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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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dass die subjectiven Geruchsempfindungen eine solche Specialisirung zeigten, wie sie ihrer Herkunft von einem ganz bestimmten realen Object entsprechen konnte.

Diese Erwartung erfüllte sich alsbald. Auf meine Frage, was für ein Geruch sie zumeist verfolge, erhielt ich die Antwort: wie von verbrannter Mehlspeise. Ich brauchte also nur anzunehmen, es sei wirklich der Geruch verbrannter Mehlspeise, der in dem traumatisch wirksamen Erlebniss vorgekommen sei. Dass Geruchsempfindungen zum Erinnerungssymbol von Traumen gewählt werden, ist zwar recht ungewöhnlich, allein es lag nahe, einen Grund für diese Auswahl anzugeben. Die Kranke war mit eitriger Rhinitis behaftet, darum die Nase und deren Wahrnehmungen im Vordergrund ihrer Aufmerksamkeit. Von den Lebensverhältnissen der Kranken wusste ich nur, dass in dem Hause, dessen zwei Kinder sie behütete, die Mutter fehle, die vor einigen Jahren an acuter schwerer Erkrankung gestorben war.

Ich beschloss also, den Geruch nach "verbrannter Mehlspeise" zum Ausgangspunkt der Analyse zu machen. Die Geschichte dieser Analyse will ich so erzählen, wie sie unter günstigeren Verhältnissen hätte vorfallen können; thatsächlich dehnte sich, was eine einzige Sitzung hätte werden sollen, auf mehrere aus, da die Kranke mich nur in der Ordination besuchen konnte, wo ich ihr wenig Zeit zu widmen hatte, und zog sich ein einziges solches Gespräch über mehr als eine Woche, da ihre Pflichten ihr auch nicht gestatteten, den weiten Weg von der Fabrik zu mir so oft zu machen. Wir brachen also mitten in der Unterredung ab, um nächstes Mal den Faden an der nämlichen Stelle wieder aufzunehmen.

Miss Lucy R. wurde nicht somnambul, als ich sie in Hypnose zu versetzen versuchte. Ich verzichtete also auf den Somnambulismus und machte die ganze Analyse mit ihr in einem Zustande durch, der sich vom normalen vielleicht überhaupt wenig unterschied.

Ich muss mich über diesen Punkt in der Technik meines Verfahrens eingehender äussern. Als ich im Jahre 1889 die Kliniken von Nancy besuchte, hörte ich den Altmeister der Hypnose, den Dr. Liebeault, sagen: "Ja, wenn wir die Mittel besässen, jedermann somnambul zu machen, wäre die hypnotische Heilmethode die mächtigste von allen." Auf der Klinik Bernheim's schien es fast, als gäbe es wirklich eine solche Kunst und als könnte man sie von Bernheim lernen. Sobald ich aber diese Kunst an meinen eigenen Kranken zu üben versuchte, merkte ich, dass wenigstens meinen Kräften in dieser

dass die subjectiven Geruchsempfindungen eine solche Specialisirung zeigten, wie sie ihrer Herkunft von einem ganz bestimmten realen Object entsprechen konnte.

Diese Erwartung erfüllte sich alsbald. Auf meine Frage, was für ein Geruch sie zumeist verfolge, erhielt ich die Antwort: wie von verbrannter Mehlspeise. Ich brauchte also nur anzunehmen, es sei wirklich der Geruch verbrannter Mehlspeise, der in dem traumatisch wirksamen Erlebniss vorgekommen sei. Dass Geruchsempfindungen zum Erinnerungssymbol von Traumen gewählt werden, ist zwar recht ungewöhnlich, allein es lag nahe, einen Grund für diese Auswahl anzugeben. Die Kranke war mit eitriger Rhinitis behaftet, darum die Nase und deren Wahrnehmungen im Vordergrund ihrer Aufmerksamkeit. Von den Lebensverhältnissen der Kranken wusste ich nur, dass in dem Hause, dessen zwei Kinder sie behütete, die Mutter fehle, die vor einigen Jahren an acuter schwerer Erkrankung gestorben war.

Ich beschloss also, den Geruch nach „verbrannter Mehlspeise“ zum Ausgangspunkt der Analyse zu machen. Die Geschichte dieser Analyse will ich so erzählen, wie sie unter günstigeren Verhältnissen hätte vorfallen können; thatsächlich dehnte sich, was eine einzige Sitzung hätte werden sollen, auf mehrere aus, da die Kranke mich nur in der Ordination besuchen konnte, wo ich ihr wenig Zeit zu widmen hatte, und zog sich ein einziges solches Gespräch über mehr als eine Woche, da ihre Pflichten ihr auch nicht gestatteten, den weiten Weg von der Fabrik zu mir so oft zu machen. Wir brachen also mitten in der Unterredung ab, um nächstes Mal den Faden an der nämlichen Stelle wieder aufzunehmen.

Miss Lucy R. wurde nicht somnambul, als ich sie in Hypnose zu versetzen versuchte. Ich verzichtete also auf den Somnambulismus und machte die ganze Analyse mit ihr in einem Zustande durch, der sich vom normalen vielleicht überhaupt wenig unterschied.

Ich muss mich über diesen Punkt in der Technik meines Verfahrens eingehender äussern. Als ich im Jahre 1889 die Kliniken von Nancy besuchte, hörte ich den Altmeister der Hypnose, den Dr. Liébeault, sagen: „Ja, wenn wir die Mittel besässen, jedermann somnambul zu machen, wäre die hypnotische Heilmethode die mächtigste von allen.“ Auf der Klinik Bernheim’s schien es fast, als gäbe es wirklich eine solche Kunst und als könnte man sie von Bernheim lernen. Sobald ich aber diese Kunst an meinen eigenen Kranken zu üben versuchte, merkte ich, dass wenigstens meinen Kräften in dieser

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[91/0097] dass die subjectiven Geruchsempfindungen eine solche Specialisirung zeigten, wie sie ihrer Herkunft von einem ganz bestimmten realen Object entsprechen konnte. Diese Erwartung erfüllte sich alsbald. Auf meine Frage, was für ein Geruch sie zumeist verfolge, erhielt ich die Antwort: wie von verbrannter Mehlspeise. Ich brauchte also nur anzunehmen, es sei wirklich der Geruch verbrannter Mehlspeise, der in dem traumatisch wirksamen Erlebniss vorgekommen sei. Dass Geruchsempfindungen zum Erinnerungssymbol von Traumen gewählt werden, ist zwar recht ungewöhnlich, allein es lag nahe, einen Grund für diese Auswahl anzugeben. Die Kranke war mit eitriger Rhinitis behaftet, darum die Nase und deren Wahrnehmungen im Vordergrund ihrer Aufmerksamkeit. Von den Lebensverhältnissen der Kranken wusste ich nur, dass in dem Hause, dessen zwei Kinder sie behütete, die Mutter fehle, die vor einigen Jahren an acuter schwerer Erkrankung gestorben war. Ich beschloss also, den Geruch nach „verbrannter Mehlspeise“ zum Ausgangspunkt der Analyse zu machen. Die Geschichte dieser Analyse will ich so erzählen, wie sie unter günstigeren Verhältnissen hätte vorfallen können; thatsächlich dehnte sich, was eine einzige Sitzung hätte werden sollen, auf mehrere aus, da die Kranke mich nur in der Ordination besuchen konnte, wo ich ihr wenig Zeit zu widmen hatte, und zog sich ein einziges solches Gespräch über mehr als eine Woche, da ihre Pflichten ihr auch nicht gestatteten, den weiten Weg von der Fabrik zu mir so oft zu machen. Wir brachen also mitten in der Unterredung ab, um nächstes Mal den Faden an der nämlichen Stelle wieder aufzunehmen. Miss Lucy R. wurde nicht somnambul, als ich sie in Hypnose zu versetzen versuchte. Ich verzichtete also auf den Somnambulismus und machte die ganze Analyse mit ihr in einem Zustande durch, der sich vom normalen vielleicht überhaupt wenig unterschied. Ich muss mich über diesen Punkt in der Technik meines Verfahrens eingehender äussern. Als ich im Jahre 1889 die Kliniken von Nancy besuchte, hörte ich den Altmeister der Hypnose, den Dr. Liébeault, sagen: „Ja, wenn wir die Mittel besässen, jedermann somnambul zu machen, wäre die hypnotische Heilmethode die mächtigste von allen.“ Auf der Klinik Bernheim’s schien es fast, als gäbe es wirklich eine solche Kunst und als könnte man sie von Bernheim lernen. Sobald ich aber diese Kunst an meinen eigenen Kranken zu üben versuchte, merkte ich, dass wenigstens meinen Kräften in dieser

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/97>, abgerufen am 16.04.2024.