Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Körpers oder anderer Theile schießen, und umgekehrt.
Der ganze Körper kann gefühllos seyn, während daß
einzelne Theile auf den höchsten Grad von Reitzbar-
keit gestimmt sind. Dieses ist der Fall bey Rasenden,
Wahnsinnigen, man möge die Raserey oder den Wahn-
sinn als eigentliche und anhaltende Verstandesverwir-
rung oder nur als Zufälle in hitzigen Krankheiten be-
trachten. Daher ertragen diese Leute drey bis vier-
fach stärkere Gaben der schärfesten Arzneyen, Hunger,
Durst, Kälte bis zum Erstaunen; sie bleiben bey den
heftigsten äußern Reitzen, wenn sie gebrennt oder ge-
schnitten oder durch Aetzmittel behandelt werden, ganz
unempfindlich, da indessen die Werkzeuge des Den-
kens und der Phantasie bis zur Wuth gereizet sind.
So bedienten sich die ehemaligen Zauberer gewißer
Salben, deren Bestandtheile die Reitzbarkeit der in-
nern Sinne außerordentlich überstimmten, die Em-
pfindlichkeit der äußern hingegen vollkommner stumpf
machten. Es bewegten sich daher ihre Ideen, gerade
wie bey Träumenden, mit großer Schnelligkeit und
zwar zufolge ihrer vorgefaßten Vorstellungen; sie wur-
den also ohne ihr Wissen in die nämliche Lage ver-
setzt, in welche sich die Enthusiasten und die heutigen
Zauberer durch Rauchwerke u. d. gl. willkührlich zu
versetzen wissen. -- Manche Kranke scheinen ganz be-
täubt zu seyn, da indessen einige Sinne mit aller
Schärfe ihre Verrichtungen ausüben. Der Geschmack
geht z. B. bey den meisten verloren; weit seltner
der Geruch; einige zwar verlieren diesen alsogleich
bey jeder Krankheit, und bekommen einen Abscheu

gegen

Koͤrpers oder anderer Theile ſchießen, und umgekehrt.
Der ganze Koͤrper kann gefuͤhllos ſeyn, waͤhrend daß
einzelne Theile auf den hoͤchſten Grad von Reitzbar-
keit geſtimmt ſind. Dieſes iſt der Fall bey Raſenden,
Wahnſinnigen, man moͤge die Raſerey oder den Wahn-
ſinn als eigentliche und anhaltende Verſtandesverwir-
rung oder nur als Zufaͤlle in hitzigen Krankheiten be-
trachten. Daher ertragen dieſe Leute drey bis vier-
fach ſtaͤrkere Gaben der ſchaͤrfeſten Arzneyen, Hunger,
Durſt, Kaͤlte bis zum Erſtaunen; ſie bleiben bey den
heftigſten aͤußern Reitzen, wenn ſie gebrennt oder ge-
ſchnitten oder durch Aetzmittel behandelt werden, ganz
unempfindlich, da indeſſen die Werkzeuge des Den-
kens und der Phantaſie bis zur Wuth gereizet ſind.
So bedienten ſich die ehemaligen Zauberer gewißer
Salben, deren Beſtandtheile die Reitzbarkeit der in-
nern Sinne außerordentlich uͤberſtimmten, die Em-
pfindlichkeit der aͤußern hingegen vollkommner ſtumpf
machten. Es bewegten ſich daher ihre Ideen, gerade
wie bey Traͤumenden, mit großer Schnelligkeit und
zwar zufolge ihrer vorgefaßten Vorſtellungen; ſie wur-
den alſo ohne ihr Wiſſen in die naͤmliche Lage ver-
ſetzt, in welche ſich die Enthuſiaſten und die heutigen
Zauberer durch Rauchwerke u. d. gl. willkuͤhrlich zu
verſetzen wiſſen. — Manche Kranke ſcheinen ganz be-
taͤubt zu ſeyn, da indeſſen einige Sinne mit aller
Schaͤrfe ihre Verrichtungen ausuͤben. Der Geſchmack
geht z. B. bey den meiſten verloren; weit ſeltner
der Geruch; einige zwar verlieren dieſen alſogleich
bey jeder Krankheit, und bekommen einen Abſcheu

gegen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0576" n="557"/>
Ko&#x0364;rpers oder anderer Theile &#x017F;chießen, und umgekehrt.<lb/>
Der ganze Ko&#x0364;rper kann gefu&#x0364;hllos &#x017F;eyn, wa&#x0364;hrend daß<lb/>
einzelne Theile auf den ho&#x0364;ch&#x017F;ten Grad von Reitzbar-<lb/>
keit ge&#x017F;timmt &#x017F;ind. Die&#x017F;es i&#x017F;t der Fall bey Ra&#x017F;enden,<lb/>
Wahn&#x017F;innigen, man mo&#x0364;ge die Ra&#x017F;erey oder den Wahn-<lb/>
&#x017F;inn als eigentliche und anhaltende Ver&#x017F;tandesverwir-<lb/>
rung oder nur als Zufa&#x0364;lle in hitzigen Krankheiten be-<lb/>
trachten. Daher ertragen die&#x017F;e Leute drey bis vier-<lb/>
fach &#x017F;ta&#x0364;rkere Gaben der &#x017F;cha&#x0364;rfe&#x017F;ten Arzneyen, Hunger,<lb/>
Dur&#x017F;t, Ka&#x0364;lte bis zum Er&#x017F;taunen; &#x017F;ie bleiben bey den<lb/>
heftig&#x017F;ten a&#x0364;ußern Reitzen, wenn &#x017F;ie gebrennt oder ge-<lb/>
&#x017F;chnitten oder durch Aetzmittel behandelt werden, ganz<lb/>
unempfindlich, da inde&#x017F;&#x017F;en die Werkzeuge des Den-<lb/>
kens und der Phanta&#x017F;ie bis zur Wuth gereizet &#x017F;ind.<lb/>
So bedienten &#x017F;ich die ehemaligen Zauberer gewißer<lb/>
Salben, deren Be&#x017F;tandtheile die Reitzbarkeit der in-<lb/>
nern Sinne außerordentlich u&#x0364;ber&#x017F;timmten, die Em-<lb/>
pfindlichkeit der a&#x0364;ußern hingegen vollkommner &#x017F;tumpf<lb/>
machten. Es bewegten &#x017F;ich daher ihre Ideen, gerade<lb/>
wie bey Tra&#x0364;umenden, mit großer Schnelligkeit und<lb/>
zwar zufolge ihrer vorgefaßten Vor&#x017F;tellungen; &#x017F;ie wur-<lb/>
den al&#x017F;o ohne ihr Wi&#x017F;&#x017F;en in die na&#x0364;mliche Lage ver-<lb/>
&#x017F;etzt, in welche &#x017F;ich die Enthu&#x017F;ia&#x017F;ten und die heutigen<lb/>
Zauberer durch Rauchwerke u. d. gl. willku&#x0364;hrlich zu<lb/>
ver&#x017F;etzen wi&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Manche Kranke &#x017F;cheinen ganz be-<lb/>
ta&#x0364;ubt zu &#x017F;eyn, da inde&#x017F;&#x017F;en einige Sinne mit aller<lb/>
Scha&#x0364;rfe ihre Verrichtungen ausu&#x0364;ben. Der Ge&#x017F;chmack<lb/>
geht z. B. bey den mei&#x017F;ten verloren; weit &#x017F;eltner<lb/>
der Geruch; einige zwar verlieren die&#x017F;en al&#x017F;ogleich<lb/>
bey jeder Krankheit, und bekommen einen Ab&#x017F;cheu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gegen</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[557/0576] Koͤrpers oder anderer Theile ſchießen, und umgekehrt. Der ganze Koͤrper kann gefuͤhllos ſeyn, waͤhrend daß einzelne Theile auf den hoͤchſten Grad von Reitzbar- keit geſtimmt ſind. Dieſes iſt der Fall bey Raſenden, Wahnſinnigen, man moͤge die Raſerey oder den Wahn- ſinn als eigentliche und anhaltende Verſtandesverwir- rung oder nur als Zufaͤlle in hitzigen Krankheiten be- trachten. Daher ertragen dieſe Leute drey bis vier- fach ſtaͤrkere Gaben der ſchaͤrfeſten Arzneyen, Hunger, Durſt, Kaͤlte bis zum Erſtaunen; ſie bleiben bey den heftigſten aͤußern Reitzen, wenn ſie gebrennt oder ge- ſchnitten oder durch Aetzmittel behandelt werden, ganz unempfindlich, da indeſſen die Werkzeuge des Den- kens und der Phantaſie bis zur Wuth gereizet ſind. So bedienten ſich die ehemaligen Zauberer gewißer Salben, deren Beſtandtheile die Reitzbarkeit der in- nern Sinne außerordentlich uͤberſtimmten, die Em- pfindlichkeit der aͤußern hingegen vollkommner ſtumpf machten. Es bewegten ſich daher ihre Ideen, gerade wie bey Traͤumenden, mit großer Schnelligkeit und zwar zufolge ihrer vorgefaßten Vorſtellungen; ſie wur- den alſo ohne ihr Wiſſen in die naͤmliche Lage ver- ſetzt, in welche ſich die Enthuſiaſten und die heutigen Zauberer durch Rauchwerke u. d. gl. willkuͤhrlich zu verſetzen wiſſen. — Manche Kranke ſcheinen ganz be- taͤubt zu ſeyn, da indeſſen einige Sinne mit aller Schaͤrfe ihre Verrichtungen ausuͤben. Der Geſchmack geht z. B. bey den meiſten verloren; weit ſeltner der Geruch; einige zwar verlieren dieſen alſogleich bey jeder Krankheit, und bekommen einen Abſcheu gegen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/576
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/576>, abgerufen am 28.03.2024.