gehen –; angesichts dieses Sachverhaltes also wird wohl jeder die Frage aufwerfen wollen, ob es nicht zweckmässiger sei, anstatt all dieser Quälereien sich energischer um die Hypnose zu bemühen oder die Anwendung der kathartischen Methode auf solche Kranke zu beschränken, die in tiefe Hypnose zu versetzen sind. Auf letzteren Vorschlag müsste ich antworten, dass dann die Zahl der brauchbaren Patienten für meine Geschicklichkeit allzusehr einschrumpfen würde; dem ersteren Rath aber werde ich die Muthmaassung entgegensetzen, es dürfte durch Erzwingen der Hypnose nicht viel vom Widerstand zu ersparen sein. Meine Erfahrungen hierüber sind eigenthümlicher Weise nur wenig zahlreich, ich kann daher nicht über die Muthmaassung hinauskommen: aber wo ich eine kathartische Cur in der Hypnose anstatt in der Concentration durchgeführt habe, fand ich die mir zufallende Arbeit dadurch nicht verringert. Ich habe erst unlängst eine solche Behandlung beendigt, in deren Verlauf ich eine hysterische Lähmung der Beine zum Weichen brachte. Die Patientin gerieth in einen Zustand, der psychisch vom Wachen sehr verschieden war und somatisch dadurch ausgezeichnet, dass sie die Augen unmöglich öffnen oder sich erheben konnte, ehe ich ihr zugerufen hatte: Jetzt wachen Sie auf, und doch habe ich in keinem Falle grösseren Widerstand gefunden als gerade in diesem. Ich legte auf diese körperlichen Zeichen keinen Werth, und gegen Ende der, zehn Monate währenden, Behandlung waren sie auch unmerklich geworden; der Zustand der Patientin, in dem wir arbeiteten, hatte darum von seinen psychischen Eigenthümlichkeiten, der Fähigkeit sich an Unbewusstes zu erinnern, der ganz besonderen Beziehung zur Person des Arztes nichts eingebüsst. In der Geschichte der Frau Emmy v. N. . . habe ich allerdings ein Beispiel einer im tiefsten Somnambulismus ausgeführten kathartischen Cur geschildert, in welcher der Widerstand fast keine Rolle spielte. Allein von dieser Frau habe ich auch nichts erfahren, zu dessen Mittheilung es einer besonderen Ueberwindung bedurft hätte, nichts, was sie mir nicht bei längerer Bekanntschaft und einiger Schätzung auch im Wachen hätte erzählen können. Auf die eigentlichen Ursachen ihrer Erkrankung,

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[249/0255] III. Angesichts der Ausführungen des vorstehenden Abschnittes, der Schwierigkeiten meiner Technik, die ich rückhaltlos aufgedeckt habe, – ich habe sie übrigens aus den schwersten Fällen zusammengetragen, es wird oft sehr viel bequemer gehen –; angesichts dieses Sachverhaltes also wird wohl jeder die Frage aufwerfen wollen, ob es nicht zweckmässiger sei, anstatt all dieser Quälereien sich energischer um die Hypnose zu bemühen oder die Anwendung der kathartischen Methode auf solche Kranke zu beschränken, die in tiefe Hypnose zu versetzen sind. Auf letzteren Vorschlag müsste ich antworten, dass dann die Zahl der brauchbaren Patienten für meine Geschicklichkeit allzusehr einschrumpfen würde; dem ersteren Rath aber werde ich die Muthmaassung entgegensetzen, es dürfte durch Erzwingen der Hypnose nicht viel vom Widerstand zu ersparen sein. Meine Erfahrungen hierüber sind eigenthümlicher Weise nur wenig zahlreich, ich kann daher nicht über die Muthmaassung hinauskommen: aber wo ich eine kathartische Cur in der Hypnose anstatt in der Concentration durchgeführt habe, fand ich die mir zufallende Arbeit dadurch nicht verringert. Ich habe erst unlängst eine solche Behandlung beendigt, in deren Verlauf ich eine hysterische Lähmung der Beine zum Weichen brachte. Die Patientin gerieth in einen Zustand, der psychisch vom Wachen sehr verschieden war und somatisch dadurch ausgezeichnet, dass sie die Augen unmöglich öffnen oder sich erheben konnte, ehe ich ihr zugerufen hatte: Jetzt wachen Sie auf, und doch habe ich in keinem Falle grösseren Widerstand gefunden als gerade in diesem. Ich legte auf diese körperlichen Zeichen keinen Werth, und gegen Ende der, zehn Monate währenden, Behandlung waren sie auch unmerklich geworden; der Zustand der Patientin, in dem wir arbeiteten, hatte darum von seinen psychischen Eigenthümlichkeiten, der Fähigkeit sich an Unbewusstes zu erinnern, der ganz besonderen Beziehung zur Person des Arztes nichts eingebüsst. In der Geschichte der Frau Emmy v. N. . . habe ich allerdings ein Beispiel einer im tiefsten Somnambulismus ausgeführten kathartischen Cur geschildert, in welcher der Widerstand fast keine Rolle spielte. Allein von dieser Frau habe ich auch nichts erfahren, zu dessen Mittheilung es einer besonderen Ueberwindung bedurft hätte, nichts, was sie mir nicht bei längerer Bekanntschaft und einiger Schätzung auch im Wachen hätte erzählen können. Auf die eigentlichen Ursachen ihrer Erkrankung,

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/255>, abgerufen am 28.03.2024.