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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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de am glücklichsten, ohne alles Zuthun der Kunst
geheilt. Sogar die zusammenfliessenden bösartigsten
Blattern, wenn sie sich aus Noth selbst überlassen
werden, gewinnen noch manchmal einen glücklichen
Ausgang. Im Spätjahr 1790 bey einer Blat-
ternseuche, in der sehr viele Kinder an Verwerfun-
gen nach den edlern Theilen starben, lagen in einem
Hause 5 Kinder. Die schlimmsten Blattern hatte
ein vierjähriges Mädchen eines Taglöhners. Dieser
hielt sein Kind ohnehin für verloren, und ließ es
von Frühe bis Abend ohne alle Obsorge liegen. Al-
les, was man ihm gab, war frisches Wasser. Die-
ses kam davon; da indessen die vier andern, die flei-
sig mit Arzneyen gefüttert wurden, das Leben einbüs-
ten. Deßwegen sagt Sanctorius, daß mehr Land-
leute von der Pest geheilt werden, weil diese weniger
Arzneyen gebrauchen, als die Stätter. Die Beyspie-
le, daß aller Hilfe beraubte Pestkranken wieder gene-
sen sind, sind gar nicht selten. In der Petechien-
epidemie, die Sims beschrieben hat, starben viele
von denen, welche die Aerzte mit hizigen, herzstär-
kenden, fäulnißwidrigen Mitteln behandelten; da
hingegen alle die, so sich der Natur überließen, auf-
ser einer vielmehr nützlichen als schädlichen Schlafsucht,
ohne schwere Zufälle davon kamen.*) Eben so gieng
es in den von Sydenham beschriebenen und 1673--
74 und 75 herschenden Fiebern. Kinder und junge
Leute wurden manchmal betäubt. Anfänglich wand

Sy-
*) Observat sur les malad epidem chap I. p. 10.

de am gluͤcklichſten, ohne alles Zuthun der Kunſt
geheilt. Sogar die zuſammenflieſſenden boͤsartigſten
Blattern, wenn ſie ſich aus Noth ſelbſt uͤberlaſſen
werden, gewinnen noch manchmal einen gluͤcklichen
Ausgang. Im Spaͤtjahr 1790 bey einer Blat-
ternſeuche, in der ſehr viele Kinder an Verwerfun-
gen nach den edlern Theilen ſtarben, lagen in einem
Hauſe 5 Kinder. Die ſchlimmſten Blattern hatte
ein vierjaͤhriges Maͤdchen eines Tagloͤhners. Dieſer
hielt ſein Kind ohnehin fuͤr verloren, und ließ es
von Fruͤhe bis Abend ohne alle Obſorge liegen. Al-
les, was man ihm gab, war friſches Waſſer. Die-
ſes kam davon; da indeſſen die vier andern, die flei-
ſig mit Arzneyen gefuͤttert wurden, das Leben einbuͤſ-
ten. Deßwegen ſagt Sanctorius, daß mehr Land-
leute von der Peſt geheilt werden, weil dieſe weniger
Arzneyen gebrauchen, als die Staͤtter. Die Beyſpie-
le, daß aller Hilfe beraubte Peſtkranken wieder gene-
ſen ſind, ſind gar nicht ſelten. In der Petechien-
epidemie, die Sims beſchrieben hat, ſtarben viele
von denen, welche die Aerzte mit hizigen, herzſtaͤr-
kenden, faͤulnißwidrigen Mitteln behandelten; da
hingegen alle die, ſo ſich der Natur uͤberließen, auf-
ſer einer vielmehr nuͤtzlichen als ſchaͤdlichen Schlafſucht,
ohne ſchwere Zufaͤlle davon kamen.*) Eben ſo gieng
es in den von Sydenham beſchriebenen und 1673—
74 und 75 herſchenden Fiebern. Kinder und junge
Leute wurden manchmal betaͤubt. Anfaͤnglich wand

Sy-
*) Obſervat ſur les malad epidem chap I. p. 10.
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[224/0243] de am gluͤcklichſten, ohne alles Zuthun der Kunſt geheilt. Sogar die zuſammenflieſſenden boͤsartigſten Blattern, wenn ſie ſich aus Noth ſelbſt uͤberlaſſen werden, gewinnen noch manchmal einen gluͤcklichen Ausgang. Im Spaͤtjahr 1790 bey einer Blat- ternſeuche, in der ſehr viele Kinder an Verwerfun- gen nach den edlern Theilen ſtarben, lagen in einem Hauſe 5 Kinder. Die ſchlimmſten Blattern hatte ein vierjaͤhriges Maͤdchen eines Tagloͤhners. Dieſer hielt ſein Kind ohnehin fuͤr verloren, und ließ es von Fruͤhe bis Abend ohne alle Obſorge liegen. Al- les, was man ihm gab, war friſches Waſſer. Die- ſes kam davon; da indeſſen die vier andern, die flei- ſig mit Arzneyen gefuͤttert wurden, das Leben einbuͤſ- ten. Deßwegen ſagt Sanctorius, daß mehr Land- leute von der Peſt geheilt werden, weil dieſe weniger Arzneyen gebrauchen, als die Staͤtter. Die Beyſpie- le, daß aller Hilfe beraubte Peſtkranken wieder gene- ſen ſind, ſind gar nicht ſelten. In der Petechien- epidemie, die Sims beſchrieben hat, ſtarben viele von denen, welche die Aerzte mit hizigen, herzſtaͤr- kenden, faͤulnißwidrigen Mitteln behandelten; da hingegen alle die, ſo ſich der Natur uͤberließen, auf- ſer einer vielmehr nuͤtzlichen als ſchaͤdlichen Schlafſucht, ohne ſchwere Zufaͤlle davon kamen. *) Eben ſo gieng es in den von Sydenham beſchriebenen und 1673— 74 und 75 herſchenden Fiebern. Kinder und junge Leute wurden manchmal betaͤubt. Anfaͤnglich wand Sy- *) Obſervat ſur les malad epidem chap I. p. 10.

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/243>, abgerufen am 25.04.2024.