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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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ich denke, ohne Lehrmeister jagen, die Ente schwimmen,
die Schlange sich in eine Höhle verbergen. Denn die
Natur der Thiere darf von Niemand belehrt werden.
Daher scheinen mir auch die andern Thiere mehr von
Natur als durch Vernunft, einige künstliche Dinge
zu machen: die Bienen ihre Honigscheiben, die Amei-
sen ihre unterirrdischen Gänge und Vorrathskammern;
die Spinne ihr Gewebe, alle, wie ich schließe, ohne
Lehrmeister."

§. 34.
In Rücksicht der Organisation, und der Ge-
wandtheit des Geistes.

Ich habe oben gesagt, daß alle möglichen
Arten des Daseyns und des Lebens wirklich gemacht
werden musten: Allein ich denke mir keine abgezogene,
sondern eine, der Alles durchkreuzenden Verkettung
des Erdenalles, nicht wiedersprechende Möglichkeit.
"Die ganze Schöpfung sollte durchgenossen, durchge-
fühlt, durchgearbeitet werden; auf jedem neuen Punkt
also mußten Geschöpfe seyn, sie zu genießen, Orga-
gane, sie zu empfinden, Kräfte, sie dieser Stelle ge-
mäß zu beleben. Der Kaiman und der Kolibri, der
Kondor und die Pipa; was haben sie mit einander
gemein? Und jedes ist für sein Element organisirt;
jedes lebt und webt in seinem Elemente. Kein Punkt
der Schöpfung ist ohne Genuß, ohne Organe, ohne
Bewohner; jedes Geschöpf hat also seine eigne, eine

neue

ich denke, ohne Lehrmeiſter jagen, die Ente ſchwimmen,
die Schlange ſich in eine Hoͤhle verbergen. Denn die
Natur der Thiere darf von Niemand belehrt werden.
Daher ſcheinen mir auch die andern Thiere mehr von
Natur als durch Vernunft, einige kuͤnſtliche Dinge
zu machen: die Bienen ihre Honigſcheiben, die Amei-
ſen ihre unterirrdiſchen Gaͤnge und Vorrathskammern;
die Spinne ihr Gewebe, alle, wie ich ſchließe, ohne
Lehrmeiſter.„

§. 34.
In Ruͤckſicht der Organiſation, und der Ge-
wandtheit des Geiſtes.

Ich habe oben geſagt, daß alle moͤglichen
Arten des Daſeyns und des Lebens wirklich gemacht
werden muſten: Allein ich denke mir keine abgezogene,
ſondern eine, der Alles durchkreuzenden Verkettung
des Erdenalles, nicht wiederſprechende Moͤglichkeit.
“Die ganze Schoͤpfung ſollte durchgenoſſen, durchge-
fuͤhlt, durchgearbeitet werden; auf jedem neuen Punkt
alſo mußten Geſchoͤpfe ſeyn, ſie zu genießen, Orga-
gane, ſie zu empfinden, Kraͤfte, ſie dieſer Stelle ge-
maͤß zu beleben. Der Kaiman und der Kolibri, der
Kondor und die Pipa; was haben ſie mit einander
gemein? Und jedes iſt fuͤr ſein Element organiſirt;
jedes lebt und webt in ſeinem Elemente. Kein Punkt
der Schoͤpfung iſt ohne Genuß, ohne Organe, ohne
Bewohner; jedes Geſchoͤpf hat alſo ſeine eigne, eine

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[133/0152] ich denke, ohne Lehrmeiſter jagen, die Ente ſchwimmen, die Schlange ſich in eine Hoͤhle verbergen. Denn die Natur der Thiere darf von Niemand belehrt werden. Daher ſcheinen mir auch die andern Thiere mehr von Natur als durch Vernunft, einige kuͤnſtliche Dinge zu machen: die Bienen ihre Honigſcheiben, die Amei- ſen ihre unterirrdiſchen Gaͤnge und Vorrathskammern; die Spinne ihr Gewebe, alle, wie ich ſchließe, ohne Lehrmeiſter.„ §. 34. In Ruͤckſicht der Organiſation, und der Ge- wandtheit des Geiſtes. Ich habe oben geſagt, daß alle moͤglichen Arten des Daſeyns und des Lebens wirklich gemacht werden muſten: Allein ich denke mir keine abgezogene, ſondern eine, der Alles durchkreuzenden Verkettung des Erdenalles, nicht wiederſprechende Moͤglichkeit. “Die ganze Schoͤpfung ſollte durchgenoſſen, durchge- fuͤhlt, durchgearbeitet werden; auf jedem neuen Punkt alſo mußten Geſchoͤpfe ſeyn, ſie zu genießen, Orga- gane, ſie zu empfinden, Kraͤfte, ſie dieſer Stelle ge- maͤß zu beleben. Der Kaiman und der Kolibri, der Kondor und die Pipa; was haben ſie mit einander gemein? Und jedes iſt fuͤr ſein Element organiſirt; jedes lebt und webt in ſeinem Elemente. Kein Punkt der Schoͤpfung iſt ohne Genuß, ohne Organe, ohne Bewohner; jedes Geſchoͤpf hat alſo ſeine eigne, eine neue

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/152>, abgerufen am 28.03.2024.