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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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ihr Recht behaupten; sie hatte schon die dritte Nacht
eine Saamenergießung, welche dann alle Nacht wie-
der kam, so, daß sie in die Rückenmarkauszehrung
verfiel. Sie setzte endlich alle Mittel bey Seite, fieng
die vorige Lebensart wieder an, und wurde ihrer
Schwachheit und ihrer Schmerzen geschwind los, so
schädlich sonst bey Verwundeten der Beyschlaf zu seyn
pflegt, daß selbst manchmal der Tod eine unmittelba-
re Folge davon ist. Es ist daher gewiß, daß man
bey den von Enthaltsamkeit entstandenen Zufällen mehr
auf die Gewohnheit, als auf den Ueberfluß der Saa-
menfeuchtigkeit, deren Wirkungen deswegen nicht ge-
leugnet werden können, zu sehen habe.

Kämpf erzählt von einem an das tägliche
Brandtweintrinken gewöhnten Soldaten, der mit vie-
len Wunden beladen ins Lazareth gebracht wurde.
Man behandelte sie auf die gewöhnliche Art und mit
gehöriger Sorgfalt. Es wollte sich aber keine gute
Eiterung einstellen, und die Entkräftung nahm zuse-
hends überhand, ungeachtet man es an den kräftigsten
Mitteln nicht fehlen ließ. Als nun auch der beste
Wein ohne Wirkung war, und man den Verwunde-
ten für verloren hielt, so that man endlich seiner Sehn-
sucht nach Brandtwein ein Genüge, und erlaubte ihm
dann und wann einen guten Schluck von dieser seiner
Herzstärkung zu thun; auf der Stelle fiengen die Kräf-
te an, sich zu heben, der Eiter ward gutartig, und
die Heilung erfolgte bald. -- Ein anderes führt er
aus Richtern an, wo ein Kranker, nach einer we-
gen Verwachsung sehr langsamen Operation eines un-

ge-

ihr Recht behaupten; ſie hatte ſchon die dritte Nacht
eine Saamenergießung, welche dann alle Nacht wie-
der kam, ſo, daß ſie in die Ruͤckenmarkauszehrung
verfiel. Sie ſetzte endlich alle Mittel bey Seite, fieng
die vorige Lebensart wieder an, und wurde ihrer
Schwachheit und ihrer Schmerzen geſchwind los, ſo
ſchaͤdlich ſonſt bey Verwundeten der Beyſchlaf zu ſeyn
pflegt, daß ſelbſt manchmal der Tod eine unmittelba-
re Folge davon iſt. Es iſt daher gewiß, daß man
bey den von Enthaltſamkeit entſtandenen Zufaͤllen mehr
auf die Gewohnheit, als auf den Ueberfluß der Saa-
menfeuchtigkeit, deren Wirkungen deswegen nicht ge-
leugnet werden koͤnnen, zu ſehen habe.

Kämpf erzaͤhlt von einem an das taͤgliche
Brandtweintrinken gewoͤhnten Soldaten, der mit vie-
len Wunden beladen ins Lazareth gebracht wurde.
Man behandelte ſie auf die gewoͤhnliche Art und mit
gehoͤriger Sorgfalt. Es wollte ſich aber keine gute
Eiterung einſtellen, und die Entkraͤftung nahm zuſe-
hends uͤberhand, ungeachtet man es an den kraͤftigſten
Mitteln nicht fehlen ließ. Als nun auch der beſte
Wein ohne Wirkung war, und man den Verwunde-
ten fuͤr verloren hielt, ſo that man endlich ſeiner Sehn-
ſucht nach Brandtwein ein Genuͤge, und erlaubte ihm
dann und wann einen guten Schluck von dieſer ſeiner
Herzſtaͤrkung zu thun; auf der Stelle fiengen die Kraͤf-
te an, ſich zu heben, der Eiter ward gutartig, und
die Heilung erfolgte bald. — Ein anderes fuͤhrt er
aus Richtern an, wo ein Kranker, nach einer we-
gen Verwachſung ſehr langſamen Operation eines un-

ge-
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[637/0656] ihr Recht behaupten; ſie hatte ſchon die dritte Nacht eine Saamenergießung, welche dann alle Nacht wie- der kam, ſo, daß ſie in die Ruͤckenmarkauszehrung verfiel. Sie ſetzte endlich alle Mittel bey Seite, fieng die vorige Lebensart wieder an, und wurde ihrer Schwachheit und ihrer Schmerzen geſchwind los, ſo ſchaͤdlich ſonſt bey Verwundeten der Beyſchlaf zu ſeyn pflegt, daß ſelbſt manchmal der Tod eine unmittelba- re Folge davon iſt. Es iſt daher gewiß, daß man bey den von Enthaltſamkeit entſtandenen Zufaͤllen mehr auf die Gewohnheit, als auf den Ueberfluß der Saa- menfeuchtigkeit, deren Wirkungen deswegen nicht ge- leugnet werden koͤnnen, zu ſehen habe. Kämpf erzaͤhlt von einem an das taͤgliche Brandtweintrinken gewoͤhnten Soldaten, der mit vie- len Wunden beladen ins Lazareth gebracht wurde. Man behandelte ſie auf die gewoͤhnliche Art und mit gehoͤriger Sorgfalt. Es wollte ſich aber keine gute Eiterung einſtellen, und die Entkraͤftung nahm zuſe- hends uͤberhand, ungeachtet man es an den kraͤftigſten Mitteln nicht fehlen ließ. Als nun auch der beſte Wein ohne Wirkung war, und man den Verwunde- ten fuͤr verloren hielt, ſo that man endlich ſeiner Sehn- ſucht nach Brandtwein ein Genuͤge, und erlaubte ihm dann und wann einen guten Schluck von dieſer ſeiner Herzſtaͤrkung zu thun; auf der Stelle fiengen die Kraͤf- te an, ſich zu heben, der Eiter ward gutartig, und die Heilung erfolgte bald. — Ein anderes fuͤhrt er aus Richtern an, wo ein Kranker, nach einer we- gen Verwachſung ſehr langſamen Operation eines un- ge-

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/656>, abgerufen am 29.03.2024.