Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820.

Bild:
<< vorherige Seite

Du siehst, liebe Adele, daß Ossian mein
treuer Begleiter ist. Wie hätte ich den ver-
gessen? er ist ja ein Geschenk von Dir. Jmmer
schon war er mein Lieblingsdichter, und jetzt ist
er mir über Alles theuer, das liebste Gut,
welches ich aus dem Schiffbruche gerettet. Erst
jetzt verstehe ich ihn ganz, und bei seinen Klag-
gesängen schweigt mir das Leid im Busen.
Oft stehe ich noch Abends einsam am Maste
gelehnt, und betrachte die Gewölke, welche der
untergegangenen Sonne nachziehen. Dann will
mich's oft bedünken, als lagerten die Helden
vergangener Zeiten auf ihrem röthlichen Saum.
Theure Gestalten! ihr begleitet Virginia nach
dem Lande, wo sie einst ruhen wird unter dem
moosigen Steine, den die Hand eines Fremd-
lings mitleidvoll auf ihren Hügel legt. Doch
nicht von meinem Grabe wollte ich mit Dir
reden, traute Adele, als ich dieses neue Blatt
anfing, sondern von meinem Eintritt in das Le-
ben, und wie ich das wurde, was ich bin.



Meinen

Du ſiehſt, liebe Adele, daß Oſſian mein
treuer Begleiter iſt. Wie haͤtte ich den ver-
geſſen? er iſt ja ein Geſchenk von Dir. Jmmer
ſchon war er mein Lieblingsdichter, und jetzt iſt
er mir uͤber Alles theuer, das liebſte Gut,
welches ich aus dem Schiffbruche gerettet. Erſt
jetzt verſtehe ich ihn ganz, und bei ſeinen Klag-
geſaͤngen ſchweigt mir das Leid im Buſen.
Oft ſtehe ich noch Abends einſam am Maſte
gelehnt, und betrachte die Gewoͤlke, welche der
untergegangenen Sonne nachziehen. Dann will
mich’s oft beduͤnken, als lagerten die Helden
vergangener Zeiten auf ihrem roͤthlichen Saum.
Theure Geſtalten! ihr begleitet Virginia nach
dem Lande, wo ſie einſt ruhen wird unter dem
mooſigen Steine, den die Hand eines Fremd-
lings mitleidvoll auf ihren Huͤgel legt. Doch
nicht von meinem Grabe wollte ich mit Dir
reden, traute Adele, als ich dieſes neue Blatt
anfing, ſondern von meinem Eintritt in das Le-
ben, und wie ich das wurde, was ich bin.



Meinen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0024" n="16"/>
          <p>Du &#x017F;ieh&#x017F;t, liebe Adele, daß O&#x017F;&#x017F;ian mein<lb/>
treuer Begleiter i&#x017F;t. Wie ha&#x0364;tte ich den ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en? er i&#x017F;t ja ein Ge&#x017F;chenk von Dir. Jmmer<lb/>
&#x017F;chon war er mein Lieblingsdichter, und jetzt i&#x017F;t<lb/>
er mir u&#x0364;ber Alles theuer, das lieb&#x017F;te Gut,<lb/>
welches ich aus dem Schiffbruche gerettet. Er&#x017F;t<lb/>
jetzt ver&#x017F;tehe ich ihn ganz, und bei &#x017F;einen Klag-<lb/>
ge&#x017F;a&#x0364;ngen &#x017F;chweigt mir das Leid im Bu&#x017F;en.<lb/>
Oft &#x017F;tehe ich noch Abends ein&#x017F;am am Ma&#x017F;te<lb/>
gelehnt, und betrachte die Gewo&#x0364;lke, welche der<lb/>
untergegangenen Sonne nachziehen. Dann will<lb/>
mich&#x2019;s oft bedu&#x0364;nken, als lagerten die Helden<lb/>
vergangener Zeiten auf ihrem ro&#x0364;thlichen Saum.<lb/>
Theure Ge&#x017F;talten! ihr begleitet Virginia nach<lb/>
dem Lande, wo &#x017F;ie ein&#x017F;t ruhen wird unter dem<lb/>
moo&#x017F;igen Steine, den die Hand eines Fremd-<lb/>
lings mitleidvoll auf ihren Hu&#x0364;gel legt. Doch<lb/>
nicht von meinem Grabe wollte ich mit Dir<lb/>
reden, traute Adele, als ich die&#x017F;es neue Blatt<lb/>
anfing, &#x017F;ondern von meinem Eintritt in das Le-<lb/>
ben, und wie ich das wurde, was ich bin.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Meinen</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0024] Du ſiehſt, liebe Adele, daß Oſſian mein treuer Begleiter iſt. Wie haͤtte ich den ver- geſſen? er iſt ja ein Geſchenk von Dir. Jmmer ſchon war er mein Lieblingsdichter, und jetzt iſt er mir uͤber Alles theuer, das liebſte Gut, welches ich aus dem Schiffbruche gerettet. Erſt jetzt verſtehe ich ihn ganz, und bei ſeinen Klag- geſaͤngen ſchweigt mir das Leid im Buſen. Oft ſtehe ich noch Abends einſam am Maſte gelehnt, und betrachte die Gewoͤlke, welche der untergegangenen Sonne nachziehen. Dann will mich’s oft beduͤnken, als lagerten die Helden vergangener Zeiten auf ihrem roͤthlichen Saum. Theure Geſtalten! ihr begleitet Virginia nach dem Lande, wo ſie einſt ruhen wird unter dem mooſigen Steine, den die Hand eines Fremd- lings mitleidvoll auf ihren Huͤgel legt. Doch nicht von meinem Grabe wollte ich mit Dir reden, traute Adele, als ich dieſes neue Blatt anfing, ſondern von meinem Eintritt in das Le- ben, und wie ich das wurde, was ich bin. Meinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/24
Zitationshilfe: Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/24>, abgerufen am 16.04.2024.