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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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sind. -- Die Mandelmilchen erzeugen allerley Zufäl-
le von Unreinigkeit, die fälschlich der Krankheit zu-
geschrieben werden, und werden sie nicht ganz mild ge-
trunken, so schaden sie durch ihre ranzige Säure.
Man sollte sie daher lieber ganz weglassen; das Gute,
was sie haben, kann man ja durch andere Dinge er-
setzen.

Jezt ist das Räthsel nimmer schwer zu lösen,
warum in der nämlichen Statt einige Aerzte so vie-
ler Aderläßen, in einer gewöhnlichen Entzündungskrank-
heit z. B. nicht weniger als neun bis sechs und zwan-
zig bedürfen, da indeßen andere jedesmal mit einer,
zwey, drey, höchstens vier ihren Endzweck erreichen.
Einem einzigen alten Weibe von vier und achzig Jah-
ren, die schon einige Tage an den heftigsten Zufällen
einer Lungenentzündung vernachläßiget da lag, mußte
ich innerhalb drey Tagen fünf Mal Aderlassen; um des
hohen Alters willen machte ich jede nur zu sechs Un-
zen; sie hatte auf jede einige Erleichterung, welche
zwölf bis vierzehn Stunden anhielt. Da aber ihre an
Leib und Seele verkrüppelte Tochter durchaus keine
lauen Umschläge machen wollte, und unter dem Vor-
wande, als könnte ein längeres Leben der Alten ohne-
hin nur zur Last seyn, gar nichts, als kaltes Wasser,
gab, nebstbey mit schweren Federdecken dieselbe zum
Schwitzen nöthigte, so starb sie mit allen Zeichen ei-
ner rohen Entzündung den vierten Tag von meinem
ersten Besuche an. Eben so waren Hippokrates,
Galenus, Celsus, Alexander, Fernelius, Fo-
restus, Silvius de le Boe, Plater, Amatus

Lu-

ſind. — Die Mandelmilchen erzeugen allerley Zufaͤl-
le von Unreinigkeit, die faͤlſchlich der Krankheit zu-
geſchrieben werden, und werden ſie nicht ganz mild ge-
trunken, ſo ſchaden ſie durch ihre ranzige Saͤure.
Man ſollte ſie daher lieber ganz weglaſſen; das Gute,
was ſie haben, kann man ja durch andere Dinge er-
ſetzen.

Jezt iſt das Raͤthſel nimmer ſchwer zu loͤſen,
warum in der naͤmlichen Statt einige Aerzte ſo vie-
ler Aderlaͤßen, in einer gewoͤhnlichen Entzuͤndungskrank-
heit z. B. nicht weniger als neun bis ſechs und zwan-
zig beduͤrfen, da indeßen andere jedesmal mit einer,
zwey, drey, hoͤchſtens vier ihren Endzweck erreichen.
Einem einzigen alten Weibe von vier und achzig Jah-
ren, die ſchon einige Tage an den heftigſten Zufaͤllen
einer Lungenentzuͤndung vernachlaͤßiget da lag, mußte
ich innerhalb drey Tagen fuͤnf Mal Aderlaſſen; um des
hohen Alters willen machte ich jede nur zu ſechs Un-
zen; ſie hatte auf jede einige Erleichterung, welche
zwoͤlf bis vierzehn Stunden anhielt. Da aber ihre an
Leib und Seele verkruͤppelte Tochter durchaus keine
lauen Umſchlaͤge machen wollte, und unter dem Vor-
wande, als koͤnnte ein laͤngeres Leben der Alten ohne-
hin nur zur Laſt ſeyn, gar nichts, als kaltes Waſſer,
gab, nebſtbey mit ſchweren Federdecken dieſelbe zum
Schwitzen noͤthigte, ſo ſtarb ſie mit allen Zeichen ei-
ner rohen Entzuͤndung den vierten Tag von meinem
erſten Beſuche an. Eben ſo waren Hippokrates,
Galenus, Celſus, Alexander, Fernelius, Fo-
reſtus, Silvius de le Boe, Plater, Amatus

Lu-
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[495/0514] ſind. — Die Mandelmilchen erzeugen allerley Zufaͤl- le von Unreinigkeit, die faͤlſchlich der Krankheit zu- geſchrieben werden, und werden ſie nicht ganz mild ge- trunken, ſo ſchaden ſie durch ihre ranzige Saͤure. Man ſollte ſie daher lieber ganz weglaſſen; das Gute, was ſie haben, kann man ja durch andere Dinge er- ſetzen. Jezt iſt das Raͤthſel nimmer ſchwer zu loͤſen, warum in der naͤmlichen Statt einige Aerzte ſo vie- ler Aderlaͤßen, in einer gewoͤhnlichen Entzuͤndungskrank- heit z. B. nicht weniger als neun bis ſechs und zwan- zig beduͤrfen, da indeßen andere jedesmal mit einer, zwey, drey, hoͤchſtens vier ihren Endzweck erreichen. Einem einzigen alten Weibe von vier und achzig Jah- ren, die ſchon einige Tage an den heftigſten Zufaͤllen einer Lungenentzuͤndung vernachlaͤßiget da lag, mußte ich innerhalb drey Tagen fuͤnf Mal Aderlaſſen; um des hohen Alters willen machte ich jede nur zu ſechs Un- zen; ſie hatte auf jede einige Erleichterung, welche zwoͤlf bis vierzehn Stunden anhielt. Da aber ihre an Leib und Seele verkruͤppelte Tochter durchaus keine lauen Umſchlaͤge machen wollte, und unter dem Vor- wande, als koͤnnte ein laͤngeres Leben der Alten ohne- hin nur zur Laſt ſeyn, gar nichts, als kaltes Waſſer, gab, nebſtbey mit ſchweren Federdecken dieſelbe zum Schwitzen noͤthigte, ſo ſtarb ſie mit allen Zeichen ei- ner rohen Entzuͤndung den vierten Tag von meinem erſten Beſuche an. Eben ſo waren Hippokrates, Galenus, Celſus, Alexander, Fernelius, Fo- reſtus, Silvius de le Boe, Plater, Amatus Lu-

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/514>, abgerufen am 29.03.2024.