Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

daß man sich an den Schierling gewöhnen könne;
Linnäus zeigt eben dieses vom Eisenhütlein, und
Scharschmidt vom Arsenik. In Ostindien bedient
man sich fast überall des Teufelsdrecks zur Würze der
Speisen; die Mexicaner, sagt Lanzisi, speisen nicht
nur die Eyer der Insekten, welche Moräste bewohnen,
sondern sogar den stinkenden Moosschlamm. Was für
einen ungeheuern Mischmasch von Speisen ertragen
die Mägen unserer schwelgerischen Damen, die der
Anblick einer Spinne oder eines kranken Hündchens
außer Faßung bringt! Man sehe, was ich hievon im
1 Kap. gesagt habe.

Sobald man die angewöhnte Sache unterlassen
muß, so empfindet man eine mehr oder weniger be-
schwerliche Unbehaglichkeit, welche hie und da bis zu
den heftigsten Zufällen anwachsen kann. Die Berau-
bung des Tabacks, eines Gläschen Weines, einer
gewohnten Umarmung, ja sogar die gewaltsame Un-
terlassung einer Fraze sind im Stande, uns in die
verdrüßlichste Verlegenheit zu setzen.

In dem alltäglichen Leben aber geschieht sehr
vieles nach den Gesetzen der Angewöhnung. Die Zeit
des Hungers und des Schlafes, der Ausleerungen und
anderer Bedürfniße werden bey den meisten Menschen
so sehr auf gewiße Augenblicke eingeschränkt, daß man,
wenn einmal diese Zeit übergangen ist, weder Hunger,
noch Schlaf, noch sonst einen Drang zu den übrigen
Verrichtungen empfindet. Zur gewohnten Zeit hinge-
gen drängt es uns zum Harn oder zum Stuhle, ob-
schon die Anhäufung nur sehr gering ist. Werden

zur

daß man ſich an den Schierling gewoͤhnen koͤnne;
Linnäus zeigt eben dieſes vom Eiſenhuͤtlein, und
Scharſchmidt vom Arſenik. In Oſtindien bedient
man ſich faſt uͤberall des Teufelsdrecks zur Wuͤrze der
Speiſen; die Mexicaner, ſagt Lanziſi, ſpeiſen nicht
nur die Eyer der Inſekten, welche Moraͤſte bewohnen,
ſondern ſogar den ſtinkenden Moosſchlamm. Was fuͤr
einen ungeheuern Miſchmaſch von Speiſen ertragen
die Maͤgen unſerer ſchwelgeriſchen Damen, die der
Anblick einer Spinne oder eines kranken Huͤndchens
außer Faßung bringt! Man ſehe, was ich hievon im
1 Kap. geſagt habe.

Sobald man die angewoͤhnte Sache unterlaſſen
muß, ſo empfindet man eine mehr oder weniger be-
ſchwerliche Unbehaglichkeit, welche hie und da bis zu
den heftigſten Zufaͤllen anwachſen kann. Die Berau-
bung des Tabacks, eines Glaͤschen Weines, einer
gewohnten Umarmung, ja ſogar die gewaltſame Un-
terlaſſung einer Fraze ſind im Stande, uns in die
verdruͤßlichſte Verlegenheit zu ſetzen.

In dem alltaͤglichen Leben aber geſchieht ſehr
vieles nach den Geſetzen der Angewoͤhnung. Die Zeit
des Hungers und des Schlafes, der Ausleerungen und
anderer Beduͤrfniße werden bey den meiſten Menſchen
ſo ſehr auf gewiße Augenblicke eingeſchraͤnkt, daß man,
wenn einmal dieſe Zeit uͤbergangen iſt, weder Hunger,
noch Schlaf, noch ſonſt einen Drang zu den uͤbrigen
Verrichtungen empfindet. Zur gewohnten Zeit hinge-
gen draͤngt es uns zum Harn oder zum Stuhle, ob-
ſchon die Anhaͤufung nur ſehr gering iſt. Werden

zur
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0652" n="633"/>
daß man &#x017F;ich an den Schierling gewo&#x0364;hnen ko&#x0364;nne;<lb/><hi rendition="#fr">Linnäus</hi> zeigt eben die&#x017F;es vom Ei&#x017F;enhu&#x0364;tlein, und<lb/><hi rendition="#fr">Schar&#x017F;chmidt</hi> vom Ar&#x017F;enik. In O&#x017F;tindien bedient<lb/>
man &#x017F;ich fa&#x017F;t u&#x0364;berall des Teufelsdrecks zur Wu&#x0364;rze der<lb/>
Spei&#x017F;en; die Mexicaner, &#x017F;agt <hi rendition="#fr">Lanzi&#x017F;i</hi>, &#x017F;pei&#x017F;en nicht<lb/>
nur die Eyer der In&#x017F;ekten, welche Mora&#x0364;&#x017F;te bewohnen,<lb/>
&#x017F;ondern &#x017F;ogar den &#x017F;tinkenden Moos&#x017F;chlamm. Was fu&#x0364;r<lb/>
einen ungeheuern Mi&#x017F;chma&#x017F;ch von Spei&#x017F;en ertragen<lb/>
die Ma&#x0364;gen un&#x017F;erer &#x017F;chwelgeri&#x017F;chen Damen, die der<lb/>
Anblick einer Spinne oder eines kranken Hu&#x0364;ndchens<lb/>
außer Faßung bringt! Man &#x017F;ehe, was ich hievon im<lb/>
1 Kap. ge&#x017F;agt habe.</p><lb/>
            <p>Sobald man die angewo&#x0364;hnte Sache unterla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
muß, &#x017F;o empfindet man eine mehr oder weniger be-<lb/>
&#x017F;chwerliche Unbehaglichkeit, welche hie und da bis zu<lb/>
den heftig&#x017F;ten Zufa&#x0364;llen anwach&#x017F;en kann. Die Berau-<lb/>
bung des Tabacks, eines Gla&#x0364;schen Weines, einer<lb/>
gewohnten Umarmung, ja &#x017F;ogar die gewalt&#x017F;ame Un-<lb/>
terla&#x017F;&#x017F;ung einer Fraze &#x017F;ind im Stande, uns in die<lb/>
verdru&#x0364;ßlich&#x017F;te Verlegenheit zu &#x017F;etzen.</p><lb/>
            <p>In dem allta&#x0364;glichen Leben aber ge&#x017F;chieht &#x017F;ehr<lb/>
vieles nach den Ge&#x017F;etzen der Angewo&#x0364;hnung. Die Zeit<lb/>
des Hungers und des Schlafes, der Ausleerungen und<lb/>
anderer Bedu&#x0364;rfniße werden bey den mei&#x017F;ten Men&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr auf gewiße Augenblicke einge&#x017F;chra&#x0364;nkt, daß man,<lb/>
wenn einmal die&#x017F;e Zeit u&#x0364;bergangen i&#x017F;t, weder Hunger,<lb/>
noch Schlaf, noch &#x017F;on&#x017F;t einen Drang zu den u&#x0364;brigen<lb/>
Verrichtungen empfindet. Zur gewohnten Zeit hinge-<lb/>
gen dra&#x0364;ngt es uns zum Harn oder zum Stuhle, ob-<lb/>
&#x017F;chon die Anha&#x0364;ufung nur &#x017F;ehr gering i&#x017F;t. Werden<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zur</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[633/0652] daß man ſich an den Schierling gewoͤhnen koͤnne; Linnäus zeigt eben dieſes vom Eiſenhuͤtlein, und Scharſchmidt vom Arſenik. In Oſtindien bedient man ſich faſt uͤberall des Teufelsdrecks zur Wuͤrze der Speiſen; die Mexicaner, ſagt Lanziſi, ſpeiſen nicht nur die Eyer der Inſekten, welche Moraͤſte bewohnen, ſondern ſogar den ſtinkenden Moosſchlamm. Was fuͤr einen ungeheuern Miſchmaſch von Speiſen ertragen die Maͤgen unſerer ſchwelgeriſchen Damen, die der Anblick einer Spinne oder eines kranken Huͤndchens außer Faßung bringt! Man ſehe, was ich hievon im 1 Kap. geſagt habe. Sobald man die angewoͤhnte Sache unterlaſſen muß, ſo empfindet man eine mehr oder weniger be- ſchwerliche Unbehaglichkeit, welche hie und da bis zu den heftigſten Zufaͤllen anwachſen kann. Die Berau- bung des Tabacks, eines Glaͤschen Weines, einer gewohnten Umarmung, ja ſogar die gewaltſame Un- terlaſſung einer Fraze ſind im Stande, uns in die verdruͤßlichſte Verlegenheit zu ſetzen. In dem alltaͤglichen Leben aber geſchieht ſehr vieles nach den Geſetzen der Angewoͤhnung. Die Zeit des Hungers und des Schlafes, der Ausleerungen und anderer Beduͤrfniße werden bey den meiſten Menſchen ſo ſehr auf gewiße Augenblicke eingeſchraͤnkt, daß man, wenn einmal dieſe Zeit uͤbergangen iſt, weder Hunger, noch Schlaf, noch ſonſt einen Drang zu den uͤbrigen Verrichtungen empfindet. Zur gewohnten Zeit hinge- gen draͤngt es uns zum Harn oder zum Stuhle, ob- ſchon die Anhaͤufung nur ſehr gering iſt. Werden zur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/652
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 633. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/652>, abgerufen am 20.04.2024.