Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Nerven beygebrachten und bis zur Seele fortgepflanz-
ten Reize, erregt werden; eben so, wie die willkühr-
lichen Bewegungen, obwohl ohne Bewußtseyn.*) --
Hier bediente sich noch die Seele der Werkzeuge des
Körpers als Mittel zu ihrem Endzwecke.

§. 7.

Aber, so wie alle Meinungen grosser Männer
von nachahmungssüchtigen oder geringfügigen Gei-
stern bis zur widersinnigsten Ausschweifung verkrüppelt
werden, so leugneten auch einige vorgebliche Anhän-
ger nicht nur die wechselseitige Einwirkung der Orga-
ne, sondern sogar alles Daseyn eines künstlichen, ab-
sichtlichen Baues, und die Seele mußte selbst un-
mittelbar alle Bewegungen seyn.**) Lippert behaup-
tete gerade zu, daß weder die Anordnung, noch die
Gestalt, noch die Einrichtung der Theile mechanisch
wären; der Mechanismus wäre sogar ganz unnütz,
und im ganzen Körper träfe man keine Spur davon
an; die Absonderungen und Ausleerungen gäben keine
Beweise gegen ihn ab; die Muskeln bewegten weder
die durch sie verbundenen Knochen, noch könnten sie
dieselben jemals bewegen; im §. 16. spricht er im
entscheidentsten Tone, es seye die Ausdehnung der
Glieder vermittelst der Muskeln schlechterdings un-
möglich.


Hei-
*) Plattner neue Antropologie §. 271.
**) Lippert de Mechanismi in corpore humano absentia. Er-
fordiae 1738.

Nerven beygebrachten und bis zur Seele fortgepflanz-
ten Reize, erregt werden; eben ſo, wie die willkuͤhr-
lichen Bewegungen, obwohl ohne Bewußtſeyn.*)
Hier bediente ſich noch die Seele der Werkzeuge des
Koͤrpers als Mittel zu ihrem Endzwecke.

§. 7.

Aber, ſo wie alle Meinungen groſſer Maͤnner
von nachahmungsſuͤchtigen oder geringfuͤgigen Gei-
ſtern bis zur widerſinnigſten Ausſchweifung verkruͤppelt
werden, ſo leugneten auch einige vorgebliche Anhaͤn-
ger nicht nur die wechſelſeitige Einwirkung der Orga-
ne, ſondern ſogar alles Daſeyn eines kuͤnſtlichen, ab-
ſichtlichen Baues, und die Seele mußte ſelbſt un-
mittelbar alle Bewegungen ſeyn.**) Lippert behaup-
tete gerade zu, daß weder die Anordnung, noch die
Geſtalt, noch die Einrichtung der Theile mechaniſch
waͤren; der Mechanismus waͤre ſogar ganz unnuͤtz,
und im ganzen Koͤrper traͤfe man keine Spur davon
an; die Abſonderungen und Ausleerungen gaͤben keine
Beweiſe gegen ihn ab; die Muskeln bewegten weder
die durch ſie verbundenen Knochen, noch koͤnnten ſie
dieſelben jemals bewegen; im §. 16. ſpricht er im
entſcheidentſten Tone, es ſeye die Ausdehnung der
Glieder vermittelſt der Muskeln ſchlechterdings un-
moͤglich.


Hei-
*) Plattner neue Antropologie §. 271.
**) Lippert de Mechaniſmi in corpore humano abſentia. Er-
fordiæ 1738.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0028" n="9"/>
Nerven beygebrachten und bis zur Seele fortgepflanz-<lb/>
ten Reize, erregt werden; eben &#x017F;o, wie die willku&#x0364;hr-<lb/>
lichen Bewegungen, obwohl ohne Bewußt&#x017F;eyn.<note place="foot" n="*)">Plattner neue Antropologie §. 271.</note> &#x2014;<lb/>
Hier bediente &#x017F;ich noch die Seele der Werkzeuge des<lb/>
Ko&#x0364;rpers als Mittel zu ihrem Endzwecke.</p><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 7.</head><lb/>
              <p>Aber, &#x017F;o wie alle Meinungen gro&#x017F;&#x017F;er Ma&#x0364;nner<lb/>
von nachahmungs&#x017F;u&#x0364;chtigen oder geringfu&#x0364;gigen Gei-<lb/>
&#x017F;tern bis zur <choice><sic>wider&#x017F;innig&#x017F;t en</sic><corr>wider&#x017F;innig&#x017F;ten</corr></choice> Aus&#x017F;chweifung verkru&#x0364;ppelt<lb/>
werden, &#x017F;o leugneten auch einige vorgebliche Anha&#x0364;n-<lb/>
ger nicht nur die wech&#x017F;el&#x017F;eitige Einwirkung der Orga-<lb/>
ne, &#x017F;ondern &#x017F;ogar alles Da&#x017F;eyn eines ku&#x0364;n&#x017F;tlichen, ab-<lb/>
&#x017F;ichtlichen Baues, und die Seele mußte &#x017F;elb&#x017F;t un-<lb/>
mittelbar alle Bewegungen &#x017F;eyn.<note place="foot" n="**)"><hi rendition="#aq">Lippert de Mechani&#x017F;mi in corpore humano ab&#x017F;entia. Er-<lb/>
fordiæ 1738.</hi></note> <hi rendition="#fr">Lippert</hi> behaup-<lb/>
tete gerade zu, daß weder die Anordnung, noch die<lb/>
Ge&#x017F;talt, noch die Einrichtung der Theile mechani&#x017F;ch<lb/>
wa&#x0364;ren; der Mechanismus wa&#x0364;re &#x017F;ogar ganz unnu&#x0364;tz,<lb/>
und im ganzen Ko&#x0364;rper tra&#x0364;fe man keine Spur davon<lb/>
an; die Ab&#x017F;onderungen und Ausleerungen ga&#x0364;ben keine<lb/>
Bewei&#x017F;e gegen ihn ab; die Muskeln bewegten weder<lb/>
die durch &#x017F;ie verbundenen Knochen, noch ko&#x0364;nnten &#x017F;ie<lb/>
die&#x017F;elben jemals bewegen; im §. 16. &#x017F;pricht er im<lb/>
ent&#x017F;cheident&#x017F;ten Tone, es &#x017F;eye die Ausdehnung der<lb/>
Glieder vermittel&#x017F;t der Muskeln &#x017F;chlechterdings un-<lb/>
mo&#x0364;glich.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Hei-</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0028] Nerven beygebrachten und bis zur Seele fortgepflanz- ten Reize, erregt werden; eben ſo, wie die willkuͤhr- lichen Bewegungen, obwohl ohne Bewußtſeyn. *) — Hier bediente ſich noch die Seele der Werkzeuge des Koͤrpers als Mittel zu ihrem Endzwecke. §. 7. Aber, ſo wie alle Meinungen groſſer Maͤnner von nachahmungsſuͤchtigen oder geringfuͤgigen Gei- ſtern bis zur widerſinnigſten Ausſchweifung verkruͤppelt werden, ſo leugneten auch einige vorgebliche Anhaͤn- ger nicht nur die wechſelſeitige Einwirkung der Orga- ne, ſondern ſogar alles Daſeyn eines kuͤnſtlichen, ab- ſichtlichen Baues, und die Seele mußte ſelbſt un- mittelbar alle Bewegungen ſeyn. **) Lippert behaup- tete gerade zu, daß weder die Anordnung, noch die Geſtalt, noch die Einrichtung der Theile mechaniſch waͤren; der Mechanismus waͤre ſogar ganz unnuͤtz, und im ganzen Koͤrper traͤfe man keine Spur davon an; die Abſonderungen und Ausleerungen gaͤben keine Beweiſe gegen ihn ab; die Muskeln bewegten weder die durch ſie verbundenen Knochen, noch koͤnnten ſie dieſelben jemals bewegen; im §. 16. ſpricht er im entſcheidentſten Tone, es ſeye die Ausdehnung der Glieder vermittelſt der Muskeln ſchlechterdings un- moͤglich. Hei- *) Plattner neue Antropologie §. 271. **) Lippert de Mechaniſmi in corpore humano abſentia. Er- fordiæ 1738.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/28
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/28>, abgerufen am 19.04.2024.