Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

die ganze Oberfläche etwas aufgedunsen, und die Con-
sistenz weich und breiartig wird; dann erst ist das
Band, was die Masse von Kräften und Organen so
wunderbar vereinte, gelöset. Die Fäulniß muß aber
allgemein seyn. Der bloße Leuchengeruch kann bey
Leuten, die Geschwüre, durch den kalten Brand zer-
stöhrte Theile, die Pocken u. d. gl. haben, ebenfalls
zugegen seyn. So bekam bey Sydenham ein Blat-
ternkranker die Hirnwuth und schien tod zu seyn; er
hatte den Todengeruch. Als er nakt auf den Tisch
gelegt wurde, gab er Lebenszeichen von sich, und
wurde geheilt.

§. 125.

Eine der mächtigsten Ursachen nicht nur des
Scheintodes, sondern auch der Unheilbarkeit der Krank-
heiten, ist Niedergeschlagenheit des Gemüths, Ver-
zweiflung, Furcht vor dem Tode. Zimmermann
erzählt von einem 36 jährigen Bauern, der aus Furcht
des Galgens im Gefängniße alle seine Kräfte so ver-
loren hatte, daß kein Puls zu fühlen, keine Bewe-
gung des Herzens und kein Athen zu entdecken war.
Sein Angesicht und seine Lippen waren ganz erblaßt;
seine Augen geschlossen; er war kalt und einem toden
Körper ganz ähnlich. Man stieß ihn, rieß ihn,
schlug ihn, und wälzte ihn auf der Erde herum, oh-
ne ihm das geringste Lebenszeichen auszupressen. Zim-

mer-

die ganze Oberflaͤche etwas aufgedunſen, und die Con-
ſiſtenz weich und breiartig wird; dann erſt iſt das
Band, was die Maſſe von Kraͤften und Organen ſo
wunderbar vereinte, geloͤſet. Die Faͤulniß muß aber
allgemein ſeyn. Der bloße Leuchengeruch kann bey
Leuten, die Geſchwuͤre, durch den kalten Brand zer-
ſtoͤhrte Theile, die Pocken u. d. gl. haben, ebenfalls
zugegen ſeyn. So bekam bey Sydenham ein Blat-
ternkranker die Hirnwuth und ſchien tod zu ſeyn; er
hatte den Todengeruch. Als er nakt auf den Tiſch
gelegt wurde, gab er Lebenszeichen von ſich, und
wurde geheilt.

§. 125.

Eine der maͤchtigſten Urſachen nicht nur des
Scheintodes, ſondern auch der Unheilbarkeit der Krank-
heiten, iſt Niedergeſchlagenheit des Gemuͤths, Ver-
zweiflung, Furcht vor dem Tode. Zimmermann
erzaͤhlt von einem 36 jaͤhrigen Bauern, der aus Furcht
des Galgens im Gefaͤngniße alle ſeine Kraͤfte ſo ver-
loren hatte, daß kein Puls zu fuͤhlen, keine Bewe-
gung des Herzens und kein Athen zu entdecken war.
Sein Angeſicht und ſeine Lippen waren ganz erblaßt;
ſeine Augen geſchloſſen; er war kalt und einem toden
Koͤrper ganz aͤhnlich. Man ſtieß ihn, rieß ihn,
ſchlug ihn, und waͤlzte ihn auf der Erde herum, oh-
ne ihm das geringſte Lebenszeichen auszupreſſen. Zim-

mer-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0736" n="717"/>
die ganze Oberfla&#x0364;che etwas aufgedun&#x017F;en, und die Con-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;tenz weich und breiartig wird; dann er&#x017F;t i&#x017F;t das<lb/>
Band, was die Ma&#x017F;&#x017F;e von Kra&#x0364;ften und Organen &#x017F;o<lb/>
wunderbar vereinte, gelo&#x0364;&#x017F;et. Die Fa&#x0364;ulniß muß aber<lb/>
allgemein &#x017F;eyn. Der bloße Leuchengeruch kann bey<lb/>
Leuten, die Ge&#x017F;chwu&#x0364;re, durch den kalten Brand zer-<lb/>
&#x017F;to&#x0364;hrte Theile, die Pocken u. d. gl. haben, ebenfalls<lb/>
zugegen &#x017F;eyn. So bekam bey <hi rendition="#fr">Sydenham</hi> ein Blat-<lb/>
ternkranker die Hirnwuth und &#x017F;chien tod zu &#x017F;eyn; er<lb/>
hatte den Todengeruch. Als er nakt auf den Ti&#x017F;ch<lb/>
gelegt wurde, gab er Lebenszeichen von &#x017F;ich, und<lb/>
wurde geheilt.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 125.</head><lb/>
              <p>Eine der ma&#x0364;chtig&#x017F;ten Ur&#x017F;achen nicht nur des<lb/>
Scheintodes, &#x017F;ondern auch der Unheilbarkeit der Krank-<lb/>
heiten, i&#x017F;t Niederge&#x017F;chlagenheit des Gemu&#x0364;ths, Ver-<lb/>
zweiflung, Furcht vor dem Tode. <hi rendition="#fr">Zimmermann</hi><lb/>
erza&#x0364;hlt von einem 36 ja&#x0364;hrigen Bauern, der aus Furcht<lb/>
des Galgens im Gefa&#x0364;ngniße alle &#x017F;eine Kra&#x0364;fte &#x017F;o ver-<lb/>
loren hatte, daß kein Puls zu fu&#x0364;hlen, keine Bewe-<lb/>
gung des Herzens und kein Athen zu entdecken war.<lb/>
Sein Ange&#x017F;icht und &#x017F;eine Lippen waren ganz erblaßt;<lb/>
&#x017F;eine Augen ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en; er war kalt und einem toden<lb/>
Ko&#x0364;rper ganz a&#x0364;hnlich. Man &#x017F;tieß ihn, rieß ihn,<lb/>
&#x017F;chlug ihn, und wa&#x0364;lzte ihn auf der Erde herum, oh-<lb/>
ne ihm das gering&#x017F;te Lebenszeichen auszupre&#x017F;&#x017F;en. <hi rendition="#fr">Zim-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">mer-</hi></fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[717/0736] die ganze Oberflaͤche etwas aufgedunſen, und die Con- ſiſtenz weich und breiartig wird; dann erſt iſt das Band, was die Maſſe von Kraͤften und Organen ſo wunderbar vereinte, geloͤſet. Die Faͤulniß muß aber allgemein ſeyn. Der bloße Leuchengeruch kann bey Leuten, die Geſchwuͤre, durch den kalten Brand zer- ſtoͤhrte Theile, die Pocken u. d. gl. haben, ebenfalls zugegen ſeyn. So bekam bey Sydenham ein Blat- ternkranker die Hirnwuth und ſchien tod zu ſeyn; er hatte den Todengeruch. Als er nakt auf den Tiſch gelegt wurde, gab er Lebenszeichen von ſich, und wurde geheilt. §. 125. Eine der maͤchtigſten Urſachen nicht nur des Scheintodes, ſondern auch der Unheilbarkeit der Krank- heiten, iſt Niedergeſchlagenheit des Gemuͤths, Ver- zweiflung, Furcht vor dem Tode. Zimmermann erzaͤhlt von einem 36 jaͤhrigen Bauern, der aus Furcht des Galgens im Gefaͤngniße alle ſeine Kraͤfte ſo ver- loren hatte, daß kein Puls zu fuͤhlen, keine Bewe- gung des Herzens und kein Athen zu entdecken war. Sein Angeſicht und ſeine Lippen waren ganz erblaßt; ſeine Augen geſchloſſen; er war kalt und einem toden Koͤrper ganz aͤhnlich. Man ſtieß ihn, rieß ihn, ſchlug ihn, und waͤlzte ihn auf der Erde herum, oh- ne ihm das geringſte Lebenszeichen auszupreſſen. Zim- mer-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/736
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 717. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/736>, abgerufen am 23.04.2024.