Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 124.

Ferner kann man alle, und zwar die angemes-
sendsten Mittel gebraucht haben; aber man hat sie
nicht in derjenigen Gestalt, welche der besondern Be-
schaffenheit des Kranken angemeßen ist; nicht in der
gehörigen Gabe; nicht in der erforderlichen Ordnung
oder nicht zur rechten Zeit gebraucht; oder selbst die
Eigenheiten des Kranken fordern eine Ausnahme,
wozu der Arzt in der Natur der Krankheit keinen
Grund findet. Manchem Kranken z. B. erregt die
Kina in Pulver allerley Beschwerden, und sie wird
unnütz weggebrochen; da er den kalten Aufguß oder
eine andere Zubereitung vortrefflich erträgt. Der Bi-
sam, der Wein, der Kampfer, der Schierling etc.
können lange Zeit in zu geringen Gaben fruchtlos blei-
ben, wo hingegen größere augenblicklich ihre Wirkung
thun. Kleine Gaben Mohnsaft wirken oft als Reiz-
mittel, da grössere die allgemeine Ruhe herstellen.
-- Vringle fand in den Lazarethfiebern die Blasen-
pflaster so lange unnütz, als der mit diesen Fiebern
unzertrennlich vereinigte Stupor nur schwach war,
und nur des Abends in ein geringes Irreseyn über-
gieng. Sie thaten aber gute Dienste, sobald die Au-
gen wild aussahen, die Stimme geschwind wurde,
und eine Hirnwuth zu befürchten war. Die gelindesten
Abführungen schaden, so lange z. B. die Entzündung
der Gedärme im rohen Zustande ist; sie können aber
nach der Entscheidung nützlich und nothwendig wer-

den
§. 124.

Ferner kann man alle, und zwar die angemeſ-
ſendſten Mittel gebraucht haben; aber man hat ſie
nicht in derjenigen Geſtalt, welche der beſondern Be-
ſchaffenheit des Kranken angemeßen iſt; nicht in der
gehoͤrigen Gabe; nicht in der erforderlichen Ordnung
oder nicht zur rechten Zeit gebraucht; oder ſelbſt die
Eigenheiten des Kranken fordern eine Ausnahme,
wozu der Arzt in der Natur der Krankheit keinen
Grund findet. Manchem Kranken z. B. erregt die
Kina in Pulver allerley Beſchwerden, und ſie wird
unnuͤtz weggebrochen; da er den kalten Aufguß oder
eine andere Zubereitung vortrefflich ertraͤgt. Der Bi-
ſam, der Wein, der Kampfer, der Schierling ꝛc.
koͤnnen lange Zeit in zu geringen Gaben fruchtlos blei-
ben, wo hingegen groͤßere augenblicklich ihre Wirkung
thun. Kleine Gaben Mohnſaft wirken oft als Reiz-
mittel, da groͤſſere die allgemeine Ruhe herſtellen.
Vringle fand in den Lazarethfiebern die Blaſen-
pflaſter ſo lange unnuͤtz, als der mit dieſen Fiebern
unzertrennlich vereinigte Stupor nur ſchwach war,
und nur des Abends in ein geringes Irreſeyn uͤber-
gieng. Sie thaten aber gute Dienſte, ſobald die Au-
gen wild ausſahen, die Stimme geſchwind wurde,
und eine Hirnwuth zu befuͤrchten war. Die gelindeſten
Abfuͤhrungen ſchaden, ſo lange z. B. die Entzuͤndung
der Gedaͤrme im rohen Zuſtande iſt; ſie koͤnnen aber
nach der Entſcheidung nuͤtzlich und nothwendig wer-

den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0731" n="712"/>
            <div n="4">
              <head>§. 124.</head><lb/>
              <p>Ferner kann man alle, und zwar die angeme&#x017F;-<lb/>
&#x017F;end&#x017F;ten Mittel gebraucht haben; aber man hat &#x017F;ie<lb/>
nicht in derjenigen Ge&#x017F;talt, welche der be&#x017F;ondern Be-<lb/>
&#x017F;chaffenheit des Kranken angemeßen i&#x017F;t; nicht in der<lb/>
geho&#x0364;rigen Gabe; nicht in der erforderlichen Ordnung<lb/>
oder nicht zur rechten Zeit gebraucht; oder &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Eigenheiten des Kranken fordern eine Ausnahme,<lb/>
wozu der Arzt in der Natur der Krankheit keinen<lb/>
Grund findet. Manchem Kranken z. B. erregt die<lb/>
Kina in Pulver allerley Be&#x017F;chwerden, und &#x017F;ie wird<lb/>
unnu&#x0364;tz weggebrochen; da er den kalten Aufguß oder<lb/>
eine andere Zubereitung vortrefflich ertra&#x0364;gt. Der Bi-<lb/>
&#x017F;am, der Wein, der Kampfer, der Schierling &#xA75B;c.<lb/>
ko&#x0364;nnen lange Zeit in zu geringen Gaben fruchtlos blei-<lb/>
ben, wo hingegen gro&#x0364;ßere augenblicklich ihre Wirkung<lb/>
thun. Kleine Gaben Mohn&#x017F;aft wirken oft als Reiz-<lb/>
mittel, da gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere die allgemeine Ruhe her&#x017F;tellen.<lb/>
&#x2014; <hi rendition="#fr">Vringle</hi> fand in den Lazarethfiebern die Bla&#x017F;en-<lb/>
pfla&#x017F;ter &#x017F;o lange unnu&#x0364;tz, als der mit die&#x017F;en Fiebern<lb/>
unzertrennlich vereinigte Stupor nur &#x017F;chwach war,<lb/>
und nur des Abends in ein geringes Irre&#x017F;eyn u&#x0364;ber-<lb/>
gieng. Sie thaten aber gute Dien&#x017F;te, &#x017F;obald die Au-<lb/>
gen wild aus&#x017F;ahen, die Stimme ge&#x017F;chwind wurde,<lb/>
und eine Hirnwuth zu befu&#x0364;rchten war. Die gelinde&#x017F;ten<lb/>
Abfu&#x0364;hrungen &#x017F;chaden, &#x017F;o lange z. B. die Entzu&#x0364;ndung<lb/>
der Geda&#x0364;rme im rohen Zu&#x017F;tande i&#x017F;t; &#x017F;ie ko&#x0364;nnen aber<lb/>
nach der Ent&#x017F;cheidung nu&#x0364;tzlich und nothwendig wer-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[712/0731] §. 124. Ferner kann man alle, und zwar die angemeſ- ſendſten Mittel gebraucht haben; aber man hat ſie nicht in derjenigen Geſtalt, welche der beſondern Be- ſchaffenheit des Kranken angemeßen iſt; nicht in der gehoͤrigen Gabe; nicht in der erforderlichen Ordnung oder nicht zur rechten Zeit gebraucht; oder ſelbſt die Eigenheiten des Kranken fordern eine Ausnahme, wozu der Arzt in der Natur der Krankheit keinen Grund findet. Manchem Kranken z. B. erregt die Kina in Pulver allerley Beſchwerden, und ſie wird unnuͤtz weggebrochen; da er den kalten Aufguß oder eine andere Zubereitung vortrefflich ertraͤgt. Der Bi- ſam, der Wein, der Kampfer, der Schierling ꝛc. koͤnnen lange Zeit in zu geringen Gaben fruchtlos blei- ben, wo hingegen groͤßere augenblicklich ihre Wirkung thun. Kleine Gaben Mohnſaft wirken oft als Reiz- mittel, da groͤſſere die allgemeine Ruhe herſtellen. — Vringle fand in den Lazarethfiebern die Blaſen- pflaſter ſo lange unnuͤtz, als der mit dieſen Fiebern unzertrennlich vereinigte Stupor nur ſchwach war, und nur des Abends in ein geringes Irreſeyn uͤber- gieng. Sie thaten aber gute Dienſte, ſobald die Au- gen wild ausſahen, die Stimme geſchwind wurde, und eine Hirnwuth zu befuͤrchten war. Die gelindeſten Abfuͤhrungen ſchaden, ſo lange z. B. die Entzuͤndung der Gedaͤrme im rohen Zuſtande iſt; ſie koͤnnen aber nach der Entſcheidung nuͤtzlich und nothwendig wer- den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/731
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 712. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/731>, abgerufen am 28.03.2024.