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[Füchsel, Georg Christian]: Entwurf zu der ältesten Erd- und Menschengeschichte. Frankfurt u. a., 1773.

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könne; wird man noch leichter einsehen, daß die
Sprache nur durch Lernen erlangt werden könne.
Wie und wenn kann aber ein sprachleerer Mensch
durchs Gehör den Laut unterscheiden? solchen als
Zeichen empfinden? seinen Eindruck weiter in die
Sprachtheile fortpflanzen? diese dadurch erst
zum Laut überhaupt anregen? und sie darauf zum
gewissen Laut regieren? Denn alles dieses muß
zu Erfindung der Sprache vorräthig seyn. Wenn
vermag endlich der Mensch die Laute, als eigene
Zeichen, jeder Sinnlichkeit mit ihrer Bedeutung,
sie passen zum Laut wenig, oder gar nicht, für den
andern anzuwenden? und den Laut in ein Wort
mit gewissem Sinne zu verwandeln? in der Kind-
heit gewiß nicht! und bey reifem Alter am aller-
wenigsten! weil im letzten Fall das Gehör zur
Aufmerksamkeit und Deutlichkeit nicht gewöhnt
worden, und die Geschmeidigkeit der Sprach-
theile verlohren gegangen; vornemlich aber we-
gen der erlangten Fertigkeit, nichts mehr als sinn-
liche Empfindungen zu denken, und daher weder
Zeichen noch Sinn zu erfinden.

§. 122.

koͤnne; wird man noch leichter einſehen, daß die
Sprache nur durch Lernen erlangt werden koͤnne.
Wie und wenn kann aber ein ſprachleerer Menſch
durchs Gehoͤr den Laut unterſcheiden? ſolchen als
Zeichen empfinden? ſeinen Eindruck weiter in die
Sprachtheile fortpflanzen? dieſe dadurch erſt
zum Laut uͤberhaupt anregen? und ſie darauf zum
gewiſſen Laut regieren? Denn alles dieſes muß
zu Erfindung der Sprache vorraͤthig ſeyn. Wenn
vermag endlich der Menſch die Laute, als eigene
Zeichen, jeder Sinnlichkeit mit ihrer Bedeutung,
ſie paſſen zum Laut wenig, oder gar nicht, fuͤr den
andern anzuwenden? und den Laut in ein Wort
mit gewiſſem Sinne zu verwandeln? in der Kind-
heit gewiß nicht! und bey reifem Alter am aller-
wenigſten! weil im letzten Fall das Gehoͤr zur
Aufmerkſamkeit und Deutlichkeit nicht gewoͤhnt
worden, und die Geſchmeidigkeit der Sprach-
theile verlohren gegangen; vornemlich aber we-
gen der erlangten Fertigkeit, nichts mehr als ſinn-
liche Empfindungen zu denken, und daher weder
Zeichen noch Sinn zu erfinden.

§. 122.
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[91/0103] koͤnne; wird man noch leichter einſehen, daß die Sprache nur durch Lernen erlangt werden koͤnne. Wie und wenn kann aber ein ſprachleerer Menſch durchs Gehoͤr den Laut unterſcheiden? ſolchen als Zeichen empfinden? ſeinen Eindruck weiter in die Sprachtheile fortpflanzen? dieſe dadurch erſt zum Laut uͤberhaupt anregen? und ſie darauf zum gewiſſen Laut regieren? Denn alles dieſes muß zu Erfindung der Sprache vorraͤthig ſeyn. Wenn vermag endlich der Menſch die Laute, als eigene Zeichen, jeder Sinnlichkeit mit ihrer Bedeutung, ſie paſſen zum Laut wenig, oder gar nicht, fuͤr den andern anzuwenden? und den Laut in ein Wort mit gewiſſem Sinne zu verwandeln? in der Kind- heit gewiß nicht! und bey reifem Alter am aller- wenigſten! weil im letzten Fall das Gehoͤr zur Aufmerkſamkeit und Deutlichkeit nicht gewoͤhnt worden, und die Geſchmeidigkeit der Sprach- theile verlohren gegangen; vornemlich aber we- gen der erlangten Fertigkeit, nichts mehr als ſinn- liche Empfindungen zu denken, und daher weder Zeichen noch Sinn zu erfinden. §. 122.

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Zitationshilfe: [Füchsel, Georg Christian]: Entwurf zu der ältesten Erd- und Menschengeschichte. Frankfurt u. a., 1773, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fuechsel_entwurf_1773/103>, abgerufen am 25.04.2024.